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„Fast Fashion. Die Schattenseite der Mode.“ Die Ausstellung in Berlin ist gut und wichtig

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Rezension von Barbara Hoppe.

Hand aufs Herz: Wie oft denken wir noch an den großen Brand in Bangladesch? Als vor sechs Jahren bei dem Einsturz des Rana Plaza über 1.000 Menschen starben? Frauen und Männer, die unter menschenunwürdigen Bedingungen und zu Billigstlöhnen Kleidung für die Welt produzierten. Wer denkt an die vielen anderen Menschen, die an ähnlichen Orten bei Bränden oder durch mangelhaften Arbeitsschutz starben oder schwere gesundheitliche Schäden davontragen?

Jeans-Näherei in Semarang, Indonesien, 2018 © M. Fuchs

Wohl kaum einer, der morgens in seine wasserdichte, dennoch atmungsaktive Funktionsjacke schlüpft, keine, die noch schnell das hippe T-Shirt oder das elegante Designerkostüm kauft, weil es in dieser Saison gerade so unglaublich en vogue ist. Wir vergessen schnell, wenn es um die Befriedigung unserer Eitelkeiten geht, unserer vermeintlichen Bedürfnisse nach Neuem und dem Wunsch, für all das bloß nicht zu viel zu bezahlen. Die Frage bleibt, was „zu viel“ in diesem Zusammenhang bedeutet. Der Materialwert ist es meistens nicht, der uns Geld kostet. Es sind exorbitante Margen sowie Personal- und Lohnkosten, die den Preis eines Produkts in die Höhe treiben. Und die sind in Ländern wie Bangladesch, wo Menschen – überwiegend Frauen – zu einem Lohn, mit dem sie kaum überleben können, zusammengepfercht auf engstem Raum, im Akkord unsere Kleidung zusammennähen, sehr niedrig. Ist es also zu viel, diesen Menschen einen Lohn zu zahlen, von dem sie leben können? Denn an dem, was wir für wenig kaufen, verdienen am wenigsten die Näherinnen. Ganz zu schweigen von Designerkleidung, die für horrende Summen über die Ladentische der westlichen Welt gehen. Was bleibt am Ende für die Menschen in den Fabriken übrig? Nachdem die Weltöffentlichkeit, vor allem die westliche, etwas genauer hinschaut, eventuell ein bisschen mehr, erklärte erst kürzliche die Direktorin der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Berlin, Annette Niederfranke, im Rundfunk Berlin-Brandenburg. Aber noch immer gebe es genug Länder auf dieser Welt, in denen die Produktionsbedingungen keine Rolle spielten.

Die Ausstellung „Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode“ legt den Finger tief in die Wunde unseres gedankenlosen Konsumverhaltens. Wenn binnen 48 Stunden neue Kollektionen entstehen, kann es nicht menschengerecht zugehen. Allein der aufgezeigte Kreislauf der Rohware bis zur Entsorgung jagt einem den Schauder des Irrsinns über den Rücken. Einmal rund um die Welt geht es: Zwischen dem Baumwollanbau in China bis zu Entsorgung in den Staaten Afrikas liegt der kurze Modehype in Europa und den USA. Was an den Körpern von Menschen durch die Straßen von New York, Rom oder Berlin getragen wird, hat Arbeiterinnen, versunken in Baumwollbergen fast ersticken lassen, Färber durch mangelnden Schutz beim Umgang mit Chemikalien krank gemacht, die Umwelt schwer geschädigt und häufig hunderte von Menschen in Nähfabriken Sklavenarbeit verrichten lassen.

Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode, Ausstellungsansicht
© Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / David von Becker

Die Schau selbst zeigt schlicht, aber eindringlich, was auf der Rückseite der schillernden Modewelt los ist. Neben Bildern weißer Menschen mit hübschen Blusen und Shirts steht das Zitat einer Arbeiterin oder eines Arbeiters aus den Produktionsländern, die von sexueller Nötigung, mangelndem Mutterschutz und anderem Missbrauch erzählen. Auch diese Geschichten stecken in unserer Kleidung.

Doch gibt es auch Hoffnung. Ein ganzer Raum der Ausstellung ist der Slow Fashion gewidmet. Hier präsentieren sich Modelabels und Unternehmen, die nachhaltig produzieren, Upcycling Fashion betreiben oder Plattformen bieten, Kleidung zu tauschen. Dass diese Produkte nicht wie Jutesäcke aussehen müssen, zeigen die sexy schwarzen Dessous von Lovjoi ebenso wie die formschönen Ledertaschen der Designerin Rut Meyburg. Selbst Tchibo hat mit Tchibo Share einen Mietservice für Kinderkleidung eingerichtet, um den Verbrauch im besonders kurzlebigen Kinderkleidungszyklus‘ zu reduzieren.

Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode, Ausstellungsansicht
© Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / David von Becker

„Fast Fashion“ ist keine Gute-Laune-Ausstellung. Je länger man schaut und liest, umso mehr schämt man sich für die Kleiderberge in deutschen Kaufhäusern und im eigenen Kleiderschrank. Am liebsten würde man alles entsorgen. Das ist sicher nicht nötig. Aber vielleicht muss man nicht mehr so viel und sofort alles kaufen, was die Mode an Anreizen produziert. Weniger ist mehr, ist nachhaltiger und ja, vielleicht auch ein kleines bisschen teurer. Doch das sollten Menschenleben und Umwelt uns wert sein.

Fast Fashion. Die Schattenseite der Mode
Ausstellung bis zum 2. August 2020

Museum Europäischer Kulturen
Arnimallee 25
14195 Berlin

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag: 10 bis 17 Uhr
Samstag und Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Montag: geschlossen

8 Euro / 4 Euro

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