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YOUNG EURO CLASSIC – Abschlusskonzert mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchestra

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Von Ingobert Waltenberger.

Die allerorts grassierende Sommer-Festivalitis mit gepfeffert teuren Karten und ebensolchem touristischem Nepp neigt sich dem Ende zu. Gott sei Dank, könnte man sagen und sich fragen, wer denn überhaupt Lust hat, in geschlossenen Sälen bei 35 Grad Celsius stundenlang bewegungslos zu schmoren? Und doch gibt es ein Ereignis der klassischen Musik in Berlin, das sich all diesen kommerziellen Trübungen und dem Hitzestau völlig entzieht:

Das Festival Young Euro Classic als Treffen der besten Jugendorchester der Welt. Diese Konzerte lohnen selbst bei hochsommerlicher Trägheit allemal den Besuch, gerade weil die jungen Musikerinnen und Musiker aus allen Kontinenten stets für glutvolle, intensiv erspürte und ehrliche Interpretationen  sorgen. Ich kenne keinen Ort der klassischen Musik, wo so viel an Optimismus, künstlerischer Neugier, Lebensfreude und unmittelbarer musikalischer Lebendigkeit herrscht wie im Berliner Konzerthaus jeden August. Und das bei wahrlich moderaten Eintrittspreisen von 17, 24 bzw. die in der teuersten Kategorie 29 Euro.

Beim Schlussapplaus dürfen dann schon mal auch auf der Bühne die Tränen bei  Standing Ovations fließen. Das von der Altersstruktur her im Vergleich zum normalen Konzertbetrieb  etwas jüngere Publikum genießt die Ausnahmesituation und weiß auch um die integrative Bedeutung von Musik in einer sozial und gesellschaftlich erodierenden Welt.

Das nunmehr in sein stolzes 19. Jahr gehende Festival würdigt Nelson Mandela und Leonard Bernstein, zwei Persönlichkeiten, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag gefeiert hätten. Auch die traditionelle Festival Ouvertüre darf nicht fehlen, die diesmal von Iván Fischer stammt. Eine kurze harmlose Fanfare, als musikalischer Spaß gedacht.

 

 

Es ist nicht so, dass jedes Jahr dieselben Formationen als eine Art jährliches Familientreffen aufspielen. Heuer kamen erstmals  aus London die Southbank Sinfonia, aus Russland das Youth Chamber Orchestra of St. Petersburg und aus New York das NYO-Jazz mit Grammy-Gewinnerin Dianne Reeves. Daneben waren das National Youth Orchestra of Canada, das Auckland Youth Orchestra aus Neuseeland, die Georgian Sinfonietta, das Boston Philharmonic Youth Orchestra, das MIAGI Youth Orchestra aus Südafrika, das Bundesjugendorchester Deutschland, das Joven Orquestra Nacional de Espana, das Symphonieorchester der Musikakademie Ljubljana, das Nationale Jugendorchester Rumäniens, das Nationale Jugendorchester der  Niederlande, die Ungdomssymfonikerne aus Norwegen, das European Union Youth Orchestra, das Jugendsymphonieorchester der Ukraine und final das Schleswig-Holstein Festival Orchestra zu hören. Auf 30 erfolgreiche Jahre kann das SHFO inzwischen zurückblicken, seit es 1987 von Leonard Bernstein gegründet wurde. Und seit es Young Euro Classic gibt, war das Orchester meist mit von der Partie. Spielten sie im letzten Jahr zur Eröffnung, so war es diesmal der Abschluss am 20. August. Die Formation setzt sich jedes Jahr neu zusammen, studiert drei Wochen ein Programm und geht anschließend damit auf Tournee.

Das Konzert des SHFO stand unter der Patenschaft der Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg Patricia Schlesinger. Es dirigierte der auch als Pianist reüssierende Brite Wayne Marshall. Marshall, der seit 2014 die Funktion eines Chefdirigenten des WDR Funkhausorchesters Köln bekleidet, ist im Jubiläumsjahr weltweit einer der gefragtesten und berufensten Interpreten von Bernsteins Musik. Und die hat er wahrlich im Blut, wie sich das Publikum davon im Berliner Konzerthaus an diesem spätsommerlichen Montagabend überzeugen konnte. Mit sparsamen, ja kleinen aber präzisen Gesten schwingt er den Stab und sorgt so für optimale Spannung und atemberaubende Intensität. Auf dem Programm standen drei mitreißende Werke des schillernden Geburtstagskinds Bernstein: das ursprünglich als Filmmusik (,Die Faust im Nacken‘ mit Marlon Brando) gedachte und später zur Symphonischen Suite umgearbeitete Stück „On the Waterfront“, die Symphonischen Tänze aus „West Side Story“ und die fetzige Ouvertüre zum Musical ,Candide‘ nach der Vorlage von Voltaires gleichnamigen satirischem Roman.

Als älteste Komposition (1945) war eine traumhaft schöne Wiedergabe des in Hollywood geschriebenen dreisätzigen Violinkonzerts in D-Dur Op. 35 von Erich Wolfgang Korngold mit Charles Yang als Solisten zu erleben. Das musikalische Gipfeltreffen zwischen Korngold und Bernstein geht hier unentschieden aus. Beide wussten um die Klangmacht effektvoller, bisweilen plakativ-pathetischer Emphase, dennoch stets dichter Linienführung, raffinierter Instrumentierung und romantisch blühender Melodien. Bernstein als waschechter Amerikaner war sicherlich der größere Neuerer und Tüftler, Korngold hat als österreichischer Emigrant in spätromantischem Fahrwasser eines der letzten überzeugenden Glanzlichter in der Gattung Violinkonzert setzen können. Die Musik ist schön und flüchtig wie ein letzter Abschiedskuss einer großen Vergangenheit. Harfe, Celesta und Vibraphon sorgen für zusätzliche Farbtupfer in der klassisch auf breite Melodieführung und solistische Virtuosität setzenden Werks.

 

 

Der Star des Abends war Charles Yang als charismatischer Solist des Violinkonzertes. Locker auf die Bühne tänzelnd mit weiß-schwarzen Baskets, Jeans, aufgekrempeltem Hemd, begeistert der 28-jährige Amerikaner mit viril glühendem Ton. Sein Instrument klingt so satt und üppig wie ein Murmeltier vor dem Winterschlaf und gleichzeitig so sehnig drahtig wie die Muskeln eines Stabhochspringers. Charles Yang animiert die Streichergruppen zu Höchstleistungen. Freilich darf auch ein Hauch an Popstarallüre und Glamour-Show nicht fehlen. Als Zugabe vor der Pause, spielt, zupft, singt, haucht Yang den Rhythm & Blues Song „Stand by me“ von Ben E King. Das ganze Orchester fällt in die hinreißende Improvisation ein, bevor Altmeister Wayne Marshall sich ans Klavier setzt und gemeinsam mit Yang auch noch kurz vorführt, was sie an Free Jazz so drauf haben. Jubel.

Von Leonard Bernstein überrascht vor allem die musikalische Qualität seiner Ballettmusik zu dem Film ,Die Faust im Nacken‘.  Suspense und aggressiven Rhythmen, die die aufgeladenen Stimmung in den Docks der Hafenarbeiter widerspiegeln, stehen melancholische Soli von Alt-Saxophon und Flöte gegenüber. Hier wird die Liebesgeschichte zwischen Terry und Edie zelebriert. Ein Hornsolo leitet den heroischen Schluss à la Hollywood ein. Das Orchester darf hier alle Bravour und Glanz zeigen, in den vielen Soli reüssieren die Nachwuchsstars von morgen. Ein Wunder auch die Homogenität der Symphonischen Tänze aus der ,West Side Story‘ und der Drive in der kurzen aber effektvollen Ouvertüre zu ,Candide‘. Aus diesem Stück ist die virtuos-humorige Koloraturarie „Glitter and be gay“ am bekanntesten. Diven wie Gruberova, Dessay oder Fleming konnten so ihre Feuerwerke in den Opernhimmel abschicken. Am Programm stand die Arie aber leider nicht.

Insgesamt ein grandioser und unvergesslicher Abend, der Vorfreude auf das 20. Festival im Sommer 2019 erweckt.

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