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Literarische Zeitreise durch das 20. Jahrhundert: „Porträt auf grüner Wandfarbe“ von Elisabeth Sandmann

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Sternstunden der Literatur und Musik – auch für Blinde und Sehbehinderte

Da ist es. Dieses Gefühl von damals. Als man als Kind vor einem Buch saß und tagelang nicht ansprechbar war, weil die Geschichte einen förmlich einsog. Man liebte und hasste die Figuren, man weinte und lachte mit ihnen, man fieberte um deren Glück und ob am Ende wohl alles gut ausgeht. Mit den Jahren, durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit literarischen Texten im Studium und schließlich unzählige Rezensionen später ist man doch etwas abgeklärter, schaut von einer Metaebene auf den Text, die Sprache, die Komposition. Was dabei mitunter auf der Strecke bleibt ist – dieses Gefühl. Aber nun hat es mit aller Wucht zugeschlagen.

Es kommt als „Porträt auf grüner Wandfarbe“ daher und ist der erste Roman der Verlegerin und bis dato als Sachbuchautorin bekannten Elisabeth Sandmann. Ihr Thema sind starke Frauen – in ihrem Verlagsprogramm wie auch in ihren Büchern. In ihrem Roman-Erstling greift die Autorin dann auch mit Wonne in die Vollen: Rund 500 Seiten umfasst ihr groß angelegter, fast ein Jahrhundert umspannender Familienroman.

Cover.: Piper Verlag

Es beginnt alles im Jahr 1992. Die Mauer ist gerade gefallen und in London erhält Gwen einen Anruf ihrer Tante Lily. Letztere wolle nach Pommern, um zu schauen, was aus dem alten Gutshof geworden ist, auf dem sie ihre Kindheit verbracht hat und den die Familie aufgeben musste, als die Nazis die Macht übernahmen. Und Gwen soll die alte Dame begleiten. Was wie eine harmlose kleine Reise klingt, wird für Gwen mehr als nur die Fahrt in ein Nachwende-Polen. Plötzlich tauchen allerorts Hefte, Notizen, Fotos und allerlei Geheimnisse und mysteriöse Andeutungen auf, die Gwen tief hineinkatapultieren in ihre verzweigte und verzwickte Familiengeschichte. Eine Familie, die sich vor dem Panorama der Verwerfungen des 20. Jahrhunderts behaupten muss: Kaiserzeit, Erster Weltkrieg, die Goldenen Zwanziger Jahre, die dunklen Jahre mit Judenverfolgung, Enteignung, Flucht, Vertreibung und noch einem Krieg, bis schließlich Ruhe einkehrt und die schlimmen Erinnerungen scheinbar tief vergraben sind. Wäre da nicht ein alter Gutshof, ein Porträt auf grüner Wandfarbe, viele unerzählte Erinnerungen, Ella und Ilsabé, Lily und Gwen, Laura und Lotte, Käthe und Frau Schönlein. Frauen, die wissen, was sie wollen: sich nicht mit den ihr zugeschriebenen Rollen abfinden und ein unabhängiges Leben führen. Mit ihnen und ihren Geschichten enthüllt sich Stück für Stück ein wohlgehütetes Familiengeheimnis.

All das serviert uns Elisabeth Sandmann wie eine reich bestückte und stilvoll gedeckte Tafel. Üppig beladen mit den schönsten Köstlichkeiten, passt alles zusammen. Es macht einfach nur Freude, diesen Roman aufzuschlagen und zu lesen, als setzte man sich an eben diese wunderschöne Tafel. Selbst wenn es einmal bitter schmecken sollte, so bleibt die Schönheit des Gesamtbildes bestehen. Genussvoll schlägt man Seite um Seite um, reist über London und Berlin nach Köslin, um gleichzeitig mit Gwen in Ellas Erinnerungen, die sie in unzähligen roten Heften festgehalten hat, von Bad Tölz über München, Schloss Elmau und Frankfurt zu reisen.

„Porträt auf grüner Wandfarbe“ ist mitreißend, ein echter Feel-Good-Roman, den man kaum aus den Händen legen kann. Seine Figuren wachsen einem ausnahmslos ans Herz. Und am Ende erwacht man wie aus einem Traum. Ein Traum freilich, der lange nachklingt.

Elisabeth Sandmann
Porträt auf grüner Wandfarbe
Piper Verlag, München 2023
bei amazon
bei Thalia

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

„Porträt auf grüner Wandfarbe“ by Elisabeth Sandmann: A Literary Journey through the 20th Century
Elisabeth Sandmann, known until now as a non-fiction author, presents her first novel, „Portrait on Green Wall Paint.“ Thematically, she dedicates herself to strong women, both in her publishing program and in her books. Her debut work is a lavish family novel spanning almost a century, comprising around 500 pages.

It all begins in 1992, when the Berlin Wall falls and Gwen receives a call from her aunt Lily in London. Lily plans a trip to Pomerania to visit the old family estate. What starts as an unassuming journey becomes a profound exploration of Gwen’s complex family history. Journals, notes, photos, and secrets surface, plunging her into a world of memories and family tales.

Elisabeth Sandmann presents all of this like a lavishly set banquet table where everything harmonizes perfectly. Reading this novel is a joy, akin to savoring a delicious meal. Even when it tastes bitter at times, the beauty of the overall picture remains. One flips through the pages, traveling from London and Berlin to Koszalin, accompanying Gwen in Ella’s memories documented in numerous red journals, from Bad Tölz through Munich, Schloss Elmau, and Frankfurt.

„Portrait on Green Wall Paint“ is captivating, a genuine feel-good novel that you can hardly put down. The characters are invariably endearing. And in the end, one awakens from a dream, a dream that lingers long after.

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