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Organisiertes Verbrechen im Augsburg der Jahrhundertwende: Viktor Glass „Schüssler und die verschwundenen Mädchen“

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Rezension von Barbara Hoppe.

1890 hieß ein Privatdetektiv noch Privatpolizist, Frauen durften nicht alleine in Gaststuben, ohne dass es anrüchig aussah, und mit Dienstmädchen konnte man machen, was man wollte. Viktor Glass, 1950 in Iserlohn geboren und Kenner der Augsburger Industrie- und Sozialgeschichte, führt uns mitten hinein in die damals schon rund 100.000 Einwohner fassende Stadt der Fugger und in einen Kriminalfall, der eng mit der gesellschaftlichen Entwicklung verbunden ist.

Denn im ausgehenden 19. Jahrhundert übernehmen immer häufiger Maschinen die Arbeit der Dienstmädchen und Arbeiterinnen. Die Industrialisierung entzieht den Frauen ihre Lebensgrundlage. Viele werden entlassen und kommen nicht mehr in Lohn und Brot. Sie verschwinden, manche setzt verzweifelt ihrem Leben ein Ende. Allen Fällen gemeinsam ist, dass ihnen die Polizei nicht nachgeht.

Erst als sich ein junger Soldat an Ludwig Schüssler wendet, kommt Bewegung in das mysteriöse Verschwinden verschiedener junger Dienstmädchen. Denn August Hipp vermisst seine Verlobte und will nicht hinnehmen, dass sie wie vom Erdboden verschluckt ist. Schüssler ist ein Privatermittler, der schon früh seinen Dienst bei der Polizei quittiert hatte und sich nun mal besser, mal schlechter mit Privataufträgen über Wasser hält, meist engagiert von Ladenbesitzern, die übermäßig hohen Diebstahl in ihrem Haus aufklären möchten. Der Ermittler, dem der eine oder andere spektakuläre Fall ein wenig Berühmtheit brachte, ist der örtlichen Polizei jedoch ein Dorn im Auge. Nichtsdestotrotz müssen sie hinnehmen, dass er meist den richtigen Riecher hat. So auch dieses Mal. Unterstützt von der außergewöhnlichen Caroline Geiger, die selbstbestimmt ihr Leben führt, kommen sie einem organisierten Mädchenhändlerring auf die Spur.

Viktor Glass gelingt ein lebendiges Porträt der Zeit mit Protagonisten, die „Typen“ sind. Ludwig Schüssler vertraut seinem Spürsinn und liebt seine Unabhängigkeit ebenso wie die resolute Caroline Geiger, der selbstbewussten Großmutter des Autors nachempfunden, die für den Privatermittler eine wertvolle Unterstützung ist. Gleichzeitig erleben wir die Enge und Beschwerlichkeit des Lebens in der großen Stadt und in der Schicht der Gesellschaft, die dafür verantwortlich ist, das es wenige gut Betuchte komfortabel haben. Zudem treten 20 Jahre nach dem deutsch-französischen Krieg und der Gründung des Deutschen Reichs einige Veränderungen in Kraft, die den Augsburgern einiges abverlangt. Trotzdem trifft Viktor Glass einen leichtfüßigen Ton und führt uns geschickt um die Klippen eines düsteren Sozialdramas. Dass die Ansichten seiner Hauptfiguren heute erfrischend modern sind, macht das Buch zu einem unterhaltsamen und spannend-entspannten Lesegenuss.

Viktor Glass
Schüssler und die verschwundenen Mädchen
Pendragon Verlag, Bielefeld 2018
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Coverabbildung © Pendragon Verlag

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