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Im memoriam Stella Doufexis

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker Musik„Hör ich das Liedchen klingen, das einst die Liebste sang“, Heinrich Heine ‚Buch der Lieder‘

Anrührende letzte Liedaufnahmen der Mezzosopranistin Stella Doufexis. Witwer und Komponist Christian Jost instrumentiert den Zyklus neu. Rezension von Ingobert Waltenberger.

2015 ist Stella Doufexis im Alter von nur 47 Jahren in Berlin einer Krebserkrankung erlegen. Sie hatte eine der charaktervollsten, jugendlich leuchtendsten und pursten Mezzostimmen im deutschsprachigen Raum und hat Musikfreunde in aller Welt nicht zuletzt mit zahlreichen gelungenen Tonträgern, oftmals Raritäten, erfreut. Jetzt erscheint eine Doppel-CD, auf der neben Doufexis‘ zu Herzen gehender letzter Einspielungen, nämlich der „Dichterliebe“ und des „Liederkreises Op. 39“ von Robert Schumann eine klangopulente Neuvertonung des Zyklus, als Auftragsarbeit vom Konzerthaus Berlin und dem Copenhagen Opera Festival entstanden, zu hören ist.

Im Oktober 2017 in Berlin uraufgeführt, interessiert Christian Jost nach seinen eigenen Worten besonders die schmale Linie aus Schmerz und Leichtigkeit, welche der Dichtung und Schumanns Musik gleichermaßen inhärent sind. Jost belässt es nicht bei bloßen Neuarrangements der Lieder für Tenor und ein neunköpfiges Kammerensemble (Streichquartett, Flöte, Klarinette, Harfe, Vibraphon/Marimba und Klavier/Celesta), sondern verbindet die Lieder durch ausufernde instrumentale Übergänge. „Sie bilden das harmonische Meer, auf dem sich die Lieder wie Inseln ausbreiten können in einer komplex erweiternden Fortschreitung der Schumann’schen Anlage.“ Dramaturgisch sieht Jost nach „Hör ich das Liedchen klingen“ einen Wendepunkt im Zyklus. „Ab hier hat die imaginierte Geliebte nichts Wirkliches mehr – sollte sie es jemals vorher gehabt haben. Sie ist komplett entrückt, verloren, gestorben oder gar lebendig in einem anderen Leben.“ Aus diesem Grund hat Jost das intime Klaviernachspiel am Schluss des Zyklus an dieser Stelle „verarbeitet und eingewebt.“ Soweit die „offizielle“ Seite der Medaille.

Tatsächlich packt Jost den Stier bei den Hörnern. Seine Orchestrierung und das gewählte Instrumentarium heben sich komplett von der Klavier- Vorlage ab. Sie gewährleisten mehrheitlich einen exotisch reizvollen, durchaus romantisch grundierten Klangteppich mit ein paar würzig eingestreuten Dissonanzen. Jost hat in Wahrheit ein anklagendes, wut- und trauervolles Requiem für die große Stella Doufexis komponiert. Der Hörer ist mitgenommen und fasziniert durch die insgesamt tragische Wucht der Musik des persönlich betroffenen Komponisten.

Dennoch besteht auch die Gefahr des déjà entendu und der Reduktion der Möglichkeiten durch die Dominanz von Harfe und Marimba. Hier fällt Jost in die Erinnerungsfalle gut geschulter Ohren. Wer genau hinhört, dem könnten bei den anfänglich spätromantischen Klängen mit Harfe und Marimba auch Reminiszenzen an „Turandot“ oder „Die Frau ohne Schatten“ einfallen. Im zweiten Teil wird Jost sparsamer im Umgang mit den Streichern. „Ich hab im Traum geweinet“ klingt dafür wie ein Carl Orff Remake mit den harten Schlagzeug-Rhythmen, die sich im Laufe des Zyklus schärfen. Vor allem die instrumentalen Dehnungen – Josts Dichterliebe dauert mit 61,38 Minuten mehr als doppelt so lange wie das in den Mitteln so sparsame, dafür umso erschütterndere Meisterwerk Schumanns – kosten den Liedzyklus im direkten Vergleich einiges an Intimität und innerer Spannung. Die Schumann‘sche Gesangslinien bleiben grosso modo unverändert. Nur im Lied „Am leuchtenden Sommermorgen“ darf der Solist die Passage „Sei unsrer Schwester nicht böse, du trauriger, blasser Mann“ mehrmals wie hypnotisiert wiederholen. 

Die eklatante Schwäche der instrumental aufwühlenden und technisch brillanten Aufnahme, wenngleich durch die opernhafte Attitüde eine dem Original diametral entgegengesetzte Atmosphäre herrscht, bildet die Wahl des Solisten. Auf der CD singt nämlich der dänische Tenor Peter Lodahl in der Version von Jost, begleitet vom Horenstein-Ensemble unter der musikalischen Leitung des Komponisten. Nichts ist übrig von der zarten Einfachheit, den subtil in Ton gegossenen Versen und der melancholischen Grundstimmung Schumanns. Peter Lodahls abgenutzter, flach und trocken klingender Tenor ist technisch nicht in der Lage, den extremen Anforderungen gerecht zu werden. Im Pianissimo funktioniert die Stimme noch. Sobald es dramatischer wird, stellen sich im expressiven Forte ein höchst unangenehmes Vibrato und Verhärtungen ein. Der Vortrag wirkt unausgewogen, eher sachlich-prosaisch denn gefühlvoll. Schade.

Ganz anders die letzten Liedaufnahmen von Stella Doufexis. Der so wunderbar reine Klang dieser mädchenhaften Stimme blüht vor allem in den lyrischen Passagen in einer atemberaubenden Ausdrucksintensität. Bis in die kleinsten Noten dominieren Eleganz und ein Staunen machender erzählerischer Duktus. Wiewohl die dynamische Amplitude insgesamt nicht (mehr) weit ausschwingt, wandelt die Doufexis das kleiner gewordene Material geschickt in durchwegs in einem Piano und Pianissimo gehaltenen, überwiegend deklamatorischen Gesang. Dem Hörer offenbart sich ein staunender akustischer Blick in oder aus eine(r) andere(n) Welt. Keine Erdenschwere ist spürbar, Doufexis hebt die beiden Zyklen in schwindelnde Höhen einer Kunst, die die letzten Dinge berührt, ohne sie lösen zu wollen. Sprachlich enorm präzise und differenziert werden wir Zeuge einer einzigartigen künstlerischen Hingabe, einer poetischen Introspektion, ja einer lyrischen Verzauberung ohnegleichen. Der Satz “Ich wachte auf und noch immer strömt meine Tränenflut” wird nach dem Aufhören auch für manchen Musikfreund zutreffen.

Doufexis’ Partner am Flügel, Daniel Heide, sorgt für eine sensible und detailreich plastische Begleitung.

Anmerkung: Auf eine völlig andere Art nicht minder faszinierende Vergleichseinspielung durch einen deutschen Mezzo: Brigitte Fassbaender spielte die Dichterliebe 1983 in Berlin mit Aribert Reimann für EMI ein.

Robert Schumann / Christian Jost
Dichterliebe
Stella Doufexis / Daniel Heide / Peter Lodahl / Horenstein Ensemble
Deutsche Grammophon (universal music) 2019

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