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„Ein Doppelgänger“ von Theodor Storm in neuem Gewand. Ein Glücksfall.

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Rezension von Barbara Hoppe.

Es ist eine besonders grausame Ironie, wenn man John Glückstadt genannt wird, doch das Unglück einen auf Schritt und Tritt verfolgt. In seiner späten Novelle „Ein Doppelgänger“ aus dem Jahr 1880 erzählt Theodor Storm von jenem John, der eigentlich Hansen heißt, der aufgrund einer Jugenddummheit sechs Jahre Zuchthaus in Glückstadt absitzen muss und fortan John Glückstadt genannt wird. Doch das Glück stellt sich nicht ein. Als ehemaliger Häftling erhält er nur mit Mühe Arbeit, indes fällt ihm eines Tages die hübsche, erst 17-jährige Hanna in die Arme. Es scheint, dass nun doch ein bescheidenes Glück in die arme Hütte der kleinen Familie Einzug hält, zumal schließlich Töchterchen Christine zur Welt kommt. Doch in einem Jähzornsanfall tötet John unabsichtlich seine Frau. Die wenigen, die ihm beiseite stehen – die Bettlerin Küster-Mariken und der Bürgermeister – können den Niedergang nicht aufhalten. Trotz allen Bemühens, haftet das Stigma des Zuchthäuslers an ihm. Jahrelange Redlichkeit hilft nicht, der Schatten des ehemaligen Diebs bleibt immer hinter ihm. Armut und Hunger bereiten dem Vater schließlich ein Ende, während Christine ein neues Zuhause bei liebevollen Pflegeeltern findet.

Aus diesem Kontext heraus lernt der Ich-Erzähler die Frau und ihren Mann, den Sohn ihrer Pflegeeltern, kennen. Es ist die eigenartige Verknüpfung, dass Gast und Hausfrau aus derselben Stadt kommen, die die Fantasie des Fremden anregt. 30 Jahre sind seit dem traurigen Geschehen vergangen, doch die Geschichte von Christine ist ein dunkler Fleck im Leben der genügsamen und herzensguten Familie, die den Gast freundlich aufnimmt. Was dieser hört, entspinnt sich in seinen Gedanken zu einem poetischen Drama, das dem Grausamen die Schärfe nimmt und die Sympathien für die Unglücklichen umso größer macht. Die Kritik Storms an den sozialen Verhältnissen wie auch an dem Verhalten der Gesellschaft, die keine zweite Chance zulässt, ist offensichtlich. Man sieht den Dieb, nicht den Geläuterten.

Die wundervoll illustrierte Ausgabe der Edition Büchergilde gibt Gelegenheit, nicht nur den Text neu zu entdecken. Sophie Nicklas erhielt für ihre farbenfrohen und mutigen Zeichnungen den Büchergilde Gestalterpreis 2018. Der Melancholie in der Geschichte stellt sie kräftiges Blau, Gelb, Grün und Grau in allen Schattierungen entgegen. In am Computer nachkolorierten Finelinezeichnungen flankiert die 23-jährige das Drama mit eigenwilligen, dennoch anziehenden Bildern. Bis hin zum ungewöhnlichen Buchumschlag sind Text und Gestaltung wahrhaft ein Gesamtkunstwerk.

Theodor Storm
Ein Doppelgänger
Illustriert von Sophie Nicklas
Edition Büchergilde, Frankfurt/Main 2018

Coverabbildung © Edition Büchergilde

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Ein Gedanke zu „„Ein Doppelgänger“ von Theodor Storm in neuem Gewand. Ein Glücksfall.“

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