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Die etwas andere Zauberflöte

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„La BETTLEROPERa“. Moritz Eggert mit einer radikalen Neuinterpretation des klassischen Stücks an der Neuköllner OperDerzeit bestimmen die Gesundheitsämter auch kulturelle Zeremonien. Wie unter diesen Einschränkungen eine Opernaufführung abläuft, berichtet Stephan Reimertz am Beispiel der Zauberflöte an der Bayerischen Staatsoper. Für ihn war es vor allem ein Wiedersehen: Bekannte Gesichter – gemischte Gefühle.

August Everding galt als brillanter Organisator und Ermöglicher von Theater und Oper, als stets etwas überdrehter, charmanter und un-arroganter Conférencier im Ruhrgebietstonfall. Seine eigenen Inszenierungen gefielen den Anspruchsvollen indes nur selten. Als Schüler und Student habe ich an der Bayerischen Staatsoper viele Inszenierungen von ihm sehen dürfen oder vielmehr müssen, und sie lagen mir meist so schwer im Magen wie a Schweinsaxn vom Augutinerbräu. Deswegen erregte es jetzt durchaus gemischte Gefühle, zu Saisonbeginn in München Everdings Zauberflöte von 1978 wiederzusehen, auch wenn Jürgen Rose diese im Jahre 2004 aufgefrischt hat. Das ist alles doch sehr schwerfällig, von der Marslandschaft als Biotop der Königin der Nacht bis hin zu der verfallenden Tempelarchitektur, in welcher Tamino vor Pamina seine Schweigeprüfung ablegt. Es kann einen Hauch von billigem Kitsch nicht ganz verleugnen. Doch das Wiedersehen am Saisonbeginn stand unter einem besonderen Stern.

Ein neues Gemeinschaftserlebnis

Die Opernleitung besetzte etwa nur vierzig Prozent der Plätze, so entstand unter den Happy Few, die eingelassen wurden, eine Art familiäres Miteinander. Um sich herum mehr Platz zu haben trägt auch zur Bequemlichkeit bei. Es wurde uns gesagt, wir sollten die Masken erst abnehmen, wenn das Licht verlischt und sie am Ende vor dem Klatschen wieder aufsetzen, damit keine Viren durch die Luft gewirbelt werden. War das alles schon recht neu und aufregend, kam noch hinzu, wie das Orchester diesmal aufgestellt war. Man hatte den Orchesterboden bis fast auf das Niveau der Zuschauer gehoben, weil ein Orchestergraben das reinste Virenparadies darstellt. Die Musikanten saßen weit verteilt und beinah auf Höhe der Zuschauer, so stellten alle zusammen eine einzige Gemeinschaft dar. Ein neuer Bezug zu einzelnen Instrumentalisten entstand, eine Art feierlicher Intimität. Kapellmeister Jordan de Souza machte von Anfang an klar:er gehört zu den Sängern dienenden Operndirigenten; analytisch und gänzlich uneitel ließ er die Musik entstehen, die bei der neuen Orchesterlage einen völlig anderen Klang als gewohnt entfaltete.

Gefühlsathletik zu 40 Jahren „Die Zauberflöte“ von August Everding | Premiere am 30.10.2018 | Produktion: Frl. Wunder AG / © Wilfried Hösl

Oper ganz neu aufgestellt

Es war, als hörte jeder diese Musik, welcher er unzählige Male in seinem Leben gelauscht, zum ersten Mal. Die nun wie Solisten agierenden, und auch aus dem Tutti heraus zu unterscheidenden Stimmen standen unter viel größerem Beobachtungsdruck und durften die Partitur, wenn man so will, völlig neu zusammensetzen. Das entscheidende Problem einer solchen Aufstellung war jedem klar: Erklingt sonst der Orchesterpart aus dem Graben wie aus einem Schalltrichter und wird den Stimmen unterlegt, so stehen jetzt die Sänger auf der Bühne hinter dem Orchester und müssen eine Mauer durchsingen, wollen sie mit ihrer Stimme zum Zuhörer vordringen. Zudem ist die Zeitverzögerung eine andere. Wenn Kapellmeister de Souza die Lautstärke des Orchesters auch so weit wie möglich zurücknahm, war es nicht allen Sängern möglich, in jedem Moment durch diese akustische Form des Eisernen Vorhangs zu dringen und zugleich mit dem Orchesterklang beim Zuhörer anzukommen; freilich saßen wir vorn im Parkett, auf den Rängen mag sich die vertrackte Akustik der neuen Situation anders darstellen.

Museumsstück oder Klamotte?

Es ist nützlich, wenn ein Opernhaus neben neuen Inszenierungen einige ältere beibehält, um es zu ermöglichen, die Inszenierungsstile verschiedener Jahrzehnte miteinander zu vergleichen. Wenn man etwa an der Wiener Staatsoper immer noch Jean-Pierre Ponnelles Inszenierung der Italiana in Algeri sehen kann, zeigt das, welche weiten Möglichkeiten des Humors und der Menschlichkeit bestanden, als man nicht jede Opernproduktion, wenn sie nur vermeintliche Ansätze dazu bot, zwanghaft auf den Konflikt mit dem Islam zuspitzte. Andererseits werden auch Altinszenierungen mitgeschleppt, die kaum noch Erkenntniswert bieten und nur mehr als Klamotte betrachtet werden können, so in Wien z. B. der Fidelio von Otto Schenk. Leider gehört auch die Münchner Zauberflöte in diese Kategorie, welche August Everding vor nunmehr zweiundvierzig Jahren inszeniert hat, und die uns heute nur noch den Alptraum einer Wiederkehr überwunden geglaubter Schwerfälligkeit bietet. Die Zauberflöte kann, nein, sie muss in München neu inszeniert werden, auf der Höhe der Zeit, und dazu würde sich La Fura dels Baus am besten eignen; diese Gruppe aus Barcelona bestach im vergangenen Jahr mit ihrer grandiosen Produktion von Ernst Křeneks Karl V. (https://feuilletonscout.de/avantgarde-inszeniert-avantgarde/), ihr Ring des Nibelungen aus Valencia ist legendär.

Das verfälschte Libretto und seine Folgen

Jürgen Rose zerfällt, wenn man so will, in zwei Personen: Als Bühnenbildner inszeniert er einen Alptraum zwischen Phototapete und Geisterbahn, als Kostümbildner zeigt er subtilen Geschmack und hohe Einfühlung; diese Kostüme zu bewundern ist ein Vergnügen. In Rose verkörpern sich Glanz und Elend dieser Produktion. Zum Elend der Münchner Zauberflöte zählen auch die gewalttätigen Eingriffe, die man in Schikaneders klassisches, sprichwörtlich gewordenes und jedem Kind bekanntes Libretto vorgenommen hat. Aus reiner Servilität gegenüber einer vage verstandenen Politischen Korrektheit wird etwa Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Monostatos dazu verdonnert, „weil ein Sklave hässlich ist“ zu singen, statt: „weil ein Schwarzer hässlich ist“. Hier verwandelt sich dann die Kniefälligkeit gegenüber US-amerikanischen Ansprüchen geradezu in das Gegenteil ihrer Absicht, da sich Monostatos ja gerade darüber beklagt, wenn in den Augen der anderen „ein Schwarzer hässlich ist“. Monostatos ist auch nicht schwarz geschminkt, was wiederum zu Verständnisproblemen führt. Wenn man Schikaneder umdichtet, wo ist dann die Grenze? Wird es demnächst Herder, Goethe, Schiller Hölderlin und die Humboldts treffen?

Gefühlsathletik zu 40 Jahren „Die Zauberflöte“ von August Everding | Premiere am 30.10.2018 | Produktion: Frl. Wunder AG / © Wilfried Hösl

Hannah-Elisabeth Müller als schöne Pamina

Mika Kares bietet als Sarastro endlich ein plausibles Deutungsmuster dafür an, warum sich Pamina nicht ihm zuwendet, sondern dem in jeder Hinsicht hergelaufenen Tamino. Kares legt seine Rolle stimmgewaltig mit großer Strenge und Gerechtigkeit, aber ohne jede Güte an. Benjamin Bruns gibt einen klangschönen Tamino, der von seiner Gestalt her möglicherweise nicht ganz den idealen Vorstellungen eines jungen Prinzen entspricht. Michael Nagy bringt als Papageno mit all seiner Munterkeit einen Hauch von Leben in diese wie ein schwerer Alpdruck auf allen Darstellern liegende Szenerie, und er wird dabei von Georgine Melville als Papagena tatkräftig unterstützt. Sabine Devieilhe ist eine fragile, wie von den Toten auferstandene wirkende Königin der Nacht und kann als das Faszinationszentrum des Abends betrachtet werden, da sie auch das Unheimliche dieser ambivalenten Gestalt betont; natürlich legt sie messerscharfe Koloraturen vor. Mit Hannah-Elisabeth Müller findet Pamina eine junge, schöne, wunderbar intonierende Darstellerin, was diese Figur ja eigentlich immer sein sollte, um die Handlung voranzutreiben.

Alles in allem schlagen sich in München die Sänger durch diese doppelte Opernbelastung einer veralteten Inszenierung unter erschwerten Bedingungen mit großer Tapferkeit.

Die Zauberflöte
Alle Aufführungen bis 1. Januar 2021 hier

Bayerische Staatsoper
Max-Joseph-Platz 2
80539 München

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