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Eine klanglich einzigartige Formation: Quartetto di Cremona

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikIngobert Waltenberger war bei einem ungewöhnlichen Konzert dabei und findet: Es war eine kammermusikalische Sternstunde an ungewöhnlichem Ort – in einem Technotempel am Spreeufer.

Ein angesagter Berliner Club und klassische Musik? Ja, in Berlin gibt es Vieles. Seit 2002 existiert die exquisite Adresse für Reggae, Hip-Hop&Co., später mit Schwerpunkt mehr in Richtung House und Techno Tanzmusik an der Oberbaumbrücke am Kreuzberger Spreeufer.  Zusätzlich sorgt das Plattenlabel Watergate Records für Popularität, das Mix-CDs und Vinylplatten der im Watergate werkenden DJs veröffentlicht.

Seit geraumer Zeit veranstaltet zudem die kulturradio Klassik Lounge populäre Konzerte bei extrem moderaten Einheitspreisen von fünf Euro. Es sind stets hochkarätige Klassikevents, die von den aufgebotenen Stars und deren Programmen her mit denen des Kammermusiksaals der Philharmonie oder des Pierre Boulez-Saales locker mithalten können.

Der Laden ist bei Konzertbeginn gerammelt voll. Die Musiker sitzen auf keiner Bühne, sondern direkt vor der Riesen-Glaswand hin zur Spree. Das Publikum hat die dahinter am anderen Spreeufer liegende Klinkerfassade mit grau-gelbem Rautenmuster des ehemaligen „Eierspeichers“, heute das Bürogebäude von Universal Music, fest im Blick. Die Leute sitzen bis auf Tuchfühlung zu den Musikern, vom Alter her gleicht die Mischung eher derjenigen in klassischen Konzertsälen als an typischen Techno-Clubabenden, einige junge Neugierige ausgenommen. Sitzplätze gibt es zu wenige und auch diese sind in dem schrecklich heißen Club reichlich unbequem, niedrige schwarze Hocker ohne Rückenlehne. Viele Konzertbesucher stehen an der Bar bei einem Drink oder haben es sich weiter hinten im Raum so „gemütlich“ wie möglich gemacht.  An solchen Abenden gilt auch eine andere Konzertetikette, zwischen den Sätzen wird geklatscht, was die Streicher aus Italien mit einem breiten Lächeln quittieren.

Diesmal war also das Quartetto di Cremona zu Gast, das beim Label Audite mit einem exzellenten Zyklus aller Beethoven-Streichquartette für eine hohe Fachresonanz und bei Kammermusikfreunden für begeisterten Zuspruch sorgte. Das Quartett wurde im Jahr 2000 in Cremona gegründet und hat künstlerisch mit Lehrern wie Piero Farulli (Quartetto Italiano) oder Hatto Beyerle (Alban-Berg-Quartett) wahrnehmbar  italienisch-österreichische Wurzeln. Die vier in Genua beheimateten Musiker spielen aktuell auf den vier Stradivari des „Paganini-Quartetts“.

Fotonachweis: Nikolaj Lund

Gemeinsam mit Eckart Runge, dem großartigen Cellisten des Artemis Quartetts, interpretierten sie im Watergate Franz Schuberts Streichquintett C-Dur (ohne Wiederholungen) sowie nach der Pause die Sätze 1, 3 und 4 des Streichquartetts in g-Moll von Claude Debussy. Das Quartetto di Cremona ist wirklich eine klanglich einzigartige Formation: Primgeiger Cristiano Gualco sorgt für den markanten Strich, er vibriert nur so vor Energie und packenden Zugriff, die anderen Spieler stets im kameradschaftlichen Blick. Im kleinen Raum ist dieses musikalische Glühen vom exzessivem Forte bis zur gehauchten Piano bei Schubert besonders beeindruckend. Paolo Andreoli an der zweiten Violine und der Bratschist Simone Gramaglia lassen das Ohr des Zuhörers in sattem Wohlklang baden, setzen jedoch im Wechselspiel der Themen ihrerseits harmonische Akzente. Giovanni Scaglione  auf dem Cello ist der Ruhepol des Quartetts, der unaufgeregt die elegante Grundierung beisteuert.

Welch Erlebnis, beim die Bewegung des Wassers imitierenden dritten Satz des einzigen Streichquartetts von Claude Debussy in g-Moll wirklich die alle Lichter der Nacht reflektierenden Wellen der Spree vor Augen zu haben. Das Farbenspiel der Musiker setzt sich optisch als Spiegelung der roten Lichtbänder hinter den Fenstern fort. Debussy hätte wohl selbst seine Freude daran gehabt.

Den Gesetzen der Gastronomie dürfte geschuldet sein, dass das Streichquintett in C-Dur von Franz Schubert durch eine Pause geteilt war. Zwar störend, aber sei‘s drum.  Die Wiedergabe selbst ist plattenreif, mit einem magischen Adagio zum Niederknien schön zwischen herzzerreißender Traurigkeit und trostspendender Güte gespielt, wie dies Eckart Runge einleitend trefflich formulierte. Bei der Qualität des Konzerts wäre es kein Wunder, wenn der eine oder andere Erstling wirklich Feuer für Klassik gefangen hätte…

Alle Konzerttermine hier

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