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Was Muhammad Ali, Joe Frazier und der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb verbindet

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Ein ungewöhnlicher Rückblick auf bewegte Zeiten – vor fünfzig wie vor zwanzig Jahren.

Am 8. März 1971, trafen im Madison Square Garden in New York zwei bisher unbesiegte Schwergewichtsboxer aufeinander: Muhammad Ali und Joe Frazier. Die Begegnung ging als »Fight of the Century« in die Geschichte ein. Genau dreißig Jahre später schilderte der Schriftsteller Stephan Reimertz, Autor der Feuilletonscout-Redaktion, den Kampf in seinem Roman »Papiergewicht« und erlebte die Arbeit daran selbst wie einen Boxkampf. Während jeder der beiden Boxer im Preiskampf als Sieger hervorgehen wollte, betete der Autor beim berüchtigten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb des Jahres 2000 indes, der Preis möge an ihm vorübergehen. Der angebliche Literaturwettbewerb wirkte auf ihn wie das abgekartete Spiel fachlich inkompetenter Juroren als Propaganda für die gerade abgewählte sozialistische Regierung von Österreich.

Mehr Industrie als Kultur

Als Stephan Reimertz im Sommer des politisch aufgewühlten Jahres von Wien nach Klagenfurt fuhr, glaubte er zu einem Literaturwettbewerb anzureisen. Er ahnte nicht, wie der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb von der außerparlamentarischen Opposition bereits zum politischen Forum umfunktioniert wurde. Im Jahr zuvor hatte Jörg Haider als Kärntner Landeshauptmann den seit 1977 stattfindende Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in der Hauptstadt Klagenfurt besucht. Niemand in dem sich als linksliberal empfindenden Kulturmilieu wollte mit ihm sprechen, und sei es aus Neugier. Haider bezeichnete den »Bewerb« als »steril und abgelaufen«. War man auch geneigt, fast allen seinen Äußerungen zu widersprechen, so konnte damals schwerlich jemand behaupten, Haider habe völlig Unrecht.

Die Situation in dem am Rande der Klagenfurter Altstadt gelegenen »ORF-Theater« erinnerte an einen Schulhof, auf dem strenge Lehrer (die Juroren) freche Schüler (die Autoren) voll Argwohn im Auge behalten und sich keinesfalls dazu herablassen, mit ihnen zu sprechen; es sei denn, es handelt sich um Lieblingsschüler, denn jeder Juror bringt zwei Autoren mit. Insgesamt waren etwa tausend Leute in der Stadt, die mit dem Wettbewerb zu tun hatten. Nur sechzehn davon waren Autoren. Die Atmosphäre des Jahres 2000 war wie immer »verklemmt und pseudointellektuell«, wie ein erfolgreicher Autor mit Wettbewerbserfahrung vorausgesagt hatte.

Die klaustrophobische Atmosphäre sozialer Gewalt

Reimertz‘ im Luchterhand Verlag erschienene Roman »Papiergewicht«, spielt an einem einzigen Tag des Jahres 1971. In einem Milieu der Oberen Mittelschicht versucht sich ein Zehnjähriger gegen seinen brutalen Vater und die bestialische Mutter zur Wehr zu setzen. Der Junge findet Halt in seinem Vorbild Muhammad Ali. So bildet der erste der drei Kämpfe Alis gegen Joe Frazier das Herzstück des Romans. In dem tragischen Theater des Boxkampfs spiegelt sich die gesellschaftliche und familiäre Gewalt.

Als der »Smokin’ Joe« genannte Joe Frazier und Muhammad Ali, der sich selbst als »The Greatest« titulierte, zum Kampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewichtsboxen gegeneinander antraten, hatte zwar keiner von ihnen je zuvor einen Kampf verloren, doch bald wurde klar: Frazier hatte gegen den als Favoriten geltenden Ali durchaus Chancen und schaffte es in der zehnten Runde, seinen Widersacher mehrmals in die Seile zu drängen. Dann konnte sich Ali mehr als einmal nur knapp vor einem K.O. retten. In der fünfzehnten und letzten Runde brachte Frazier Ali mit einem linken Haken zu Fall. Der stand wieder auf, doch Frazier siegte nach Punkten.

Heute ist es kein Problem, den ganzen Kampf vom 8. März 1971, in die Geschichte eingegangen als Ali – Frazier I, auf YouTube zu sehen. Reimertz studierte seinerzeit Tausende von Presseartikeln, um sich ein Bild von jeder einzelnen Minute zu machen. Vergleicht man heute den Roman mit der Video-Aufzeichnung des Kampfes, kann man sich nur schwer vorstellen, wie der Dichter den Kampf in seinem Kopf durchfocht ohne ihn gesehen zu haben. Ebenso wie der Bericht »The Fight« von Norman Mailer über den als »Rumble in the Jungle« bekannten Kampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman in Zaire im Oktober 1974 erhielt »Papiergewicht« auch in Sportlerkreisen Anerkennung. So bezeichnete die Zeitschrift Boxsport das Buch als »literarisch schwergewichtig«.

Stephan Reimertz arbeitete mit sportlicher Disziplin an seinem Roman. »Ich fühlte mich wie ein Boxer vor einem Kampf«, sagte er. »Daran war auch die verrostete Schreibmaschine schuld.« In einem Ferienhaus im Salzburger Land fand er das alte Ding, das aus den fünfziger Jahren stammte. Es war schwer zu bedienen, das Schreiben schien eher eine physische denn eine geistige Leistung darzustellen. »Allein das Schreiben ist noch viel einsamer als das Boxen. Wer mir zu diesem Zeitpunkt gesagt hätte, der Literaturbetrieb könnte noch korrupter sein als die Boxszene, den hätte ich ebenso für verrückt erklärt wie einen, der mir voraussagte, ich würde in einem Kampf antreten und um jeden Preis verlieren wollen.«

Das Primat der Medien über die Kunst soll festgeschrieben werden

Als in Klagenfurt das Vorlesen begann, wurde der Protestcharakter der Veranstaltung immer deutlicher. Der Moderator Ernst Grandits trug zu diesem Zweck Zitate aus dem Werk von Ingeborg Bachmann vor, die aus dem Zusammenhang gerissen waren und suggerierten, die 1973 verstorbene Dichterin sei eine Parteigängerin der außerparlamentarischen Regierungsgegner des Jahres 2000. Der abenteuerlichen Unterstellung gab auch die Familie Bachmann Nahrung, welche die Verwendung des Namens ihrer Verwandten untersagte, um Landeshauptmann Haider eins auszuwischen. Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb erhielt daraufhin den dünnlippig-menstruativen Namen »Tage der deutschsprachigen Literatur«. Eine »deutschsprachige« Literatur gibt es nicht, was freilich ebenso unberücksichtigt bleib wie die Frage, ob nicht Ingeborg Bachmann die Abwahl einer Regierungspartei nach dreißig Jahren hätte begrüßen können. Eines scheint freilich ausgemacht: Die Dichterin hätte den seit 1977 stattfindenden abgekarteten Ritualen, in denen das Primat der Medien über die Kunst festgeschrieben wird, weder ihren Namen noch ihre Zustimmung gegeben.

Der falsche Stallgeruch

Was tut man, wenn man Dichter ist, nicht aber ins linksliberale Milieu hineingeboren ist? Das fragte man sich schon zu normalen Zeiten. Im Jahr 2000 verschärfte sich die Situation noch dadurch, dass der politische Charakter der Veranstaltung vollends hervortrat. Wer immer in diesem Jahr gewonnen hätte, wäre desavouiert gewesen. Stephan Reimertz wollte abreisen oder coram publico begründen, warum er nicht lese. Ein Blick auf die Jurorin Ulrike Längle ließ ihn in letzten Sekunde einhalten. Die Veranstaltung war nicht zuletzt ein Machtkampf zwischen den Juroren. Sagte Reimertz ab, drohte er Frau Dr. Längle damit zu schaden, die als literarisch gebildete Expertin sowieso Gegenwind zu ertragen hatte. Sie war es auch, die ihn für den Preis vorgeschlagen hatte. Still betete der Dichter vor seiner Lesung, der Herr möge gemäß Mt 26, 39 den Kelch, sprich den Preis, an ihm vorübergehen lassen. »Das einzige, was ich tun konnte war, besonders schlecht und schleppend vorzulesen.« Wie in einer solchen politisch in Dienst genommenen Veranstaltung nicht anders zu erwarten, erhielt schließlich keiner der »bürgerlichen« Autoren wie Georg M. Oswald, Patrick Kokontis, Birgit Müller-Wieland oder Martin Amanshauser eine Auszeichnung, obgleich sie großartige Texte präsentierten.

Alles ging dann doch gut aus. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) erzielte bei der Nationalratswahl zwei Jahre später ein Rekordergebnis von 42, 3 Prozent und spielte die FPÖ an die Wand. Und die Befürchtungen von Stephan Reimertz, den Bachmann-Preis wie eine Dornenkrone aufs Haupt gedrückt zu bekommen, erwiesen sich als voreilig. Dankenswerterweise attackierten die Juroren seine Erzählung aus dem deutschen Bildungsbürgertum heftig. Als Reimertz indes am Abend nach dem Finale mit Freunden im Ausflugslokal Maria Loretto am Wörther See saß, kam ein wunderschönes Blumenmädchen mit einem Korb voller Rosen an den Tisch, sah den Schriftsteller, reichte ihm eine Rose und rief aus: »Sie sind doch der Mann, der den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat!«

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Ein Gedanke zu „Was Muhammad Ali, Joe Frazier und der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb verbindet“

  1. Gänse-Gänse-Gänse-Haut!!! Wow, wow, wow: Stepahn! (Wir hatten viel zu lange keinen Kontakt …!) Wer hat diesen tollen Kommentar geschrieben??? – Stephan: schickst Du mir, bitte, bitte, Deinen Roman: aber nur mit persönlicher Widmung für mich … Du weißt: wir kamen zusammen in der Niedstraße, bin ja einer der ältesten Freunde von Günter … HERZlichst!!!

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