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Tipps und Musik von den neun schönsten und exklusivsten sommerlichen Musikevents in der Schweiz

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Von Ingobert Waltenberger.

Kunst abseits des touristischen Mainstreams und eine überwältigende Natur, das sind die Markenzeichen etwa der Festivals in Gstaad oder Verbier. Aber auch das Mittelland hat was zu bieten. Das international so bedeutende Luzern-Festival  im architektonisch so eindrucksvoll gelegenen Kultur- und Kongresszentrum direkt am See von Jean Nouvel ist ja ohnedies ein Markenzeichen für sich.

In Kooperation mit der Radiotelevisione Svizzera und der NZZ am Sonntag hat Sony eine 13 CD starke Box in limitierter Edition veröffentlicht. Sie bietet akustische Kostproben aus den  eigenwilligen und programmatisch so charakteristischen Festivals in Ascona, Boswil, Davos, Ernen, Gstaad, Liestal, Luzern, Olsberg und Verbier. Alle Aufnahmen sind live Mitschnitte, und zur Freude einer klanglich anspruchsvollen Hörerschaft technisch exzellent aufbereitet.

Der eigentliche Anlass des Erscheinens der Box ist das 25-jährige Bestehen des Festivals in Verbier 2018. Die künstlerische Bandbreite der präsentierten Konzerte aus Ascona bis Verbier reicht von Kammermusik, Chorwerken, symphonischer Musik und mit dem Beitrag des Luzern-Festivals bis zur gemäßigten Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Ein Großteil der Aufnahmen sind neueren Datums, nur bei den Konzerten aus Verbier sind auch Ausschnitte älterer Konzerte der Jahre 2003 bis 2011 zu hören.

Das Ascona-Festival steht unter der künstlerischen Leitung des Pianisten Francesco Piemontesi, der auch Solist eines vom Chamber Orchestra of Europe und Sir Roger Norrington mit großer Innenspannung markant und dennoch fluid interpretierten musizierten dritten Klavierkonzerts von Beethoven ist. Hier heißt der Säulenheilige jedoch Wolfgang Amadeus Mozart. Jérémie Rhorer führte mit seinem Orchester ,Le Cercle de l‘Harmonie‘ 2016 die Symphonien Nr. 39, 40 und 41 auf. Zu erleben sind am Originalklang orientierte Beispiele von duftig transparenten Wiedergaben, keck und koboldhaft, kühn vorwärtsdrängend und dennoch stets elegant phrasiert.


 

Aus der Alten Kirche im aargauischen Bauerndorf Boswil sind die trotz kontrapunktischer Einlagen luftig schwebende Introduktion und das Allegro für Streichquartett und Streicher von Edward Elgar (Schumann Quartett) sowie fünf Lieder von Robert Schumann, etwas manieriert gesungen von Ian Bostridge zu vernehmen. Der englische Tenor ist auch Protagonist von „On Wenlock Edge“ von Ralph Vaughan Williams. Regula Mühlemann erweist mit ihrem samtig-lyrischen Sopran Henry Purcells „O let me weep“ und dem Publikum alle Ehre. Der wohl beste Schweizer Violinvirtuose der Gegenwart, Sebastian Bohren, geigt in „Chiaroscuro“ für Violine und Orchester von Gya Kancheli, nicht nur von Schatten zu Licht und wieder retour, sondern entzündet ein dunkel schimmerndes Kaleidoskop an melancholischen Farben, verinnerlicht und tief empfunden. Berührend.

Davos lässt mit dem „Young Artist in Concert“ und einem mutig und klugen Programm von Johannes Brahms, Christoph Blum, Carlo Gesualdo und Marc-André Dalbavie aufhorchen. Vor allem der musikalischen Spitzennachwuchs hat hier Gelegenheit zu Experiment und Erkundung neuer Querverweise, die – wie hier –  von der Renaissance bis zu zeitgenössischem Schaffen reichen. Kopf des Unterfangens ist der Klarinettist Reto Bieri.

Das Musikdorf Ernen im Goms dürften weniger Musikfreunde kennen. Klavier- und Kammermusik wird da auf hohem Niveau gespielt, aber auch Barockes musiziert. Wasser wird nur aus dem Dorfbrunnen getrunken, in der Musik gibt es besten Wein, wie anhand  von Beethovens Violinkonzert (mit Lily Francis), dessen „Geistertrio“, sowie des Oktetts in C-Dur und der Rumänischen Rhapsodien von George Enescu staunend zu verkosten ist.

Gstaad, als einer der teuersten Plätze der Welt und anno dazumal als winterlicher Tummelplatz von Liz Taylor und Richard Burton bekannt, glänzt auch heute noch mit allem, was in der Klassik gut und teuer ist. So hat Jonas Kaufmann hier im August dieses Jahres den Siegmund im ersten Akt der Walküre gesungen und seine endlosen Wälse-Rufe zu den Berggipfeln hinauf geschmettert. Auf den beiden CDs des Gstaad Menuhin Festival & Academy ist aber nicht Wagner, sondern Bach, Britten und vor allem eine exzellente Wiedergabe von Mozarts „Requiem“ zu hören. Das Gabrieli Consort &Players unter Paul McCreesh erweisen sich ein Mal mehr als berufene Anwälte dieser Musik.

© Sony Music

Wer hat schon vom Liestal Vivacello Festival Kunde vernommen? Andreas Fleck zeichnet wie in Boswil für das künstlerische Konzept verantwortlich. 2016 standen in der Stadtkirche Haydns Symphonie „Der Morgen“, Arnolds Schoenbergs „Verklärte Nacht“ sowie Giovanni Sollimas Konzert für Cello und Orchester„Fecit Neap 17…“ auf dem Programm.

Alphabetisch geht es mit Luzern weiter. Das mit Namen wie Furtwängler über Karajan, Kubelik und Abbado verbundene mythische Festival will mit den auf der Box ausgewählten Stücken jedoch ein Bekenntnis zur klassischen Moderne und zeitgenössischen Musik ablegen: Jeder kann bei Anton Weberns „Sechs Stücke für großes Orchester“, Olga Neuwirths „Trurliade – Zone Zero“ und Wolfgang Rihms „Gruss-Moment“ sein Zutrauen und den persönlichen Zugang zu Zwölftönern und anderen Neuerern auf dem Sofa liegend auf den Prüfstand stellen.

Der Fricktaler Zauberort Olsberg hat nicht nur eine schöne barocke Kirche mit einem kleinen Türmchen, sondern ist auch zur zweiten Heimat der argentinischen Cellistin Sol Gabetta geworden.  Der Star hält mit Freunden kammermusikalisch Hof an drei aufeinander folgenden Wochenenden rund um die Sommersonnenwende. Das Solsberg-Festival war 2013 Ort der Begegnung von Gabetta mit dem aus Toulouse stammenden Pianisten Bertrand Chamayou, mit dem sie ein fast rein russisches Programm von Dmitri Shostakovich (Aus jüdischer Volkspoesie, Cellosonate in d-Moll) bis Rachmaninoff (Cellosonate in g-Moll) absolvierte. Das auf CD festgehaltene Konzert ist vor allem dank Chamayou einer der  glänzenden Höhepunkte der Box.

Zur Krönung kommt das Geburtstagskind Verbier mit großen Namen und noch immer jugendlichem Ungestüm zu Ehren. Martha Argerich, James Levine, Evgeny Kissin, Mikhail Pletnev, András Schiff, Lynn Harrell, Joshua Bell und Leonidas Kavrakos sind mit ihrer Mitwirkung bei Musik Mahlers, Bachs, Haydns, Rachmaninoffs und Ysayes mit- und hinreissende Zeugen der unglaublich reichen Festspielgeschichte. Festivalintendant Martin Engström weiß, dass er – nicht zuletzt um mit Gstaad mithalten zu können – viel aufbieten muss: Vier Konzerte an einem Abend sind keine Seltenheit, dazu kommen gratis Generalproben, öffentliche Meisterkurse, Künstlergespräche oder Jazz auf dem Dorfplatz. Als Festivalbesucher kann man da schon einmal überfordert sein. Nicht so der Hörer der vorliegenden Box, die häppchenweise und ohne Hektik, vor allem aber zu moderaten Preisen genossen und immer wieder gehört werden kann. Und dem vielleicht in Österreich oder Deutschland noch zu wenig bekannten sommerlichen Festivalland Schweiz ein insgesamt hervorragendes Zeugnis ausstellt.

Classical Music Festival in Switzerland
13 CDs inkl. Booklet
Hrsg: NZZ und neun Schweizer Sommerfestivals Ascona, Boswil, Davos, Ernen, Gstaad, Liestal, Luzern, Olsberg und Verbier, Sony Classical (Sony Music)2018
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