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Ein Buch wie der Swing: „Swing Time“ von Zadie Smith

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Rezension von Kirsten Niemann

Sie sind sieben Jahre alt und wollen tanzen. Die eine hat Talent, die andere Plattfüße. Die Mädchen werden dennoch Freundinnen. Die namenlose Ich-Erzählerin und Tracey verbringen ihre Nachmittage damit, alte Tanzfilme wie „Swing Time“ zu schauen. Diesem Film mit Fred Astaire und Ginger Rogers hat die Autorin ihren Romantitel entliehen. Aber sie haben noch mehr gemeinsam: Beide leben in Sozialwohnungen in Kilburn, im Nordwesten Londons. Und beide sind Kinder eines schwarzen und eines weißen Elternteils. „Als hätte man ein Stück hellbraunen Stoff durchgeschnitten, um uns daraus zu machen.“ Wobei Tracey darauf besteht, bei der Ich-Erzählerin sei es „falsch rum“. Denn meist sind in dieser Nachbarschaft die Mütter weiß und die Väter schwarz.

Genau dieser kleine Unterschied wird zur Klassenschranke: Der schwarzen Mutter, einer Feministin mit raspelkurzem Afro, sind Bücher heilig. Ihre Tochter soll lernen, später studieren. Traceys Mutter, „weiß, übergewichtig, aknegeplagt“ und mit einem Hang zu Bling Bling und Kleidermarken, die sie sich gar nicht leisten kann, unterstützt die Tanzleidenschaft ihrer begabten Tochter. So kommt es, dass Tracey tatsächlich Tänzerin wird und Rollen in Musicals bekommt. Die Ich-Erzählerin hingegen wird nach ihrem Studium persönliche Assistentin von der Popsängerin Aimee, lässt sich von dieser mit Haut und Haar verschlingen – bis es zur Katastrophe kommt.

„Swing Time“ liest sich locker, wie der Swing. Mal springt die Handlung ein paar Jahrzehnte vor, spielt in New York und Westafrika, um dann wieder in das London der 80er-Jahre zurückzukehren. Das Thema Tanz spielt in der Geschichte eine ebenso große Rolle wie die Hautfarbe der Tänzer. Die Mädchen möchten gerne an diese Legende glauben, die besagt, dass Fred Astaire von Michael Jackson den Moonwalk lernen wollte. Sie möchten glauben, dass die schwarzen Stepptanz-Größen der 30er-Jahre, Bonjangles und Jeni LeGon, von den Weißen respektiert wurden. Tatsächlich haben Ginger Rogers und Fred Astaire nie ein Wort mit ihnen gesprochen. Zadie Smith – übrigens Tochter eines weißen, britischen Vaters und einer Jamaikanerin – geht hier der Frage nach, inwiefern Hautfarbe und Herkunft über das Schicksal eines Menschen entscheiden. Für eine Schule, die die reiche Sängerin Aimee in einem westafrikanischen Land bauen lässt, reist die Erzählerin immer wieder auf den schwarzen Kontinent, den sie mit denselben Vorbehalten betrachtet wie die Menschen, die in London oder New York leben – egal welcher Hautfarbe sie angehören. In dem abgelegenen afrikanischen Dorf treffen Kulturen und Vorurteile mit Wucht aufeinander. Die Wahrnehmung ist immer auch eine Frage des Standpunkts. „Ja, es wurde ständig die größte Mühe aufgewendet, mich vor der Realität zu schützen. Schließlich kannten sie Leute wie mich. Sie wussten, wie wenig Realität wir verkraften konnten“, schreibt sie über ihren Aufenthalt in Afrika. Das „wir“ meint in diesem Fall die westliche Gesellschaft der Weißen. So erzählt „Swing Time“ nicht nur von den Ballettträumen kleiner Mädchen, von Bildungschancen und der Bedeutung von Herkunft und Hautfarbe. Sondern auch von verschiedenen schwarzen Identitäten.

Zadie Smith
Swing Time
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017
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Coverabbildung © Kiepenheuer & Witsch Verlag

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