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Georg Anton Benda: „Medea“. Hörgenuss mit Katharina Thalbach

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikKatharina Thalbach zieht sämtliche schwarz rauchenden Register des mordenden Racheengels. Von Ingobert Waltenberger.

Die reizvolle Kunstform des Melodrams ist Opernfreunden von spätromantischen Stücken wie dem „Hexenlied“ von Max von Schillings auf eine Ballade von Ernst von Wildenbruch oder „Enoch Arden“ von Richard Strauss nach einer Ballade von Alfred Tennyson ein Begriff. Auch in der Kerkerszene von „Fidelio“ oder in der Oper „Die Frau ohne Schatten“ sorgen effektvolle melodramatische Einschübe für Gänsehaut. Richard Strauss lässt die Kaiserin – hochdramatisch vom Orchester begleitet – mit sich um ihr und ihrer Nächsten ureigenstes Sein ringen. Sängerinnen wie Leonie Rysanek, die über eine höchst eindrucksvolle Sprechstimme verfügte, erhielten so die Gelegenheit, der theatralischen Vokalkunst jenseits des klassischen Gesangs ewige Denkmäler zu setzen. Komponisten wie Kurt Weill oder Arnold Schoenberg nutzten das Genre ebenso. Mit „Die Geschichte vom Soldaten“ erprobte der russische Avantgardist Igor Stravinsky in Zusammenarbeit mit dem Dichter Charles-Ferdinand Ramuz neue Wege des Musiktheaters.

Die Gattung geht stilistisch freilich auf antike Vorbilder, möglicherweise auch auf die Dramen Shakespeares zurück, bevor sie im 18. Jahrhundert eine erste Blüte erlebte. Der böhmische Komponist Georg Anton Benda hat uns mehrere solcher Meisterwerke hinterlassen: Die bekannten Geschichten von „Medea“, „Ariadne auf Naxos“  oder „Pygmalion“ eigneten sich unter Könnerhand offenbar so gut für exemplarische Melodramen, dass sogar Wolfgang Amadeus Mozart nach einer Aufführung der „Medea“ in Mannheim höchst gefesselt von den dramaturgischen Möglichkeiten von gesprochenem Wort und Musik war. Später sollte er sich in „Thamos, König in Ägypten“ oder „Zaide“ selbst an dieser Technik versuchen. Auf Mozarts Rezitativkunst hat der Einfluss Bendas besonders stark abgefärbt.

Wer die neue Aufnahme der „Medea“ von Benda, gleichzeitig ist es die erste der Letztfassung von 1784, mit der charismatischen Berliner Volksschauspielerin Katharina Thalbach hört, erfährt, welche Faszination von einem Melodram ausgehen kann. Die Erzählung, der gesprochene Text bilden zwar eindeutig das Zentrum, werden jedoch durch die eine Naturkulisse spiegelnden onomatopoetischen bzw. die Seelenlage der Protagonistin färbenden kurzen orchestralen Gesten, Kommentare oder Einwürfe ins Unendliche geweitet. Die rhythmische Vielfalt, das uhrwerksgenau tickende Timing beim Ineinandergreifen von Text und Musik, der schlafwandlerische sichere Staffellauf zwischen Dirigenten, Orchester und Sprecherin erzeugen eine enorme Spannung und Kurzweil. Keine Arie, kein Chor bremst den rasanten Lauf der „durchkomponierten“ Geschichte.

„Medea“ nach einem wortmächtigen Text des Hofarchivars und herzoglich Gothaischen Geheimsekretärs  Friedrich Wilhelm Gotter bildet einen einzigen, quälend bohrenden inneren Monolog, in dem die Heldin ihre disparate und aussichtslose Lage drastisch schildert. Wie Jörg Krämer in seinem exzellenten Beitrag für das Booklet „Die wilden Phantasien eines Fieberkranken“ anmerkt, setzt die Handlung „an einer sehr späten Stelle des Mythos an, bei der heimlichen Rückkehr der bereits verbannten Medea nach Korinth. Medea wird in Gotters Text als eine zutiefst verletzte Frau gezeigt, die nicht nur aus Korinth verstoßen, sondern auch ihrer Kinder beraubt wurde und die sich von Jason verraten fühlt, dem sie doch alles geopfert hatte.“

Katharina Thalbach wirft für das Wechselbad der Gefühle alle Ausdrucksextreme ihrer Charakterstimme in die Schlacht um tödliche Rache, um ihr letztes Aufbegehren gegen die schreiende Willkür und die alles verschlingende Vergänglichkeit der Liebe. Wie sie mädchenhaft verzagt, die Begegnung mit den Kindern tränenreich deliriert, ist bewegend, bevor sie zur Vernichtung der „Natternbrut“ ansetzt. Für Medeas schwarze Rache, ihre glühende Eifersucht ruft Thalbach die schrecklichsten Dämonen an, pfaucht und schreit, kratzt und hechelt. Die maßstabsetzende Interpretation der Medea der Thalbach wirbelt umso fürchterlicher in den finalen Strudel, als der im Urgrund kindliche Ton von Thalbachs Stimme fahler und düsterer wird.

Marcus Bosch und die cappella aquileia wollen nicht nur untergeordnete Begleiter sein, sondern bilden den in die Eingeweide des Zuhörers zielenden instrumentalen Kontrapunkt zur Sprachurgewalt einer archaisch tobenden Schauspielerin.

Vergleichseinspielung der am Rannstädter Tor in Leipzig uraufgeführten Erstfassung aus dem Jahr 1775: Hertha Schell als Medea, Peter Uray als Jason, mit dem Prager Kammerorchester unter der musikalischen Leitung von Christian Benda (NAXOS)

Georg Anton Benda: Medea (Ein mit Musik vermischtes Melodram, Version von 1784)
Weltersteinspielung
Katharina Thalbach, Marcus Bosch, Cappella Aquileila
Coviello Classics 2021
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