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Neu im Kino: “Corsage”

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Von Stephan Reimertz.

2017 machte Vicky Krieps in dem bemerkenswerten Film »Phantom Thread« auf sich aufmerksam, in dem sie an der Seite von Daniel Day-Lewis einen stillen, konzentrierten und spannenden psychologischen Zweikampf zweier sehr unterschiedlicher, allein auf den zweiten Blick dann doch nicht ganz so unterschiedlicher Menschen im London der 1950er Jahre bestritt. Wie bei dieser sowohl szenisch als auch filmisch glanzvollen Produktion handelt es sich auch bei dem neuen Film »Corsage« von Marie Kreutzer, an dem sich Krieps als Hauptdarstellerin und ausführende Produzentin beteiligte, um ein Filmkunstwerk, in dem eine perfekt ausgeleuchtete Psychologie in dramaturgisch und ästhetisch angemessen inszenierte Bilder umgesetzt ist. Marie Kreutzer weiß wirklich noch, was ein Bild ist, was ein Ablauf ist. Die Regisseurin und ihr Produktionsteam bringen in dieser nachgerade tschechowschen Schilderung des Lebens der Kaiserin Elisabeth von Österreich eine bemerkenswerte und überzeugende Disziplin auf, die sich u. a. im sparsamen Gebrauch der Musik und in langen Takes umsetzt.

Marie Kreutzer, die auch das Drehbuch schrieb, geht von der These einer substantiellen Ermüdung der Kultur des späten neunzehnten Jahrhunderts aus, die sich wie ein Schatten über die Individuen legt. Zudem ist die Einsamkeit das große Thema des Films: Allein oder nur in Begleitung weniger sieht man Elisabeth zu Ross. Auch die anderen Protagonisten, allen voran Kaiser Franz-Joseph und König Ludwig von Bayern, sind von Einsamkeit gezeichnet. Sexuelle Begegnungen sind Nicht-Begegnungen und enden meist wie das Hornberger Schießen. Ludwig von Bayern, den letzten Vertreter abendländischen Königtums, mit dem österreichischen Erzkomödianten Manuel Rubey zu besetzen ist eine originelle Wahl; allein die Rechnung geht auf, wenn Cousin und Cousine aus dem Hause Wittelsbach in aristokratischer Désinvolture beieinanderliegen und am Versuch einer erotischen Begegnung scheitern wie Ulrich und Agathe.

Florian Teichtmeister als Kaiser Franz Joseph bleibt etwas diffus, was freilich weder dem Schauspieler noch der Regisseurin angelastet werden kann. Tatsächlich besteht das Paradoxon in der Hinterlassenschaft dieses Kaisers gerade darin, trotz seiner langen Regierungszeit und den mannigfaltigen Zeitzeugnissen, die wir über ihn besitzen, ein verschwimmendes, schwer zu fassendes Bild hinterlassen zu haben.

»Corsage« von Marie Kreutzer ist ein Beispiel des gar nicht so seltenen Falles, bei dem in einem Streifen schwankender Qualität ein sehr guter Film steckt; mit anderen Worten: Das Werk ist noch in unfertigem Zustand in die Kinos gekommen. Man könnte den Film mit einer unfertigen Skulptur vergleichen, welche sich uns noch als a questionable shape vorstellt. Wenn jedoch Meisterhand mit energischen Schlägen Überflüssiges weggehämmert hat, wird sich das modellhafte Werk enthüllen, welches in dem Gebilde verborgen ist.

Einige wenige aber prononcierte Kürzungen dürften unabdingbar sein: Das Überstülpen einer postfreudianischen Sexualpsychologie auf Figuren des späten neunzehnten Jahrhunderts kann nicht funktionieren. Die Sexszenen müssen raus. Umso stärker wird sich dann das Unglück der gescheiterten Sexualität in den Figuren ausdrücken. Ebensowenig funktioniert das Einfügen angloamerikanischer Dudelmusik, sog. Popmusik. Dies ging bereits in dem Film über Marie-Antoinette von Sofia Copolla schief. Damit soll gesagt sein: Schaut her, sie ist doch eine von uns! Das ist sie aber nicht. Viele Menschen heute sind nicht mehr in der Lage, einen Abstand zwischen sich und der Geschichte anzuerkennen. Dadurch gerät die Gesamtanlage ihres Werkes ins Wanken. Die Produktion folgt diesem Irrweg der Distanzlosigkeit auch, wenn Kaiserin Sisi mit Garçonnefrisur der Zwanziger Jahre zigarettenrauchend dargestellt wird. Ob dies authentisch war, spielt dabei gar keine Rolle.

Lediglich eine Generation nach der Kaiserin veröffentlichte Stefan George das Elisabeth und ihrer Schwester Sophie gewidmete Langgedicht »Die Schwestern«, wo es am Anfang heißt:


Wer sie gesehn: von echtem königtume
Das noch gebahren feiler gleichheit scheut
Vererbten glanz und acht und gnade hütend:
Empfing der hoheit schauer und den hauch

Von weh und wucht unfassbar der die niedren

Weit von sich wies … So schritten sie in adel
Und stolz und trugen herrlicher als Andre
Bescholtne kronen ihr erlauchtes haar.

Hier hat der Dichter sehr genau die Anerkenntnis der Distanz als Voraussetzung jeden Verständnisses gekennzeichnet. Wer die Distanz einebnet, macht auch angemessenes Verstehen unmöglich.

So kann man auch bestenfalls als ein Element epischen Theaters und gezielter Verfremdung das Norddeutsch-Bundesrepublikanische verstehen, in dem die Schauspieler sprechen, was die Österreicher mit der treffenden Bezeichnung »Piefkenesisch« umschreiben. Gleiches durfte man schon in einem Film über Georg Trakl erleben, wo alles nach Synchronisation schrie. Eine solche könnte auch »Corsage« retten. Gezielte Kürzungen und eine völlige Neusynchronisation würden die Qualitäten dieses doch so konzentrierten und gelungenen Films erst ins rechte Licht rücken.

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