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„I said ‚Auf Wiedersehen‘ – 85 Jahre Kindertransport nach Großbritannien“

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Das Paul-Löbe-Haus in Berlin präsentiert in einer Ausstellung ausgewählte Briefe von jüdischen Familien, die ihre Kinder vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten mit einem Kindertransport nach Großbritannien retten konnten. Der Schmerz der Trennung in jeder Zeile geht unter die Haut. Von Barbara Hoppe.

„Hier wird Weltgeschichte gezeigt.“ Als Hella Pick diese Worte spricht, stockt einem für einen Moment der Atem. Weltgeschichte. Ein treffendes Wort für etwas, das im öffentlichen Bewusstsein und in der Erinnerungskultur immer noch unterrepräsentiert ist. Und dabei doch weit über Weltgeschichte hinausgeht.

Hella Pick war eines von 10.000 jüdischen Kindern, die zwischen 1938 und 1939 – bis zum Ausbruch des Krieges – mit einem der sogenannten Kindertransporte nach Großbritannien kam. Ein Weg, der eindrücklich zeigt, was sich in Deutschland über Jahre zusammengebraut hatte und wie gefährlich die Lage für Juden hier, aber auch in Österreich und in der Tschechoslowakei geworden war. Eltern, die ihre Kinder in ein fremdes Land in eine fremde Familie schicken, um sie vor dem Tod zu retten und wohl wissend, sie wahrscheinlich nie wiederzusehen, erleben eine schmerzhafte Grenzerfahrung, die Weltgeschichte unter ein emotionales Brennglas legt. Hella Pick hatte dabei noch Glück im Unglück. Ihre Mutter konnte drei Monate später der Tochter nachreisen. Doch die meisten Kinder, die in Großbritannien ein neues Zuhause gefunden hatten, sahen ihre Eltern nie wieder.

Ohne Wiedersehen

Fünf Familiengeschichten unter den Überschriften „Abschied“, „Neues Zuhause“, „Entfremdung“, „Sehnsucht“ und „Ungewissheit“ führen auf großen Tafeln exemplarisch durch die aufgewühlten Gefühle, durch Trauer, aber auch durch zum Ausdruck gebrachte Hoffnung, sich eines Tages wiederzusehen. So gab Ferdinand Braun seiner Tochter Ursula zehn Leitsätze mit auf den Weg, nach denen sie in Großbritannien leben sollte.

Kindertransport-Ilse-Majer
Foto: Feuilletonscout

Ilse Majer fand als Zehnjährige ihr neues Zuhause bei Lady Howard-Stepney, deren Tochter und Schwiegersohn. Der sechsjährige Heinz Lichtwitz entfremdete sich bereits nach wenigen Monaten seiner deutschen Heimat vollständig und sprach bereits nach kurzer Zeit nur noch Englisch, selbst im Briefwechsel mit dem Vater. Unendliche Sehnsucht spricht aus den Worten des Vaters von Gerda Stein zu ihrem Geburtstag: „“PUNKT 12 Uhr MITTAG einen Blick auf die Sonne werfen und alle im selben Moment Prag = London = Lemberg beisammen sein und hoffen, daß wir einmal Hand in Hand zusammen sind“. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen sollte. „Worried as no letters from you“ drückt die tiefe Angst der Pflegeltern von Hannah Kuhn in einem Brief an deren Eltern aus. Die Kommunikation war schließlich nur noch durch Telegramme über das Deutsche Rote Kreuz möglich. 1942 wurden Hannahs Eltern in Auschwitz ermordet. Hannah nahm den Namen Ann an. Heute lebt sie mit ihrem Mann Bob Kirk in London.

Kuratorin Ruth Ur besuchte Ann Kirk im Dezember 2023 anlässlich der Ausstellung „I said, ‘Auf Wiedersehen‘ – 85 Jahre Kindertransport nach Großbritannien“.

Realisiert werden konnte die Ausstellung durch die Bernhard Leibinger Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis Yad Vashem e.V., der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem, der Wiener Holocaust Library, der Association of Jewish Refugees und dem Deutschen Bundestag. Ruth Ur, Geschäftsführerin des Freundeskreises Yad Vashem in Deutschland, kuratierte die Ausstellung. Eines ihrer großen Anliegen mit der Schau ist, das Herz der Besucher anzusprechen und das Thema damit ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu holen.

Die großartige Leistung aller Beteiligten, in aufwändiger Recherchearbeit diese Ausstellung ermöglicht zu haben, ist nicht genug zu würdigen. In Zeiten des zunehmenden Antisemitismus, der immer häufiger hervortretenden Ab- und Ausgrenzung von Menschen in gesellschaftlichen Bereichen und Diskussionen, der zunehmenden Verrohung von Sprache und Abkehr von humanistischen Werten ist „I said ‚Auf Wiedersehen‘“ ein immens wichtiger Beitrag zur Sensibilisierung gegenüber destruktiven Entwicklungen.

„I said ‚Auf Wiedersehen‘ – 85 Jahre Kindertransport nach Großbritannien“

Die Ausstellung wird vom 31. Januar bis zum 23. Februar 2024 in der Halle des Paul-Löbe-Hauses gezeigt. Sie kann montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr besucht werden. Donnerstags ist die Ausstellung von 9 bis 19 Uhr geöffnet.

Der Besuch ist kostenfrei.

Für den Besuch der Ausstellung ist spätestens zwei Werktage vor dem gewünschten Besuchstermin eine Anmeldung per E-Mail an ausstellungen(at)bundestag.de oder über die Website des Bundestags notwendig. Aus organisatorischen Gründen ist ein Besuchsbeginn jeweils nur zur vollen Stunde möglich. Spätester Besuchsbeginn ist jeweils 17 Uhr und am Donnerstag jeweils 18 Uhr.

Die Ausstellung ist über den Westeingang des Paul-Löbe-Hauses, Konrad-Adenauer-Str. 1, 10557 Berlin zugänglich. Bitte finden Sie sich 15 Minuten vor dem Besuchstermin beim Personal der Westpforte ein, damit ausreichend Zeit für die Einlasskontrolle besteht.

Führungen
Dienstags 11 Uhr
Mittwochs 11 Uhr und 15 Uhr
Donnerstags 18 Uhr
Anmeldeformular

Buchvorstellung: The Kindertransport: What Really Happened (2023) am 6. Februar, 18 Uhr, Paul-Löbe-Haus (Westeingang). Anmeldung unter ausstellung@bundestag.de

Hella Pick
Unsichtbare Mauern: Autobiografie
Czernin Verlag, Wien 2022

Die traumatischen Erfahrungen der Kinder und Eltern durch die Trennung zeigt der Oscar prämierte Dokumentarfilm Into the Arms of Strangers: Stories of the Kindertransport aus dem Jahr 2000.
bei amazon prime (für Mitglieder kostenfrei, für Nicht-Mitglieder ab 2,99 Euro) hier

Ein stiller Held: Nicholas Winton

Am 28. März 2024 erscheint der Film „One Life“ in Deutschland. Er erzählt die Geschichte  von Nicholas Winton, der kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs die Rettung von 669 jüdischen Kindern aus der Tschechoslowakei organisierte.

Sir Nicholas Winton who saved 669 kids from Death Gets a Tearful Surprise on TV


Trailer ONE LIFE

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„I said ‚Auf Wiedersehen‘ – 85 years of Kindertransport to Great Britain“
The Paul-Löbe-Haus presents a poignant exhibition featuring selected letters from Jewish families who, through Kindertransport, saved their children from the National Socialists by sending them to Great Britain. The parents who sent their children abroad to save them from death underwent a painful borderline experience, which the exhibition places under an emotional magnifying glass.

The exhibition unfolds five family narratives under the headings „Farewell,“ „New Home,“ „Estrangement,“ „Longing,“ and „Uncertainty.“ These stories exemplify tumultuous emotions, sorrow, hope, and the suffering of families who might never reunite.

Made possible by the Bernhard Leibinger Foundation in collaboration with various organizations, the exhibition becomes a significant contribution to raising awareness amid the rising antisemitism and societal exclusion. „I said ‚Auf Wiedersehen'“ serves as an important testament to sensitizing people to destructive developments.

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