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Musik im Kopf, im Ohr und in der Seele – Wondratscheks Klavierroman und geballte Lyrik – eine Doppelrezension

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Von Carsten Schmidt.

 

Der Autor Wolf Wondratschek gilt als Wanderer zwischen den Welten und Kulturen, ein Kenner der westlichen Welt, mit Gastdozentur in England, Aufenthalt in den USA und Mexiko, mit Wurzeln in Thüringen und Zweitwohnsitz in Wien. Seit dem Ende der 60er Jahre vertrieb er auf teilweise abenteuerliche Weise seine Liedgedichte und Poem-Bändchen, zeitweise völlig neben dem kommerziellen Buchmarkt, aber mit wachsendem Erfolg und ansehnlichen Auflagen. Im Laufe der nun beinahe 50 vergangenen Jahre seines Schaffens kam er bei einem halben Dutzend Verlage unter.

Nun hat der Berliner Ullstein Verlag sich seines poetischen Gesamtwerks angenommen und es in einen höchst ansehnlichen Schuber verpackt. Gleichzeitig erschien bei Ullstein sein neuester Roman „Selbstbild mit russischem Klavier“.

   
Coverabbildung © Ullstein Verlag / Foto: Carsten Schmidt
   

Was nach einem Gemälde vergangener Zeiten klingt, kommt auch so daher. In einem Wiener Kaffeehaus trifft das erzählerische Ich auf den russisch-stämmigen, offenbar nicht mehr aktiven Pianisten Suvorin. Nach bereits wenigen Seiten wird dem Leser klar, dass hier eine Gesprächssituation zwischen zwei älteren Herren dargestellt wird, wie sie von einem Dritten, neu dazugekommenen nur wahrgenommen werden kann, nämlich mit Lücken und unklarer Rollenverteilung. Die zieht sich konsequent durch, so dass die Erzählhaltung gar nicht richtig entschieden werden kann. Suvorin scheint zu erzählen von seiner Kindheit im Nachkriegsrussland, weltweiten Touren seiner erfolgreichen Karriere, Überlegungen aus den Tiefen der Musikwelt, Austausch mit und über alte Musikerkollegen wie dem real 2016 in Wien verstorbenen Cellisten Heinrich Schiff.

Das meiste jedoch bleibt verschwommen, unklar und bruchstückhaft – so als würde man als Zuhörer immer wieder den Tisch verlassen, um draußen zu rauchen oder zu telefonieren und würde dann wieder in die teils wirren Gedankensprünge der „Alten“ zurückkehren, natürlich nur mit der halben Anekdote und Teilen vom Zusammenhang und einem Vergessen gegenüber dem, wer jetzt eigentlich was gesagt oder gedacht hat. Wenn es in den 270 Seiten einen Zusammenhang oder so etwas wie eine Erzählhandlung gibt, dann den Hang, die Liebe und Abhängigkeit zur Musik. Die und die Brancheninterna werden recht tief und gedankenverloren ausgelotet, so dass vermutlich Leser, für die Beethoven kein gottgleicher Seelenfreund ist, eine durchaus zähe oder gar unverdauliche Zeit mit diesem Buch verbringen werden.

Ein wirklich frischer und elegant aufbereiteter Schatz dagegen stellt das Gesamtwerk von Wondratscheks Gedichten dar. Hier sind 13 Bände in einem aufwändig verpackten Schuber vereint und mit toller Verarbeitung veredelt. Die Bände haben eine haptische „Außenhaut“, so muss man es sagen, die bei einem Band an Vogelfedern erinnert, dann wieder an Sandverläufe, Fingerabdrücke, Sonnenstrahlen oder Fischschuppen. Es war dem Ullstein Verlag offenbar ernst, Wondratscheks Arbeiten der letzten 40 Jahre von teilweise nur 20, 30 Seiten zu einzelnen Bänden zusammenzufassen und aus 13 kleinen Bänden nicht vielleicht 5 handliche zu machen, sondern jeder Schaffensphase den eigenen Raum zu geben. Im Band „Chuck’s Zimmer“ von Gedichten, die erstmals 1974 veröffentlicht wurden, finden sich erzählerisch kraftvolle, mutige Formen, aber auch romantisch zarte Zeilen wie: „Ich brauche dich / Ich hänge in der Luft / Und du kannst fliegen.“ In dem erstmals 1986 erschienenen „Carmen oder bin ich das Arschloch der Achtziger Jahre“ finden sich wiederum dynamische, auch gedanklich reife, mitreißende Zeilen wie: „Ich liebe dich / Ich kenn das Gefühl / Es ist neu.“ oder „Er hat zu denken aufgehört / Es hat sich noch nie gelohnt.“ Es sind Geschichten, Splitter und theatralische Ausrufe, die auch als Filmzitate passend wären:

Eine Carmen kannst du nicht töten.
Selbst die getötete Carmen kehrt als Geliebte zurück,
nimmt sich vor deinen Augen einen Kerl,
einen mit starken Armen,
und fordert ihn heraus,
sie vom Geheimnis zu erlösen,
das selbst der Allmächtige nie verstand.

   
Coverabbildung © Ullstein Verlag / Foto: Carsten Schmidt
   

Es ist ein nobles Unterfangen vom Ullstein Verlag, diese beiden Veröffentlichungen zu wagen – und man kann hoffen, dass das Wagnis aufgeht, dem Autor Ehre zu machen, über den ein gewisser M.R. Ranicki sagte: „Die Gedichte dieses Autors werden bleiben.“

Wolf Wondratschek 
Selbstbild mit russischem Klavier (Roman)
Gesammelte Gedichte (Werkausgabe)
Ullstein Verlag, München 2018
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