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Als Discos noch „Schachtel“ und „Xanadu“ hießen. Michel Decar „Tausend deutsche Diskotheken“

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Michel Decars Held rast durch die Bundesrepublik der achtziger Jahre, stolpert bisweilen und kommt dabei ganz schön außer Atem. Von Barbara Hoppe.

Dieses Cover. Ist das nicht Al Bano? Eben jener, der mit Romina Power sang und dabei immer so weit den Mund aufriss? Felicità… lalalalalala… Felicità…. Und wir sind mittendrin, in dem Jahrzehnt des Wohlstands, an dessen Ende eine steigende Arbeitslosigkeit und die große Wende standen.

Frankie ist Privatdetektiv und kann sich mit dem Job kaum über Wasser halten, was ihn aber nicht davon abhält, wie ein Schlot Marlboro Menthol zu rauchen und permanent in Kneipen abzuhängen, wo er unendlich viele Bacardi Cola in sich hineinkippt. Heute, 30 Jahre später, würde Frankie wahrscheinlich nicht mehr leben. Er wäre an Lungenkrebs oder Leberzirrhose gestorben. Aber noch ist er quietschlebendig. Es ist der heiße Sommer 1988, in Bars und Restaurant darf noch geraucht werden und im Radio spielen sie Foreigner, Madonna (und wahrscheinlich auch Al Bano & Romina Power). Eines Abends holt ihn Mauke zu sich. Mauke ist Bahnvorstand und tut enorm geheimnisvoll, denn er wird erpresst. Und Frankie soll den Erpresser finden, von dem man nur weiß, dass er am 9. Juli aus einer Diskothek anrief, in der um 23.40 Uhr Madonnas Lied „White Heat“ lief. Das muss man nicht kennen, und Frankies Nachforschungen ergeben auch, das fast niemand davon gehört hat, nicht mal die Diskjockeys. Doch all‘ das erfährt Frankie auf einer wahnsinnigen Tour de Force, die in München beginnt und sich bald auf fast alle Diskotheken der alten Bundesrepublik ausdehnt. Statt den Mann zu finden, gerät Frankie immer tiefer in eine hanebüchene Geschichte, in der Spionage und die DDR keine unerhebliche Rolle spielen.

Michel Decar, der zuletzt mit seinem Stück „Philipp Lahm“ am Münchner Residenztheater für Aufsehen gesorgt hatte, hat mit „Tausend deutsche Diskotheken“ eine echte Fleißarbeit abgeliefert. Frankies Route liest sich wie eine Reise durch die Gelben Seiten, Rubrik „Diskotheken“, der Städte München und Stuttgart, Frankfurt, Köln und Düsseldorf, Wuppertal und Recklingkhausen, Solingen, Bochum und alles dazwischen. Man staunt über die albernen Namen der Clubs und noch mehr staunt man, wie wenig Ermittlungsarbeit Frankie leistet. Er fragt sich durch alle Diskos, aber eigentlich trinkt er hauptsächlich und kriecht bei irgendeiner Freundin vergangener Tage unter, mit der es immer irgendwie anstrengend ist, auch wenn man zwischendurch gemeinsam in der Kiste landet. Unendliche Diskussionen, aber vor allem eine unendliche Redeflut müssen wir über uns ergehen lassen. Denn Frankie erzählt ununterbrochen, quatscht uns geradezu schwindelig. Ein gewisser Courcelles hört ihm dabei zu, sagt aber kaum etwas. Und als er schließlich den Mund aufmacht, wird nichts klarer, sondern eher noch nebulöser. Ein bisschen erinnert das Ganze an den Film „Die üblichen Verdächtigen“. Ach ja, und dann ist da noch Jens Wetterstein, Frankies studentischer Mitarbeiter, Philosophiestudent im 21. Semester. Der ermittelt. Wie, wissen wir nicht. Doch geht er scheinbar strukturiert und in Windeseile vor. Bis ihm ein Verdacht kommt und er verschwindet. Gern hätten wir mehr über ihn erfahren.

Stattdessen folgen wir Frankie, der rauchend, trinkend, vögelnd und Auto fahrend durch die Republik jagt. Ein bisschen ermüdend ist das schon. Und eigentlich auch nicht besonders Achtziger. Gäbe es nicht ab und an die Anspielung auf einen Telefonapparat, merkte man gar nicht, dass wir uns nicht im Berlin des Hier und Jetzt bewegen, zumal Frankie seine Angerufenen immer erreicht. Wie, fragen wir uns, wenn Jens Wetterstein irgendwo unterwegs und eigentlich nur per Handy zu orten gewesen wäre? Es ist der Witz der Vorlesebühnen, der aus Michel Decars „1000 deutsche Diskotheken“ hervorblitzt, ausgewalzt auf knapp 240 Seiten. Das ist schon lustig, vor allem, hätten wir es auf einer Vorlesebühne auf 20 Seiten gehört.

Michel Decar
Tausend deutsche Diskotheken
ullstein fünf im Ullstein Buchverlag, München 2018
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Coverabbildung © ullstein fünf

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Ein Gedanke zu „Als Discos noch „Schachtel“ und „Xanadu“ hießen. Michel Decar „Tausend deutsche Diskotheken““

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