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Eine Heilige für unsere Zeit und für alle Zeiten

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In der Aufführung der Giovanna d’Arco von Giuseppe Verdi bei den Opernfestspielen Heidenheim beweist die heilige Kämpferin wiederum ihre Resilienz. Diesmal hat sie sich gegen eine allzu leichtgewichtige italienische Oper und eine widersinnige Inszenierung zur Wehr zu setzen. Die musikalische Gestaltung freilich kann sich hören lassen.
Von Stephan Reimertz.

Wie viele Leser verabscheute Friedrich Schiller Voltaires Spottgedicht La Pucelle, in dem sich der alte Spötter über Johanna von Orléans ausließ, um Kirche und Monarchie zu treffen. Im Morgenlicht des neuen Jahrhunderts stellte der Dichter Voltaires Verssatire sein heroisch-statuarisches Drama Die Jungfrau von Orléans entgegen. Das dramatische Gedicht kann als eines der schönsten Kunstwerke gelten, die je ein Schöpfer der Nationalgestalt eines anderen Landes gewidmet hat. Giuseppe Verdi griff das Gedicht mitten in seiner klassisch-italienischen Phase auf. Der Ferrarese Temistocle Solera schuf ihm ein Libretto, und Mitte Februar 1845 wurde Giovanna d’Arco an der Scala uraufgeführt. Nun durften die Besucher der Heidenheimer Opernfestspiele das allzu selten gespielte Werk wiedersehen. Beherzter Schwung und musikalische Subtilität kennzeichnen die Aufführung ebenso wie beachtliche solistische Leistungen und eine leider verfehlte Inszenierung.

„Giovanna d’Arco“ bei den Opernfestspielen Heidenheim 2023 im Festspielhaus CC,
Inszenierung Ulrich Proschka, musikalische Leitung Marcus Bosch
Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn_(c)_Oliver Vogel

Respekt für die Künstler

Zuvörderst sind der unerschrockene Kapellmeister Marcus Bosch, die Capella Aquileia und der tschechische philharmonische Chor Brünn zu loben, die in vollem Blick auf das große Ganze keines der liebevoller Details unter den Tisch fallen lassen, mit denen Verdi seine Oper aufludKarl VII., König von Frankreich fand in dem mexikanischen Tenor Héctor Sandoval eine mirakulöse stimmliche Gestaltung, welche sich aus rauen Anfängen immer mehr ins Feinsängerische kultivierte.
Jakob, ein Landwirt in Domrémy, war in Luca Grassi als Bariton wie fürs Verdifach neugeboren in dessen Ausgeglichenheit zwischen Festem und Weichem. Johanna, seine Tochter (Sopran), sah sich in Sophie Gordeladze mit einer aufregenden, zwischen Belcanto und Koloratur schillernden Stimme inkarniert. Delil, ein Offizier des Königs, (Martin Piskorski) und Talbot, Oberbefehlshaber der Engländer (Bassist Rory Dunne) konnten sich sehen und hören lassen und wurden beide dem gehobenen Sujet ebenso wie dem Festspielrahmen gerecht.

Inszenierung daneben

Das Libretto sieht an Chor und Statisten vor: Hofstaat, Offiziere, französische und englische Soldaten, Beamte, Wachen, Volk, böse und gute Geister. Von Ärzten und Krankenschwestern ist nicht die Rede. Auch dürfte das vorgeschriebene Jahr 1429 kostümgeschichtlich nicht allzu schwer zu staffieren sein. Was wir aber in Heidenheim sehen, ist ein Krankenhaus. Die Schwestern tragen außer weißen Kitteln schwarze Midi-Kleider. Warum nicht auch schwarze Häubchen bei diesen Palliativschwestern? Wie heißt es im Libretto?

Orda immensa di barbari ladri
Questa misera terra distrugge.

Psychiatrisierung einer tragisch-heroischen Figur

Die heilige Kämpferin ins Krankenhaus zu stecken ist perfide. Johannas Visionen waren politisch-theologischer Natur. Sie zu psychiatrisieren zeigt also ein grundsätzliches Nichtverstehen des Stoffes und seiner Motive und erinnert an dem Umgang totalitärer Staaten mit charismatischen Oppositionellen. Nach Kirche und Staat hat hier das Theater Johanna zum dritten Mal verraten. In einer Militärdiktatur, die sich der Kirche als eines Aushängeschildes mit Hilfe eines Konkordates bedient, das auf blechernen Füßen steht; da hätte eine solche Inszenierung Sinn gehabt: In Italien, als Mussolini die Via delle Conciliazione baute, in Argentinien, als die Junta die Falklandinseln überfiel. Ob das Regieteam da die Chuzpe gehabt hätte, ihre angeblich so provokative Inszenierung vorzuführen? Einer erschöpften, relativistischen Gesellschaft dergleichen bei Opernfestspielen vorzusetzen, kann als wohlfeil bezeichnet werden.

„Giovanna d’Arco“ bei den Opernfestspielen Heidenheim 2023 im Festspielhaus CC,
Inszenierung Ulrich Proschka, musikalische Leitung Marcus Bosch
Rory Dunne, Sophie Gordeladze, Héctor Sandoval, Chor, Statisterie_(c)_Oliver Vogel

Ikone der ecclesia pugnans wie des christlichen Staates

Die begnadete musikalische Interpretation bei den Heidenheimer Opernfestspielen machte die einzigartige Stellung von Giovanna d’Arco in der Musikgeschichte als eines der Versprechen Verdis an die Ewigkeit wiederum deutlich. Die von Staat und Kirche verratene Jungfrau zur leuchtenden Fackel der kämpfenden Kirche wie des katholischen Frankreichs war musikalisch präsent und ließ uns Zuschauer durch eine vermurkste Inszenierung hindurch die charismatische Herrschaft der Jungfrau empfinden. In der Hymne Das Mädchen von Orléans, die Schiller im Jahre 1801 dichtete, wenn man so will, als Trailer zu seinem Stück, das zugleich in Leipzig uraufgeführt wurde, stellt der Dichter fest:

Krieg führt der Witz auf ewig mit dem Schönen,
er glaubt nicht an den Engel und den Gott.


Doch, wie du selbst, aus kindlichem Geschlechte,
Selbst eine fromme Schäferin wie du,
Reicht dir die Dichtkunst ihre Götterrechte,
Schwingt sich mit dir den ewgen Sternen zu,
Mit einer Glorie hat sie dich umgeben,
Dich schuf das Herz, du wirst unsterblich leben.

Und dann fallen die berühmten Verse:

Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabne in den Staub zu ziehn,
Doch fürchte nicht! Es gibt noch schöne Herzen,
Die für das Hohe, Herrliche entglühn…

Unserer kleinen Gruppe von Nerds – Autoren von Musikmagazinen, Berufsmusiker, eine berühmte Schweizer Operndiva – waren in Heidenheim reizende Begleiterinnen zuattachiert, die uns in die Geheimnisse der Festspielstadt einweihten. Neben einer Führung durch das örtliche Museum, das in einem Jugendstil-Bad untergebracht ist, und einer Wanderung durch die Schwäbische Alb, war es vor allem der Besuch der Abtei von Neresheim, der die Besucher begeisterte. Als Ergänzung zu jener ecclesia militans, deren schönste Verkörperung uns Kapellmeister, Chor, Solisten und Orchester am Vorabend präsentierten, erlebte man in diesem Hauptwerk Balthasar Neumanns die ecclesia triumphans. Der Besuch erfüllte uns mit der Hoffnung, die Heidenheimer Opernfestspiele könnten in ihrer privilegierten Stellung am Rande des Opern- und Festspielbetriebs eine Chance erblicken.

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A saint for all time: Giovanna d’Arco at the Heidenheim Opera Festival
The performance of Giuseppe Verdi’s Giovanna d’Arco at the Heidenheim Opera Festival shows the impressive resilience of the saintly fighter. Despite a questionable staging and a light Italian opera, the musical design comes across well.
The libretto by Temistocle Solera served as the basis for Verdi’s opera, which premiered at La Scala in 1845. At the Heidenheim Opera Festival, the rare work was performed again and impressed with the powerful musical interpretation by Kapellmeister Marcus Bosch, the Capella Aquileia and the Czech Philharmonic Choir Brno. The soloists, especially Mexican tenor Héctor Sandoval as King Charles VII of France, Luca Grassi as Jacob and Sophie Gordeladze as Joan, shone with remarkable performances.
However, the staging marred the overall experience. Instead of doing justice to the historical context, the action was moved to the hospital and Johanna was psychiatrised. This misunderstood the political-theological motifs.
Despite this disappointment, the musical interpretation highlighted Giovanna d’Arco’s unique place in music history. The opera embodied Verdi’s promise of eternity and showed the militant power of St. Joan. A hymn by Schiller underlined the importance of the character and her charismatic reign.

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