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Gangsterballade auf Wienerisch: David Schalko „Schwere Knochen“

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Die Wiener Unterwelt lässt grüßen: David Schalko schreibt ein Ganoven-Epos vom Feinsten. Hart, sympathisch, humorvoll und in einem Wien, das wir so noch nicht kennen. Rezension von Barbara Hoppe.

Ferdinand Krutzler ist ein Hüne. Groß, mächtig und mit einem Knochenbau, der seinem Gegenüber grundsätzlich Respekt, bisweilen mächtig Angst einflößt, ist er doch der Notwehr-Spezialist Wiens. Und er hat drei Freunde. Mit dem Sikora (dem Zauberer), dem Wessely (dem Bleichen) und dem Praschak (dem Fleischer) mischt der schon als Jugendlicher große, schwere Mann das Erdberger Kriminellenmilieu auf. Mit einfachen Betrügereien ergaunern sie sich die Anerkennung der „Großen Galerie“, eine Riege hochrangiger Verbrecher, die ihren ehrenhaften Namen vermutlich nach dem Fotoalbum der Polizei mit den Fahndungsbildern erhielt. Schnell professionalisieren sich die jungen Männer. Noch nicht richtig erwachsen, gründen sie bereits die „Erdberger Spedition“. Diese hat sich darauf spezialisiert, Wohnungen in Abwesenheit ihrer Bewohner bis auf das letzte Staubkorn leerzuräumen. Doch als die Jungspunds am Tag des Anschlusses Österreichs die vier Wände eines ranghohen Wiener  Nazis regelrecht entkernen, ist das Maß voll. Innerhalb eines Tages werden die Jugendlichen geschnappt und ins KZ verfrachtet.

Das Vernichtungslager wird zum Ausbildungslager. Dabei konzentriert Schalko sich ganz auf Krutzler. Er, dem man nachsagt schon als Kind die Familie vom Vater „befreit“ zu haben, schlawinert sich durch die Todesmaschinerie. Vorteile werden genutzt, Seilschaften geschmiedet, Grundlagen für eine Karriere als Schwerverbrecher im Nachkriegswien gelegt. Unsentimental beschreibt Schalko den Weg eines knallharten Vorteilnehmers mit kriminellem Geschick, ohne Gewissen, ohne Intellekt, aber mit einer Schläue, mit der er sich die Unterwelt Wiens erobert. Denn die vier Freunde überleben die Nazi-Gräuel. Ihrem gemeinsamen Blutsschwur treu, bauen sie – im Wesen derb und grobschlächtig – im Nullkommanix ein Imperium aus Bordellen und Spielhöllen auf, spielen die Besatzungsmächte gegeneinander aus, dreschen auf Feinde und Huren ein, beseitigen Schnösel und Gegenspieler, paktieren mit der Polizei.

Zu sagen, David Schalko schaffte ein „Der Pate“ auf Wienerisch wäre verfehlt. Die „famiglia“, die in Italien immer noch das Wichtigste ist, fehlt den Wiener Ganoven. Familie existiert nicht und wenn doch, dann nur als prügelnde, trinkende und verkommende Sippschaft, der man besser fernbleibt oder sie gleich entsorgt. Freunde sind Geschäftspartner, durch Ehrenschwüre entsteht eine Form von Bindung mit einem Hauch Sentimentalität. Von 1938 bis 1961 lässt David Schalko seine Protagonisten wirken, dann ändern sich die Zeiten. Die Verbrecher sind alt geworden, kommen nicht mehr mit. Ihre von den Nazis geschändeten Seelen haben ihren Platz in der neuen Welt der sechziger Jahre verloren. Aus gemeinsam wird einsam. Inspiriert von wahren Begebenheiten gelingt es Schalko, allein durch Stil und Sprache, ein packendes Gangsterdrama zu schaffen. Mit dem Verzicht auf wörtliche Rede und einem beeindruckenden Vokabular Wiener Ganovensprache versetzt er den Leser in einen Rausch aus Blut, Sex und Gewalt, ohne je den Humor zu verlieren. „Schmunzeln“ ist das Zauberwort zwischen den Zeilen. Denn mit einer gehörigen Portion Ironie gewürzt, gewinnen wir Krutzler, Sikora, Wessely und Praschak, ebenso wie die wilde Musch, den exzentrischen Harlacher, den durchgeknallten Herwig, den korrupten Podgorsky, die beinlose Hure Gisela und alle anderen kauzigen Gestalten dieses grandiosen Gangsterepos irgendwie gern.

David Schalko
Schwere Knochen
Kiepenheuer und Witsch, Köln 2018
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Coverabbildung © Kiepenheuer & Witsch

Lesungen:
9. Mai 2018, 20 Uhr
Pfefferberg Theater
Schönhauser Allee 176
10119 Berlin
mit Robert Stadlober

4. Juni2018
Literarischer Salon Hannover
Königsworther Platz 1
30167 Hannover

5. Juni 2018
Literaturm Festival- Opernturm
Frankfurt
Moderation: Thomas Böhm

6. Juni 2018
Literaturm Festival – Parkside Studios
Offenbach
Moderation: Thomas Böhm

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