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Statt Kino: „Sløborn“. Ein Pandemie-Schocker in Corona-Zeiten

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Die ZDF-Serie in acht Episoden ist rein fiktiv, sie entstand im Herbst 2019, also noch vor dem Corona-Ausbruch. Ingobert Waltenberger hat sie gesehen und findet: „Sløborn“ ist eine der besten deutschen Serien ever.

Sie erzählt von normalen Kleinbürgern, einem verlorenen Künstler, dem Einbruch des Dunkels, einer tödlichen Seuche, einer knüppelnden Staatmacht, mit dem Sog hin zu einer in Blutrot explodierenden Apokalypse.

Husten und Fieber. Das rot verschmierte, bluttropfende Auge signalisiert, bald ist es aus. Das mörderische Virus greift dich an der Gurgel. Es gibt kein Entrinnen. Die alternativlose Lösung der Regierung: Der bewaffnete Einsatz des Heeres, um die Insel komplett zu evakuieren. Jedes Haus wird durchforstet. Wer nicht „kooperiert“, wird gewaltsam auf Laster verfrachtet. Wohin geht die Reise? In eine Klinik nach Kiel, wo Forschungen zur Herstellung eines Gegenmittels vorgenommen werden, die zum Tod der Patienten führen? Wie die Schülerin Evelin selbst erleben muss: Viele werden sterben in dieser völlig außer Kontrolle geratenen Spitalshölle. Oder in ein Lager mit anderen Infizierten, wo auch noch dem letzten Gesunden der Tod blüht. Das höhere Gut der Volksgesundheit als Rechtfertigung? Der Impfstoff? Es wird geforscht….

Der geniale auf Suspense bedachte Serienregisseur Christian Alvart („Dogs of Berlin“) und sein Co Adolfo Kolmerer gehen die Sache zunächst gemächlich an: Eine biedermeierlich spießige Gesellschaft üblicher Normalos und Nerds auf einer fiktiven deutschen Nordseeinsel an der Grenze zu Dänemark. Wie in Zeitlupe steigert sich dieses „Slow burn“ vom banal bürgerlichen Alltag bis zu einem düsteren Weltenbrand ganz nach deutscher Art.

Der Reihe nach: Die sympathische 15-jährige Evelin (Emily Kusche) leidet unter der angekündigten Scheidung ihrer Eltern (Wotan Wilke Möhring, Annika Kuhl). Sie selbst erwartet ein Kind von ihrem feschen Lehrer. Der kokssüchtige Autor Nikolai Wagner (oscarverdächtig Alexander Scheer) kommt auf Einladung der bigotten Buchhändlerin Merit Ponz (Laura Tonke) in das in Langeweile erstarrte Dorf, um für Rentner aus seinem Erfolgsroman zu lesen. No money und eine Schreibblockade sind die Antriebsfedern des lädierten Literaten. Magnus Fisker (Roland Möller) will mit straffällig gewordenen Jugendlichen ein baufälliges Gehöft instandsetzen. Das sensible Bürschlein Hermann Schwarting (Adrian Grünewald), Sohn des brutalen Polizisten Mikkel Schwarting (Urs Rechn), wird grausam von Mitschülern drangsaliert und vom Vater verdroschen, bis sich das Blatt wendet und er zum rebellischen Helden mutiert.

Das wie schwarze Gewitterwolken heraufziehende Unheil kündigt sich in Form einer gestrandeten Segelyacht an: Die Halbstarken Fiete Mansur (Tim Bülow), Louis, Ole und Hermann stoßen an Bord auf die Leichen eines amerikanischen Paares. Auf dem Handy finden sie verstörende Bilder, die belegen, dass die Oldies an der „Taubengrippe“ gestorben sind. Kurz darauf zeigen auch zwei der drei Teenager erste Symptome….

Unheimlicherweise gibt es viel von dem zu sehen, was auch jetzt irritiert: Drastische Einschränkungen von Freiheit, nicht beachtete Hygiene- und Abstandsregeln, Lügen und Zurechtbiegen der Wirklichkeit, bis der Arzt kommt und alle Arten von Beschwichtigern und Untergangspropheten. Im Strudel des Finales gewinnt die Fiktion die Oberhand: Die Bundeswehr geht brutal mit Schlagstöcken gegen die Bevölkerung vor, die Zwangs- Evakuierung wird mit aller Härte vollzogen, zurück bleibt eine Handvoll geläuterter Widerständler.

Darunter in erster Linie der Schriftsteller Nikolai Wagner, der wieder zurück zum Pfad des Schreibens findet, mit Kindern und einem fertigen Manuskript im Schlepptau will er im Boot nach Dänemark.

„Sløborn“ ist großes visionäres Schauspielerkino à la Steven Spielberg, mit einer Kameraführung genauso scharf wie die politische Botschaft, die sich gewaschen hat. Vorbilder wie Hitchcock, Kubrick oder Lean samt deren Bildästhetik sind leicht auszumachen.

Einige Fakten: Gedreht wurde auf der ostfriesischen Insel Norderney und im polnischen Badeort Sopot. Das Serienkonzept wurde auf vier Staffeln ausgelegt. Die ersten sieben Folgen dauern je 45 Minuten, der Showdown in der achten eine Stunde.

Am 23.7. wurde die komplette Staffel in der ZDF Mediathek erstveröffentlicht. Am Tag darauf erschien die Serie auf Blu-ray und DVD.

Wie es Cast & Crew dabei erging, als die Wirklichkeit die Fiktion plötzlich einholte, erzählen sie hier. „Sløborn“ ist bis Ende Januar 2021 in der ZDF Mediathek abrufbar.

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