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Statt Kino: Érard-Festival in Hamburg

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker Musik

Eine gemeinsame, freudvolle Mission: Das Auftaktwochenende beim Érard-Festival in Hamburg.
Von Stefan Pieper.

Am Ende herrschte pures Glücksgefühl, aber auch eine Spur von Erleichterung. Allein die Anzahl an Stunden, die Mathias Weber am originalen Flügel von César Franck konzertiert hatte, dürfte am Eröffnungswochenende des Érard-Festivals rekordverdächtig gewesen sein. Zentrales Projekt der diesjährigen Festivalausgabe ist eine neue Orchesterfassung von César Francks f-Moll-Quintett. Mit dessen Aufführung bestätigte sich, wie künstlerisches „Über sich hinauswachsen“ geht – auch über die geografischen Grenzen Hamburgs hinaus.

Die Maserung des Palisanderholzes jenes Flügels, auf dem wohl César Franck viele seiner Werke komponiert hat, glänzte prachtvoll und vereinte sich mit dem funktionalen Holzambiente in der kleinen Laeiszhalle, in der das erste Konzert des Festivals stattfand. Was auf diesem Instrument klanglich und dynamisch ging, legte Weber zunächst in einer Auswahl aus Mendelssohns „Liedern ohne Worte“ offen und die hatte es in sich. Beim Érard-Festival geht es nicht um die Erfüllung vorgefertigter Erwartungen, sondern um Horizonterweiterung. Mathias Webers Auswahl aus diesem umfangreichen Zyklus setzte also nicht auf jene anmutigen, kleinen Charakterstücke, sondern auf gewagtere Kompositionen, in denen pianistische Möglichkeiten offengelegt werden, eine große Finesse an Auszierungstechniken Ohren und Geist berauscht und wo auch immer wieder offenbar wird, was dieser historische Klaviertyp mit seinen ausschließlich parallel angeordneten Seiten kann. Wie Mathias Weber mit kreativen Betonungen arbeitete, Klangschichten zum Leuchten brachte und das Instrument „singen“ ließ, wurde wieder deutlich: So wie dieser Hamburger Pianist tritt wohl kaum sonst jemand in heutiger Zeit mit der Charakteristik dieses Instrumenten-Typs in einen tiefen Dialog. 

Die Musik durfte ihr Gesicht wahren

Felix Mendelssohn-Bartholdys Quartett op. 80 f-Moll widerspiegelt aufgewühlte Seelenzustände. Der Tod seiner Schwester Fanny stürzte den Komponisten in tiefe Verzweiflung. Ob dies zu diesen ungewöhnlichen, oft motorisch-drängenden Stilmitteln in diesem Quartett, entstanden nur sechs Monate vor Mendelssohns eigenem Tod, geführt hat, mag man spekulieren. Erik, Ken und Mark Schumann sowie der Bratschist Veit Hertenstein, bilden zusammen das international renommierte Schumann-Quartett. In der Laeiszhalle rückten sie diesem Werk mit riesiger künstlerischer Neugier und maximaler Professionalität zu Leibe. Mit einem solchen gemeinsamen künstlerischen Ansatz gewahrt diese Musik, aber auch ihr Schöpfer und ebenso die Person, um die in dieser Komposition  getrauert wird, ihr Gesicht. Denn genug analytische Klarheit befreit von zu viel Pathos. Was der typisch mendelssohnschen Eleganz, die auch in diesem Trauerstück so viel Vitalität entfaltet, zu Gute kam.

Ein Hörfilm ohne Happy End

César Franck dachte in den Dimension eines Streichquartetts, wollte aber mehr Ausdruckswucht und fügte daher eine Klavierstimme hinzu. Das Resultat birgt so viel sinfonische Größe, dass man wirklich ein ganzes Sinfonieorchester damit „füttern“ kann. Dachte sich Mathias Weber und erweiterte den Original-Notentext um neue Stimmen und Instrumentierungen. In der kleinen Laeiszhalle wurde aber erst einmal ins kammermusikalische „Original“ eingetaucht. Und wie! Mit langem Atem und in gemessenem Tempo bauen Mathias Weber und das Schumann-Quartett eine mächtige Dramaturgie. Also ist genug Raum da, damit eine durchgehende emotionale Welle diese Flut aus Ideen und Klängen durchmisst. Kurz vor Ende des ersten Satzes reißt Erik Schumann die E-Saite. Also: Neue Saite drauf und nochmal von vorne anfangen. Um noch tiefer Atem zu holen, noch mehr Emotion herauszulassen. Für das konzentriert zuhörende Publikum erwies sich diese ungeplante Wiederholung als Gewinn. Später überraschte der abrupte Schlussakkord, wie in einem Film, der sich nach dramatischsten Fieberkurven schließlich dem Happy End verweigert.

Richard Wagners Farben leuchten

César Franck demonstrierte mit diesem Werk der Superlative, wie durch stringente Organisation der dramatischen Mittel eine fast schon transzendentale Wirkung entsteht. Das Oldenburgische Staatsorchester erwies sich als idealer Komplize für das Abenteuer einer sinfonischen „Neu-Inszenierung“. Dabei machte es sich als zusätzlicher Glücksfall bezahlt, dass sich die circa 75 Musikerinnen und Musiker unter Hendrik Vestmanns Leitung gerade am gesamten Wagner-Ring abgearbeitet hatten. Denn auch in Francks Komposition leben genug Wagner-Spurenelemente, die durch die erweiterte Instrumentierung erst so richtig aufblühen. In der großen Laeiszhalle erklang eine „neue“ vollwertige Sinfonie, getragen von charaktervollen Streicherteppichen, schwergewichtig stolzen Blechbläsern, ständig angereichert von hochpräzise gezeichneten dynamischen und dramaturgischen Details. Es ergriffen die Dialoge zwischen lyrischen Linien aus dem Érard-Flügel und kantablen Soli von Cello, Violine oder einzelnen Bläserstimmen.

Mathias Weber hat im Hinblick auf die Originalquelle auch mit viel Bedacht neu instrumentiert. Vor allem in der Exposition zum ersten Satz bleibt eine kammermusikalische Rhetorik präzise nachvollziehbar, auch wenn vieles jetzt auf ganz neue Art eine „richtig große Bühne“ bekommt, was sich vor allem beim zweiten Lento-Satz spektakulär auswirkte.

Andere, große Werke, die an „normalen“ Konzertabenden schon den Hauptprogrammpunkt bilden, wurden an diesem Abend eher „zur Einstimmung“ musiziert: In Listzs Tondichtung „Les Préludes“ arbeiteten Hendrik Vestmann und die Oldenburger Sinfoniker die ganze Vielschichtigkeit dieses zehnminütigen Wechselbades heraus, das eben viel mehr beinhaltet als nur das bombastische Hauptthema, welches einst – wie es heute so manchen Klassikthemen in der Werbespot-Industrie passiert – zur berüchtigten „Wochenschau-Fanfare“ erkoren wurde. Von noch mehr Vielgestalt ist Franz Liszts Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur und auch da gingen Mathias Weber und das Oldenburgische Staatsorchester in der gemeinsamen freudvollen Mission bestens auf.

Mathias Weber und das Schumann Quartett / Foto (c) Stefan Pieper

Dieses Festival wird von Stephanie und Mathias Weber in Eigenregie gestemmt

Eine Kooperation mit diesem hochmotivierten, seit 2016 von Hendrik Vestmann geleiteten Staatsorchester ist für das Érard-Festival ein wirkungsvoller Multiplikator in Sachen Publikumsreichweite. Auch die beiden dem Festivalauftakt vorangeschalteten Gastspiele mit César Francks neuer Sinfonie für Orchester und Klavier markieren einen wichtigen Baustein dafür. 

Es ist kaum zu glauben, dass Mathias und Stephanie Weber dieses ganze Festival künstlerisch, organisatorisch und logistisch nahezu in Eigenregie stemmen. Am Sonntag, 30.Oktober. geht es in Hamburgs Elbphilharmonie (Kleiner Saal) weiter und dafür steht wieder aufschlussreiche „Paarung“ auf dem Programm: Sowohl Ludwig van Beethoven also auch Johann Nepomuk Hummel hatte es die Septett-Besetzung angetan und jeder schuf ein Meisterwerk zu diesem Thema. Beide Werke stehen in einem Bezug zueinander. Mathias Weber trifft dafür auf das Hamburger „Ensemble Acht“.

Zum Finale am Samstag, 19. November, reist das Erard-Festival nach Berlin – und mit ihm natürlich besagter originaler Flügel von César Franck. In der Philharmonie (Kleiner Kammermusiksaal) trifft Mathias Weber auf die französische Geigerin Elsa Grether, die sich vor allem durch ihr poetisch-durchsichtiges Klangbild einen internationalen Namen gemacht hat. Kompositionen von Franz Liszt, Robert Schumann und Maurice Ravel komplettieren das Programm, in dessen Zentrum ein Werk von César Franck steht, um dass man definitiv nicht herumkommt: In seiner mitreißenden A-Dur-Sonate zeigt sich dieser frankobelgische Komponist von derselben genialen Seite wie in seinem Klavier-Quintett bzw. der durch Mathias Weber neugeschaffenen Sinfonie für Orchester und Klavier.

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