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20 Jahre Prime Time Theater, 20 Jahre „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“

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Es ist schon ein paar Jahre her, als ich Oliver Tautorat erstmals interviewte. Damals feierte das Prime Time Theater im Berliner Wedding seinen 11. Geburtstag und seine Bühnensitcom „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“ hatte sich zu einem Dauerhit entwickelt. 2024 sind es 20 Jahre, und die größte Herausforderung hat das Haus prima gewuppt. Von Barbara Hoppe.

Feuilletonscout: „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ wird 20 Jahre alt. Es ist die erste und einzige Bühnensitcom weltweit. Wie kam es zu dieser Idee?
Oliver Tautorat: Zu dieser Idee kamen wir wie die Jungfrau zum Kinde. Wir haben im Dezember 2003 mit einer kleinen Galerie beziehungsweise mit einem kleinen Probenraum begonnen und hatten dann die Idee, nachdem wir selber eher fernsehaffin waren, diese Serie ins Leben zu rufen. Wir haben damals schon wahnsinnig gerne Fernsehsitcoms gesehen und dachten dann einfach nur: warum nicht auf die Bühne?

Feuilletonscout: Hast du je damit gerechnet, dass ihr damit so erfolgreich werdet?
Oliver Tautorat: Auf keinen Fall! Das hat uns völlig überrannt und überrascht und macht mich bis heute sehr stolz und glücklich.

Foto: Raphael Howein

Feuilletonscout: Was macht das Besondere ausgerechnet des Wedding aus?
Oliver Tautorat: Auch wenn sich der Wedding in den letzten 20 Jahren wahnsinnig verändert hat und auch stark gentrifiziert wurde, ist er trotzdem für mich das Herz Berlins und zwar auch mit der richtigen Schnauze. Das erlebe ich immer und immer wieder, wenn ich hier unterwegs bin aber auch, wenn ich Gäste aus dem Wedding bei uns habe.

Feuilletonscout: Hast du manchmal Angst, irgendwann die Lust am Wedding zu verlieren?
Oliver Tautorat: Nein. Unser Wedding entwickelt sich weiter so wie Berlin sich weiterentwickelt, aber hier wird das Herz immer am richtigen Fleck schlagen. Und hier erlebe ich regelmäßig Sachen, die einfach wunderbar sind. Auch nach 20 Jahren entdecken uns immer mehr Weddinger und Weddingerinnen, die hier auch schon seit Generationen leben.

Feuilletonscout: Wie erklärst du dir, dass es keine Nachahmer gibt? Können andere Städte oder Bezirke nicht über sich selbst lachen?
Oliver Tautorat: Na ja, das mit dem Über-Sich-Selbst-Lachen ist sowieso so ein Thema in Deutschland. Aber ich glaube, dass unser Durchhalten über 20 Jahre das Ganze ausmacht. Und es gab ja immer wieder Versuche, uns nachzuahmen, aber die sind meistens sehr schnell wieder eingestellt worden. Ich glaube, dass unsere besondere Art, mit den Figuren und Personen umzugehen, die wir auf der Bühne zeigen, uns sehr besonders macht. Und das ist so originell, dass das Nachahmen wirklich nicht so einfach ist. Und den langen Atem haben offensichtlich auch nicht so viele 😉

Feuilletonscout: Hat der Erfolg auch mit dem authentischen, nicht gentrifizierten Wedding zu tun? Oliver Tautorat: Aber sowas von. Ich glaube sowieso, dass das ja der ursprüngliche Gedanken vom Theater war: nämlich die Wirklichkeit für alle auf eine eigene, bestenfalls humoristische Art widerzuspiegeln. Und unser Wedding ist einfach der beste Boden dafür. Für mich ist meine Arbeit auch eine Liebeserklärung an den Wedding wie er war, wie er ist und wie auch immer sein wird. 

In seiner Paraderolle des Postboten „Kalle“ kürte das Publikum
Oliver Tautorat zur beliebtesten Figur der Kult-Sitcom / Foto: Inka Thaysen

Feuilletonscout: Wie hat sich das Theater in den 20 Jahren verändert beim Repertoire? (Stichwort „Kindertheater“, „Podcast“, „Film“, „Freilufttheater“)
Oliver Tautorat: Es hat sich durch die Pandemie auch sehr viel entwickelt. Unabhängig von der wahnsinnig schwierigen Situation für die Gesellschaft, konnten wir tolle Kooperationen starten und Partner kennenlernen die wir sonst sicherlich nicht so schnell kennengelernt hätten. Man sagt ja so schön: Not macht erfinderisch. Die Kooperation mit dem Alhambra Kino, die Kooperation mit dem Strandbad Plötzensee sind zu lauter wunderbaren Möglichkeiten geworden, um sich weiterzuentwickeln. Die Nährstoffgeschichte, unser Kindertheaterstück, beginnt jetzt auch Kooperationen mit dem Tonstudio „Die Hörfabrik“, worauf ich mich sehr freue.

Feuilletonscout: Und wie haben sich die Zuschauerzahlen entwickelt?
Oliver Tautorat: Das Thema Zuschauerzahlen und auch das Thema Zuschauerzusammensetzung ist für mich immer noch undurchsichtig und unklar. Während es vor der Pandemie für mich relativ übersichtlich war zu wissen, wer warum und woher kommt, ist jetzt die Zusammensetzung unseres Publikums, aber auch die Zeiten, wann unser Publikum zu uns kommt, völlig unplanbar. Und damit gilt das, was auch vor 20 Jahren gegolten hat: Wir rocken jeden Abend für jeden Gast das Haus, so dass wir hoffen können, dass sich die Zuschauerzahlen wieder so weit entwickeln, dass wir ohne Förderung und Unterstützung das Theater betreiben können. Auch das ist zwar eine schwierige Situation, aber irgendwie auch cool , weil wir dadurch trotz Professionalisierung und Weiterentwicklung irgendwie wieder an die Anfänge unserer Geschichte kommen.

Feuilletonscout: Und wie sieht es bei den Mitarbeitern aus?
Oliver Tautorat: Da hat sich auch einiges verändert. Während der Pandemie haben sich viele Schauspieler aufgrund der Unsicherheit des Berufs entschieden, den Beruf nicht mehr auszuüben. Andere haben die Branche gewechselt. Trotzdem haben wir während der Pandemie alle Mitarbeiter gestützt und mussten auch niemanden entlassen. Ich bin sehr glücklich, dass wir in fast allen Teilbereichen beziehungsweise Gewerken mittlerweile mit professionellen, „verrückten“ und sehr kreativen Menschen arbeiten. Ob das Kostüm ist oder Bühnenbild. Inklusive der Freelancer haben wir (auch mit der Gastronomie als eigene Firma, aber trotzdem zum Theater gefühlt dazugehörig) insgesamt über 25 Menschen, die fast vorwiegend von ihrem Job bei uns leben.

Feuilletonscout: Wer denkt sich die Stücke aus?
Oliver Tautorat: Da gilt mein Dank unsern Autoren und Autorinnen: Philipp Hardy Lau, Ryan Wichert und Noémi Dabrowski. Sie haben alle ein großes Talent zum Schreiben und gleichzeitig passen sie zu uns sehr gut. Wir teilen den Humor und es macht mir auch Spaß, immer wieder als „alter Hase“ bei den Entwicklungen der Ideen dabei zu sein und meine Erfahrung mit einzubringen.

Feuilletonscout: Wie schafft man es, so viele neue Programm auf die Beine zu stellen?
Oliver Tautorat: Das schafft man durch viel Fleiß, Disziplin und vor allen Dingen einer großen Portion Lust und Laune das zu tun, was wir tun. Und das wiederum macht eben den Wedding aus: Wir sind Arbeiter!

Feuilletonscout: Wie schafft man das enorme Pensum der Spielabende?
Oliver Tautorat: Ich kann da jetzt nur von mir sprechen, aber bei mir ist es so, dass jeder einzelne Abend mit jedem einzelnen Gast für mich Dankbarkeit bedeutet. Und es macht mich auch immens glücklich zu sehen, wie ich jeden einzelnen Gast erreichen kann und ihm einen Moment oder eine kurze Zeit in eine Welt entführen kann. Und lachende Gesichter und durch das Lachen befreite Menschen sind für mich ein großes Glück. Und natürlich möchte ich auch von dieser Begabung gut leben können 😊

Beim Schlussaufmarsch (Stück: Der Fluch des Döners) / Foto: Raphael Howein

Feuilletonscout: Das Jubiläumsstück heißt „In einem Wedding vor unserer Zeit“. Was darf das Publikum erwarten?
Oliver Tautorat: Das Stück wird einerseits eine Zeitreise sein und die Geschichte unseres Theaters und der Serie erzählen, andererseits gibt es immer wieder Hommagen an Geschichten aus den 20 Jahren und auch an bekannte Szenen. Das Stück wird, so wie alle Stücke bei uns, einerseits durch den Autoren, aber andererseits auch durch unser Team auf der Bühne entstehen. Ich freue mich auch besonders darüber, dass mein junges neues Team zum einen alte Figuren übernimmt, zum anderen ich es aber auch geschafft habe, dass der eine oder die andere, die uns über die 20 Jahre als Schauspieler begleitet hat, zumindest bei Einspielern mit dabei ist.

Feuilletonscout: Gibt es weitere Festlichkeiten?
Oliver Tautorat: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir von Beginn an, also ab Mitte Januar bis zur Dernière des zweiten Teils jeden Abend feiern werden. Und für mich ist es auch so, dass ich lieber über einen Zeitraum von einem halben Jahr jeden Abend einen wunderbaren Abend erlebe, anstatt an einem Abend alles zu feiern. Die 20 Jahre kann man ja auch nicht an einem Abend feiern, sondern muss sich da schon auch etwas Zeit für nehmen 😉

Feuilletonscout: Gibt es etwas in den 20 Jahren, was eine echte Herausforderung war oder total kurios-absurd oder einfach nur ganz herzhaft zum Lachen?
Oliver Tautorat: Damit könnten wir ein zweites Interview führen. Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll. Die größte Herausforderung war sicherlich für mich das Jahr  2019. Ich musste Insolvenz anmelden, habe aber mit der Familie Bucec, insbesondere Tomislav Bucec einen Partner gefunden, der uns aus der Insolvenz gerettet hat. Sonst hätte ich jetzt hier nicht über die letzten 20 Jahre erzählen können. 
Mindestens zwei rührenden Momenten sind mir besonders im Herzen geblieben. Abends kam einmal ein junger Mann mit seiner Freundin zum Theater und wollte unbedingt noch zwei Tickets haben, weil er nur an diesem Abend konnte. Ich habe ihn gefragt warum es nur heute ginge und da hat er mir seinen JVA-Ausweis gezeigt und gesagt, dass er nur heute Freigang hätte. Und er würde gerne diesen Abend mit seiner Freundin bei mir verbringen.
Es gab vor vielen Jahren eine Familie, bei denen vier Generationen immer bei uns waren. Als dann in der ältesten Generation der Mann gestorben war kam seine Frau zu mir: „Ich komme immer wieder zu euch und werde auch immer kommen, jedes Mal wenn ich bei euch bin, höre ich das Lachen von meinem Mann.“

Oliver Tautorat vor dem Prime Time Theater / Foto: Inka Thaysen

Feuilletonscout: Was wünscht du dir für die prime time theater Zukunft?
Oliver Tautorat: Für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wünsche ich mir viele Jahre gemeinsame Arbeit mit wirtschaftlicher Sicherheit. Von meinen Gästen wünsche ich mir, dass sie immer so ehrlich und offen mit uns sind, wie sie es immer schon waren. Ehrlichkeit im Miteinander ist das Entscheidende. Ich wünsche mir von allen, die uns kennen, ob Gäste, Politiker, Unterstützer in der Wirtschaft, dass sie uns weiterhin die nächsten 20 Jahre begleiten und den Rücken stärken. Und für mich wünsche ich mir mehr Zeit mit meinen Töchtern und Gesundheit.

Vielen Dank für das Gespräch, Oliver Tautorat!

In einem Wedding vor unserer Zeit
Die „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“ Jubiläumsfolge – erster Teil
Premiere: Freitag, 19. Januar, 2024, 20:15-22:15 Uhr
Prime Time Theater, Eingang Burgsdorfstraße, Müllerstraße 163, 13353 Berlin

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