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München bejubelt neue Zauberflöte

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„Zum Mond und zurück“. Eine Science-Fiction-Oper für Menschen jeden Alters von Andrew Norman.

Staatsintendant Josef Ernst Köpplinger inszeniert am Gärtnerplatz das einzigartige Zauberlustspiel. Der neue Chefdirigent Rubén Dubrovsky und das Orchester des Staatstheaters stellen einen straffen, elastischen musikalischen Rahmen. Glanzvolle Solisten wie Lucian Krasznec, Sophie Mitterhuber, René Pape und Alina Wunderlin, vor allem der Charme und die Wärme aller Darsteller bereiten den Besuchern einen unvergesslichen Abend. Von Stephan Reimertz

Der lyrische Tenor Lucian Krasznec, Schüler von Meryl Studer in Würzburg und Wagner-Stipendiat, ist weit mehr als ein lyrischer Tenor. Das zeigte er am Sonntag als Tamino bei der Premiere der neuen Zauberflöte am Gärtnerplatz. Sein starkes, biegsames Organ und die elastische Bühnenpräsenz offenbarten ihn als feurigen Prinzen auf der Suche nach Liebe und politischer Herrschaft. Die Regie stellte ihm einen stummen Darsteller (Demian Erofeev) zur Seite. In dieser von Mozart und Schikaneder nicht vorgesehenen Rolle konnte man Taminos kleinen Bruder sehen. Wie das Interview von Dramaturgin Feodora Wesseler mit Regisseur Köpplinger im wie gewohnt vorzüglichen Programmheft verständlich machte, war mit dieser zunächst verwirrenden Rolle indes der junge Tamino gemeint. Damit unterstrich das Regiekonzept das Thema des Übergangs und Erwachsenwerdens, das in diesem Zauberlustspiel im Zentrum steht.

Die Kostümierung der beiden Taminos mit Hoodie, Anorak und Turnschuhen stach von den anderen Kostümen (Alfred Meyerhofer) allerdings unangenehm ab. Schlimm genug, dass man dergleichen auf der Straße sehen muss. Offenbar wollte die Regie mit dieser Anmutung dem jugendlichen Publikum sagen: Tamino ist einer von euch! Das ist er aber nicht. Gerade Kinder und Jugendliche wollen auf der Bühne einen Prinzen sehen, der wie ein Prinz aussieht. Die jungen Besucher bei der Premiere selbst waren vorzüglich gekleidet. Bei Tamino ging das Regiekonzept also nicht ganz auf. Das titelgebende Instrument, die Zauberflöte indes, ist hier ein Leuchtschwert und erinnert an diverse Inszenierungen des Parsifal wie des Rings. Aber: will man in der Zauberflöte nicht lieber eine Flöte sehen?

Sophie Mitterhuber (Pamina), Andreja Zidaric (Königin der Nacht) / Foto © Markus Tordi

Inspirierte Sänger-Darsteller

Mit der ebenso bildhübschen wie interessant aussehenden Sopranistin Sophie Mitterhuber, einer österreichischen Absolventin des Mozarteums, stand eine Pamina im Mittelpunkt, bei der man die Faszination, die sie auf Tamino bereits qua gemalter Miniatur, aber auch auf den gereiften Sarastro ausübt, ohne Mühe nachvollziehen kann. Der erotische Zauber der entführten Königstochter ist schließlich das Bewegungszentrum des ganzen Stücks und sollte dem Zuschauer einleuchten. Mitterhuber gelingt es in ihrer differenzierten Darstellung der durchaus selbstbewussten Gefangenen, aber auch in ihrem sensibel anempfindenden Gesang, Pamina als vielschichtige Gestalt lebendig werden zu lassen.

Mit dem niederösterreichischen Bariton Daniel Gutmann steht ein Papageno auf der Bühne, der in seiner beherrschenden Präsenz, Vielseitigkeit und seinem lässigen Humor, ebenso wie mit den jederzeit abrufbaren stimmlichen Kraftreserven dem ersten Darsteller des Vogelfängers vermutlich recht nahe kommt. Die bis heute ununterbrochene Aufführungsgeschichte des Zauberlustspiels begann im derzeitigen vierten Wiener Gemeindebezirk im sog. Freihaustheater am 30. September 1791. Der Theaterbesitzer und –direktor Emanuel Schikaneder war zugleich Librettist und stand als Papageno auf der Bühne. Er war ein Star der damaligen Zeit. Gutmann gelingt es, die komödiantische Verve und naive Energie des berühmtesten aller Vogelfänger zu vergegenwärtigen. Die Wiener Sopranistin Julia Sturzlbaum ihrerseits nutzt als Papagena die reichlich vorhandenen Gelegenheiten, ihre stimmliche, darstellerische und vor allem komödiantische Vielseitigkeit zu zeigen. Das unwiderstehlich charmante Vogelfängerpärchen stieß beim Publikum auf größte Begeisterung.

Annina Wachter (Papagena), Daniel Gutmann (Papageno) /  Foto © Markus Tordik

Sonne und Mond, Vater- und Mutterimago

Im vage altägyptisch gehaltenen Rahmen des magischen Lustspiels ist die Figur des Oberpriesters Sarastro ebenso der Sonne zugeordnet wie jene seiner Priesterschar. Mit dem weltberühmten Dresdner Bassisten René Pape steht in München ein ebenso stimmlich wie von der Gestalt her charismatischer Darsteller für diese Rolle des ambivalenten Ethikers zur Verfügung. Im Papes Darstellung des Sarastro freilich gewinnt die erzieherisch-väterliche Haltung Pamina gegenüber stark die Oberhand vor erotischen Neigungen. So versteht man auch besser, wie leicht er auf diese verzichtet und die geliebte junge Frau dem jüngeren Mann überlässt. Der Sonnenpriesterorden ist ganz in lange weiße Mäntel gehüllt, wie sie im Moment ihrer politischen Machtübernahme am Ende des Stückes auch das hohe Paar Tamino-Pamina trägt. Hier offenbart sich die Beschränkung der Inszenierung auf einige wenige konsequent durchgeführte Grundelemente als eines ihrer Erfolgsrezepte. Die Fassbaender-Schülerin Alina Wunderlin aus Frankfurt a. M. bleibt als phantastische Königin der Nacht dem Publikum in ihren beiden ikonischen Koloratur-Arien keinen der gefürchteten hohen Töne schuldig und füllt ihre dem Lunaren zugeordnete Rolle mit bestechend geheimnisvoller Kraft aus. Ihr zur Seite stehen die drei Damen (Cornelia Horak, Sophie Rennert, Anna Agathonos), deren ebenfalls schwarze Kostüme Gothic und Goya verbinden.

Alexander Grassauer (Sprecher), Sophie Mitterhuber (Pamina), Matteo Ivan Rašić (Prinz Tamino),
Eduard Wildner (Priester) / Foto © Markus Tordik

Historisch-kritische Herangehensweise

Juan Carlos Falcón, Schüler von Reri Grist aus München, glänzt als glatzköpfiger, furchterregender Monostatos und erinnert in seiner schneidigen Boshaftigkeit nicht wenig an Derek Welton als Klingsor im früheren Bayreuther Parsifal. Er brachte mit seiner darstellerischen Scharfkantigkeit das notwendige dramatische Gegengewicht ins Zauberlustspiel ein. Dichter und Komponist hatten seinerzeit den Monostatos als, wie man damals sagte, Mohren konzipiert. Nachdem das Staatstheater am Gärtnerplatz mit der Frage des, wie heutiger ideologischer Jargon es ausdrückt, Black- bzw. Whitefacing, anlässlich der Aufführung von Ernst Kreneks Jonny spielt auf von Wokefanatikern bedroht worden war, ließ man ihm seinen weißen Kopf und änderte die Zeile »Weil ein Schwarzer hässlich ist« in »Weil ein Sklave hässlich ist«, wie es schon in der voraufgegangenen Inszenierung der Zauberflöte gehalten wurde. Textveränderungen sind im Singspiel erlaubt, ja sie waren schon zu Mozarts Zeit üblich. Leider hat in den letzten Jahren die Unsitte um sich gegriffen, dramaturgisch bedingte Veränderungen des Textes gegen ideologisch gewünschte auszutauschen. Auch damit macht diese vorbildliche Inszenierung Schluss.

Triumph der Vorstellung

Auch die alte Zauberflöte am Gärtnerplatz war ein Schmuckstück, das sich sehen lassen konnte und sich bei allen Altersstufen entsprechenden Erfolges erfreute. Die Inszenierung von Rosamund Gilmore war ein seltenes Stück von angemessener, witziger und auf den Punkt gebrachter musikalischer Komödie. Die Neuinszenierung von Staatsintendant Josef Ernst Köpplinger bringt weniger ablenkende Détails ins Spiel und gewinnt ihre Überzeugungskraft aus der konsequenten Entwicklung einiger starker Grundelemente. Raphael Kurig und Meike Ebert tragen zum verblüffenden Gelingen des Abends mit computergenerierten Bühnenbildern bei, die eben kein technokratischer Selbstzweck oder Spielerei von IT-Nerds sind, sondern moderne Technik ganz im Dienste des poetischen Ausdrucks. Wir erleben altägyptische Phantasielandschaften mit Trümmern und Ruinen ebenso wie zerklüftete Blachfelder in abwechslungsreichen Verwandlungen.

Oper für Zuschauer statt fürs Feuilleton

Rubén Dubrovsky, in Buenos Aires geborener und in Wien lebender Kapellmeister, bot mit dem Staatsorchester einen subtilen, schwungvollen Orchesterpart, der von der sparsamen Besetzung ebenso profitierte wie vom Raum des Gärtnerplatztheaters, der für Mozartaufführungen weit besser geeignet ist als das Nationaltheater. Die neue Inszenierung der Zauberflöte gelingt nicht zuletzt durch das, was sie nicht tut. In weiter Ferne liegt die aasige Arroganz eines pseudointellektuellen Regietheater-Milieus, das jegliche poetische und theatralische Wertigkeit seinen eigenen narzisstischen Obsessionen opfert, und das von Berlin über Bayreuth bis nach München und Salzburg an uns Zuschauern vorbei ausschließlich für seine Spießgesellen vom überregionalen Feuilleton inszeniert. Hier haben wir nun die Antithese: Keine Regiegags, sondern liebevolle und dramaturgisch begründete Einfälle. Keine Sonderbarkeiten um ihrer selbst und um der Aufmerksamkeit willen, sondern die Unterordnung der gesamten Produktion unter eine poetische Gesamtidee. Die Treue zum Werk macht seine Vergegenwärtigung für heutige Zuschauer erst möglich. Die charmante und stimmungsvolle, von der Begeisterung aller Mitwirkenden getragene Neuinszenierung zeigte sich nicht zuletzt in dem neckischen Spiel der rothaarigen drei Knaben (Shane Wakefield, Raphael Pallawiks, Christian Sonnemann), die besonders von ihren Altersgenossen im Publikum stürmischen Applaus erhielten.

Weiter Aufführungen: hier nachlesen

Staatstheater am Gärtnerplatz
Gärtnerplatz 3
80469 München

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The new production of „The Magic Flute“ at Gärtnerplatz in Munich delights the audience
Artistic Director Josef Ernst Köpplinger and Chief Conductor Rubén Dubrovsky, supported by the State Theater Orchestra, create an impressive performance. The outstanding soloists, including Lucian Krasznec, Sophie Mitterhuber, René Pape, and Alina Wunderlin, bring charm and warmth to the evening.

The lyrical tenor Lucian Krasznec excels as Tamino with his powerful singing and striking stage presence. The direction adds an unconventional role to the piece, representing the young Tamino, emphasizing the theme of coming of age. However, the costume choice for Tamino stands out uncomfortably.

Sophie Mitterhuber shines as Pamina, giving the abducted princess a fascinating allure. Daniel Gutmann as Papageno impresses with his humor and vocal versatility. Julia Sturzlbaum convinces as Papagena.

René Pape embodies Sarastro with charisma, even though the production emphasizes the educational relationship with Pamina. The design of the Sun Priest Order with white robes underscores the clear elements of the production. Alina Wunderlin excels as the Queen of the Night.

Juan Carlos Falcón as Monostatos impresses with his sharp malevolence. Text changes in the opera are allowed, but this production chooses to retain the original text.

The performance convinces with modern computer-generated stage designs and a subtle orchestral performance. The production avoids unnecessary directorial gimmicks and focuses on the poetic concept.

Overall, the charming and evocative new production demonstrates that loyalty to the work allows for a contemporary presentation. The young actors, especially the three boys, receive enthusiastic applause from their peers in the audience.Regenerate

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