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Ein enthusiastisches Vokalensemble: The Zurich Chamber Singers unter der Leitung von Christian Erny

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Von Izidor Mendas.

Der Chorgesang ist eine der ältesten und meist verbreiteten musikalischen Kunstformen. In Schulen, Kirchengemeinden, Opernhäusern, Polizei-, oder Kulturvereinen setzt man sich zusammen, um durch die Verbindung von Wort und Musik in einem kollektiven Rahmen nach der höheren Wahrheit oder schlicht vergnüglichem Ausdruck der Gefühle zu suchen. Dieser Traum ist auch für den Schweizer Dirigenten und Pianisten Christian Erny in Erfüllung gegangen, als er 2015 das Vokalensemble The Zurich Chamber Singers mitbegründet und dessen Leitung übernommen hat. Die junge Gruppe begabter und geschulter Sängerinnen und Sänger vermittelt uns die wahrhafte Freude an farbenfroher Klangkultur, die man auch in ihrem letzten Album Passio (ARS Produktion) zu spüren bekommt. Der Titel bezieht sich auf die Passionszeit, gekennzeichnet durch Verzicht, Buße und innere Rückbesinnung, wobei die Vergänglichkeit alles Irdischen im Mittelpunkt steht. Die spannende Aufnahme kann auch im weiteren Sinne zum Nachdenken einladen und in bedrückenden Situationen Trost und Hoffnung spenden, sei es in Form des Heilands oder musikalischer Schönheit: beide Aufgaben werden von diesen wunderbaren Interpreten auf glänzender Weise erfüllt. Auf dem Programm werden drei große Namen der Renaissance- und Barockpolyphonie: Thomas Tallis, Henry Purcell und Johann Sebastian Bach, durch den jungen US-amerikanischen Komponisten Kevin Hartnett ergänzt. Damit spannt sich der Bogen der Meisterschaft der Stimmführung von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Erny mäandriert mit schlank besetztem Ensemble durch die Täler des Fein- und Tiefsinns der ausgewählten Werke und verleiht ihnen einen frischen, intensiven Charakter, der die Individualität der Stimmen nie vernachlässigt und sie sicher bis zur Mündung führt. Das Programm wird relativ kurz gehalten, die einzelnen Segmente bestechen deswegen durch ihre kondensierte Ausdruckskraft.

 

 

Überzeugende Gestik und Dynamik
Coverabbildung © Ars Produktion

Tallis steht in seinem Spätwerk für die Synthese der Einfachheit der anglikanischen Liturgiegesangs und des komplexen polyphonischen Ausdrucks des europäischen Festlandes. Der kontrapunktische Aufbau seiner Motette Salvator Mundi strahlt im architektonischen Glanz, der melodische Wellengang wird nicht gestört und die Sänger hinterlassen ein angemessenes Gefühl der Würde bzw. Stattlichkeit. Das vierstimmige Anthem If ye love me am Schluss des Tonbandes verwendet nach dem homophonen Anfang, der den Text hervorhebt, die Imitation auf einer nur zurückhaltenden Weise, um mit sparsamen Stilmitteln das Maximum an Kompaktheit zu erreichen: die Musik beruhigt und lädt zur Versöhnung ein. An solchen Stellen zeigt Erny ein hervorragendes Verständnis der musikalischen Strukturen; seine Kompetenz ermöglicht ihm eine adäquate Lösung für jede stilistische Herausforderung zu finden. Purcells Funeral Sentences vereinen die relative (manchmal täuschende) Klarheit der musikalischen Sprache mit der hoch individuellen barocken Expressivität. Man that is born of a woman beginnt mit einem melancholischen Thema, das sich durch farbenreiche harmonische Schattierungen weiterentfaltet. Die Zurich Chamber Singers vermitteln durch überzeugende Gestik und Dynamik, nur die englische Aussprache könnte dabei noch stilgerechter ausgearbeitet werden, eine sehr persönliche spirituelle Botschaft. Vielleicht könnten die Momente der chromatischen Spannung in In the midst of life noch mutiger artikuliert werden, der Zuhörer wird aber in Thou knowest Lord mit der nicht oft gesungenen ersten Version dieses Chorstücks belohnt, die wesentlich reichere polyphonische Textur als ihre spätere Variante aufweist. De profundis von Kevin Hartnett ist ein bezauberndes Stück, das sich sehr gut ins Gefüge des gesamten Albums eingliedert. Man fühlt die emotionelle Hingabe der Sänger, die durch kleine Intervalle, atmosphärische Sonoritäten, mittelalterliche Reminiszenzen und bedeutungsvolle Pausenmomente eine fast ätherische Stimmung erreichen.

Als Höhepunkt des Albums ist sicher JS Bachs Jesu, meine Freude (BWV 227) gedacht, seine längste und prächtigste Motette, welche die Chortradition der gesamten Bach-Familie würdigt. Es handelt sich um eine Komposition aus mehreren Sätzen, deren durchdachte Symmetrie und organische Gliederung sowohl Wissenschaftler als auch Liebhaber ins Staunen versetzten. Die Zurich Chamber Singers stellen ihre Komplexität und Natürlichkeit ausbalanciert dar, obwohl manchmal die Gefahr besteht, dass gewisse Einzelteile schleppend ausfallen könnten. Das Herzstück, die Doppelfuge Ihr aber seid nicht fleischlich, wird souverän absolviert, der vorangehende freie Choralsatz Trotz dem alten Drachen wird markant und entschlossen artikuliert, genauso wie Gute Nacht, o Wesen die nächtliche Atmosphäre wiedergibt. Terzette klingen leicht und transparent, beim Anfang- und  Schlusschoral bewahren die Interpreten die notwendige Ruhe und Erhabenheit. Weil es sich für Bachs Register um ein sehr emotional aufgeladenes Werk handelt, kann man sich eine noch filigranere, innigere, oder sogar zugespitzte Lesart vorstellen, dafür bräuchte man wahrscheinlich aber noch mehr Vorbereitung.

Verheißungsvolle Zukunft

Die Interpretationen auf der CD sind ausdrucksvoll, detailreich, präzise und nüchtern. Es gibt technische Kleinigkeiten, die besser ausgearbeitet werden könnten, es ist jedoch wichtiger, dass anspruchsvolle Knotenpunkte sowie das Gesamtbild verständlich und inspiriert vermittelt werden. Die Zurich Chamber Singers mit Christian Erny sind ein enthusiastisches Vokalensemble, das hoffentlich noch viele Jahre zusammenwachsen und Klanghorizonte erweitern wird. Das Singen ist für seine Mitglieder offensichtlich eine Herzensangelegenheit, die nicht nur als der natürlichste Musikakt im Dienste Gottes fungiert, sondern stellt die alten Meisterwerke in einem neuen Licht dar, wobei der Tradition stets mit viel Respekt begegnet wird. Das hier aufgenommene Repertoire ist besonders im mitteleuropäischen Raum, wo die sakrale Chormusik der Renaissance- und Barockzeit in öffentlicher Wahrnehmung nicht gerade ihre Blütezeit erlebt, eine willkommene Erfrischung. Schon ein ganz kleines Lied kann viel Dunkel erhellen, soll Franz von Assisi einmal gesagt haben, und nach der beendeten Passionszeit können wir bestätigen: die frohe Botschaft ist bei uns angekommen.

The Zurich Chamber Singers
Passio
ARS Produktion 2018
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Video-Interview mit Christian Erny zu seinem neuen Solo-Album hier

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