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Wahrheitssuche im Jazz – Ein Abend beim KLAENG-Festival im Kölner Stadtgarten

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker Musik

Von Stefan Pieper.

Das alljährliche Festival des Kölner KLAENG-Kollektivs ist längst ein internationaler Fixpunkt im Kalender der Musikenthusiasten geworden. Vom 15. bis 17. März versammelten sich Musikerinnen und Musiker, um den hohen Anspruch der Festivalmacher zu erfüllen, nämlich das „Jetzt“ der zeitgenössischen Musik im Herzen Kölns zu präsentieren. Und ja- das angekündigte Line-up hatte Lust gemacht, alle drei Abende in Köln zu erleben – leider kam wieder einmal ein überfüllter Terminkalender dazwischen, sodass es dann doch nur bei einem, dem ersten Abend, blieb. Doch auch dieser hatte es in sich und legte das programmatische Anliegen eindrücklich offen. Frischer Wind wehte an diesem Abend vor allem aus der Benelux-Szene.

Empfindsamkeit

Das Ensemble „Miraculous Layers“ mit Sanem Kalfa am Gesang, Cello und Electronics, Tineke Postma am Altsaxofon, Marta Warelis am Klavier und Sun-Mi Hong am Schlagzeug bot genau das, was der Bandname sagt. Die vier Musikerinnen legten mehrere, sehr diverse Schichten von musikalischem Ausdruck übereinander. Das legte allemal offen, was sie vor allem antreibt: Tiefe Sehnsucht gepaart mit unstillbarem Freiheitsdrang, genährt von vielen Elementen der musikalischen Gegenwart. Vor allem auch sehr lyrischen Einflüssen aus der osttürkischen Musik und damit der Heimat der Sängerin und Cellistin, die heute in Amsterdam lebt. Wo ausgesprochen viel Subjektivität und Introspektion in der Musik vorkommt, liegen die folgenden Bedingungen für eine publikumswirksame Dramaturgie leider auf der Hand: Manchmal zerfiel das Liveset dieses Quartetts in ein zu disparates Nebeneinander aus lyrischer Besinnlichkeit, lautstarken Eruptionen und überlangen Soloparts – zum Glück bauten sich aber auch viele ergreifende Melodien daraus auf.

Wahrheitssuche

Klassikveranstaltungen kokettieren gerne damit, auch mal eine Jazzeinlage zu bringen, was meist erfrischend und oft auch horizonterweiternd wirkt. Das KLAENG-Festival hatte schon vor ein paar Jahren den Spieß umgedreht, als – ebenfalls zum zweiten Programmpunkt des Abends – ein reines modernes Klassik-Streichquartett aufspielte. Einen solchen Platz in der Dramaturgie füllte an diesem ersten KLAENG-Abend auch der niederländische Kontrabassist James Oesi. Wohl kaum jemand hätte die aufregenden Klangabenteuer gepaart mit sehr kommunikativer Livepräsenz vorher für möglich gehalten, ausgehend von den spannenden Interpretationen von Luciano Berio und dann vor allem von Johann Sebastian Bach, dessen vierte Cellosuite in ganz neuem, durchaus „rauen“, auf jeden Fall für ein Jazzfestival absolut passenden Klanggewand daherkam. Der Gipfel des Ganzen war schließlich ein aufregender Exkurs in die indische Streichermusik, deren repetitive Strukturen mit den Arpeggien und Tonrepetitionen in einer Bach-Suite gar nicht mal so unverwandt sind. Mehr Erzählkraft durch Musik auf einer Livebühne geht wohl kaum!

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James Oesi © Stefan Pieper

Höhere Daseinsstufen

Es gibt Daseinsstufen im Jazz. Auf dieser nach oben offenen Pyramide sehr weit oben und damit in guter Konkurrenz zu amtlich anerkannten großen Jazzcombos der Historie behauptete sich ein mit allen Wassern gewaschenes aktuelles Trio im europäischen Jazz: Tony Malaby am Tenor- und Sopransaxofon, Jozef Dumoulin an Fender-Rhodes und Keyboards sowie Samuel Ber am Schlagzeug und Amplifier zogen hinein in einen mitreißenden, offenen Prozess, bei dem es fast schon verwunderte, wenn doch mal zwischen mehreren der langen Stücke innegehalten wurde. Denn hier entsteht ein nie versiegender „stream of consciousness“ auf einem schmalen Grat zwischen Tonalität und Atonalität. Im Zentrum stehen die satten, manchmal klagenden, dann wieder umso beschwörenderen Klangkaskaden aus Malbys Tenorsaxofon, aber davon gehen faszinierende Vorgänge von Emanzipation seitens der beiden Mitspieler aus. Jozef Dumoulain, Pianist und Keyboarder, hatte schon in der Band von Lucia Cadotsch faszinierende Eindrücke hinterlassen, hier zeigt sich einmal mehr die hohe Kunst des Belgiers, subtile Klangimpressionen mit maximaler expressiver Aussage aufzuladen. Der Schlagzeuger Samuel Ber lotete derweil alle mannigfaltigen hochintelligenten Wege und Umwege aus, um sich selber als unabhängigen dritten Part einzubringen, zugleich alles mit Weitblick zu vernetzen. So geht echte Wahrheitssuche im Jazz.

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Tony Malaby © Stefan Pieper

Das alles sorgte dafür, dass das Publikum im Stadtgarten den ganzen langen Abend über gebannt und konzentriert zuhörte. Dass KLAENG ein Festival von Musikern ist, davon zeugte der Umstand, dass auffallend viele aktive Musiker zum Publikum im Stadtgarten gehörten.

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Searching for truth in jazz – an evening at the KLAENG Festival in Cologne’s Stadtgarten
This text describes the annual festival of the Cologne-based KLAENG Collective, which has become an international focal point for music enthusiasts. From March 15th to 17th, musicians gathered to present contemporary music in the heart of Cologne. The first evening of the festival offered a variety of musical experiences, with particular emphasis on the ensemble „Miraculous Layers“ from the Benelux scene. With Sanem Kalfa on vocals, cello, and electronics, Tineke Postma on alto saxophone, Marta Warelis on piano, and Sun-Mi Hong on drums, the musicians layered various expressions influenced by deep longing and a thirst for freedom, shaped by lyrical elements of Eastern Turkish music.

Another highlight of the evening was Dutch double bassist James Oesi, who captivated the audience with exciting interpretations of Luciano Berio and Johann Sebastian Bach before embarking on an excursion into Indian string music. A trio consisting of Tony Malaby on tenor and soprano saxophones, Jozef Dumoulin on Fender Rhodes and keyboards, and Samuel Ber on drums and amplifier presented an enthralling, open process in European jazz, creating a „stream of consciousness“ between tonality and atonality.

The audience in the Stadtgarten followed the entire evening captivated and focused. The presence of numerous active musicians in the audience testified that KLAENG is a festival made by musicians for musicians.

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