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Tirol im Olympia-Fieber, einst und jetzt!

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Innsbruck Tage Alter Musik 2023, Olympiade, Antonio Vivaldi und der Besuch auf Schloss Velthurns. Ein Gastbeitrag von Elisabeth Reinisch.

Ich bin fasziniert von Olympia. Seitdem in meiner Heimat Innsbruck 1976 das Olympische Feuer der Olympischen Winterspiele entzündet wurde, horche ich auf, wenn es um Olympia geht. 

Hautnah dabei sein hieß damals wie heute, den spirituellen Geist, dem fieberhaften Anspornen der Athleten untereinander zusehen und die freudvolle Begeisterung des Publikums, die den Kampfgeist huldigen, zu spüren. In einem fast verborgenen Fleckchen Heimat steht das als „Kulturdenkmal“ ausgezeichnete Schloss Velthurns. Als „ein Zeitzeuge aus dem 14. Jahrhundert“ wurde diese Schatzkammer an gelebter Historie einmal benannt. Dort spürte ich zeitnah auf, was meine Olympiabegeisterung anspornte und faszinierend überwältigend, ja kongenial zur Neuinszenierung der L’Olympiade von Antonio Vivaldi bei den diesjährigen 47. „Innsbrucker Tage Alter Musik“ passt. An den Wänden der einst behaglichen Wohnstätte für Brixener Fürstbischöfe prangen Wandmalereien von Pietro Bagnatore, der seine Bildkompositionen, die auf das Jahr 1572 datiert sind, dem Zyklus der „Octo Mundi Miracula“, der „Acht Weltwunder“ widmet. Die den Kupferstichen von Philipp Galle nach Entwürfen von Maarten van Heemskerck nachempfunden Wandkomposition zeigt eindringlich schön den Zeustempel in Olympia (OLYMYPIA) und den thronenden Gott mit Blitzebündel und Weltkugel. Szenen der Olympischen Spiele lassen links den Ringkampf zweier Männer, rechts die Bekrönung des Siegers mit einem Lorbeerkranz sichtbar werden. Auch Herkules, der Beschützer der Spiele, gibt sich mit seinem Standbild die Ehre auf dieser, im europäischen Raum einzigartigen Wandmalerei.

Benedetta Mazzucato (Argene) © Birgit Gufler (2)

Auch ein Orakel kann sich irren …

Viele Barock-Fans konnten die 47. Innsbrucker Festwochen Alter Musik kaum erwarten. Denn Antonio Vivaldis barocker Opernschatz „L’Olympiade“ wurde feierlich aus der Taufe gehoben. Zugleich markierte die restlos ausverkauft und sehnsüchtig erwartete Premiere von L’Olympiade die letzten Tage der Intendanz von Alessandro De Marchi, Dirigent und künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen Alter Musik. Nach 14 Jahren Intendanz feierte er seinen Abschied im Tiroler Landestheater. Nach einer intensiven Zeit als Spiritus Rector widmet sich De Marchi 2023 dem Œuvre Antonio Vivaldis. Sein Augenmerk fiel auf dessen „L’Olympiade“ (Venedig, 1734), „La fida ninfa“ (Verona, 1732) und dem frühen Oratorium „Juditha triumphans“ (Venedig,1716).

Der vital beschwingte Vivaldi-Reigen wurde mit dessen, von der barocken Musikwelt lange verschmähten, kaum beachteten Oper „L’Olympiade“. Sie ist ein hinreißendes Goldstück an intimsten Herzens-Verstrickungen, menschlichen Missdeutungen, allerhöchster, sinnlichster Koloraturen-Spielereien und mit einem zu erwartenden Happy End. Der Meisterlibrettist Pietro Metastasio, dessen Textbuch der L’Olympiade fast fünfzigmal vertont wurde, von Caldara über Hasse bis Vivaldi, hat hochsensible, fein gesponnene Arbeit geleistet. Er schaffte einen literarisch intellektuell anspruchsvollen Ideenpool, der ein Künstlerherz höher schlagen lässt und den Geist anspornt. Regisseur Stefano Vizioli, inspiriert von der brüderlichen Freundschaft zwischen Jesse Owens und dem deutschen Weitspringer Liz Long, verortet mit seinem Team das Geschehen der L’Olympiade ins faschistische Italien, nämlich in die Zeitspanne vor den Olympischen Spielen in Berlin 1936. 

 Bühnenbild der «Olimpiade» mit Statisten © Birgit Gufler

Während der leichtfüßig flockig tönenden Eröffnungssinfonie blicken wir auf trainierte Körper an Reck, Barren oder Boxsack. Schmucke Turner geben alles, um für ihr Land den Siegeskranz nachhause zu holen bei dieser bedeutenden Olympiade. Wir könnten uns aber auch in einem englischen Club, der wie in „Brideshead Revisited“ oder Downton Abbey ausschaut, befinden? Das wird viel diskutiert mit den Sitznachbarn. Das Bühnenbild deutet viel an, ist eine ästhetische Augenweide ohne zu viel auszudeuten. (Bühne, Emanuele Sinisi)

Als verlässlichen Partner musizierte das präzise intonierende, sehr schlichte, in der Gesamtgestaltung farblich aber zu eindimensional musizierende Innsbrucker Festwochenorchester. De Marchi setzt auf hohe Violinstimmen, düster tiefe Streicher ohne den wohligen Klang der Mittellagen, der als verbindendes Element gutgetan hätte. Die recht spannungsarmen Rezitative wirken eintönig ohne lautmalerischen, wirkungsvoll ausgefeilten Biss. Das ist schade.

Drei international gefeierte Counter, Bejun Mehta, Raffaele Pe und Bruno De Sá betreten neben zwei erhabenen Damen, einem sonoren Bariton und einem Vollblut-Bass, die barocken Bretter, welche die Olympiaden-Welt bedeuten.

Echte, tief empfundene Kameradschaft, Männerfreundschaft, herzliche Verbundenheit und elegante Liebeskapriolen durchziehen die voller Liebestollheiten strotzende L’Olympiade-Story. Ein, in der Vergangenheit verkündeter Orakelspruch löst die Katastrophen aus, die für spätere Liebes- und Treueprüfungen wichtigen Ereignisse beeinflussen:

Einst wurde dem kretischen König Clistene prophezeit, dass sein neugeborener Sohn Filinto ihn als Jüngling morden würde. Clistene verstößt Filinto und lässt ihn wegbringen. Jahre später hat dieser als Licinda überlebt. Dieser  totgeglaubte Filinto ist sportlich eine Null. Um die Hand der Königstochter als Preis zu gewinnen, es ist seine Zwillingsschwester Aristea, springt sein bester Kumpel Megacle bei den Olympischen Spielen für ihn ein. Die Königstochter Aristea ist der Preis für den Sieger. Fatalerweise gewinnt Megacle, sein bester Freund. Der Täuschungsbetrug wird entdeckt und Licinda wird wegen Spielbetrugs zum Tode verurteilt. Megacle und Aristea, welche sich zugetan sind, wollen für ihn auf ihre Liebe verzichten. Freundschaft geht über alles! Argene taucht auf, die als Schäferin getarnte Geliebte Licindas. Wir wissen ab jetzt, dass dieses heftige „Wer-ist-Wer-Durcheinander“ mit dem „liento fine“ getadelt wird. Zwei Hochzeiten, ein glücklicher Vater Clistene, zwei weise Berater Alcandro und Aminta. Familienglück pur! Jubel im Chor und der Bevölkerung Kretas.

Überragend gute, faszinierende Stimmenvielfalt und ein Orkan an Koloraturverrücktheit strahlen in dieser schönen „L’Olympiade“ wie pures Gold!

Bruno de Sà (Aminta) in «Olimpiade» © Birgit Gufler

Der Sopranist Bruno De Sá ist ein Wundermann, der für gestalterische Finesse und stimmliche, heißblütige Furore sorgte. Sein Aminta setzt als weiser Berater in der berühmten Kofferarie „Siam naivi all’onde algenti“ („Wir Menschen sind wie Schiffe, verloren in eisigen Wellen“) furios, virtuose Maßstäbe. Alles garniert er mit leichtfüßiger brodelnder Stepptanz-Glorie eines Sammy Davis Jr. gleichen Bojangles. De Sá wurden für seine natürliche sängerdarstellerische Brillanz gerechtfertigte Standing-Ovations zuteil. Countertenor Bejun Mehtas zurückhaltende Eleganz und sprudelnde Nachdenklichkeit passen zur Partie des Licida. Eine Hauptrolle, die nicht recht zum Tragen kam. Raffaele Pe (Megacle) hochsinnlicher Counter entzückt und begeistert. Er ist musikalisch ein sinnlicher Liebhaber und ergänzt die biegsame Contralto-Stimme von Margherita Maria Sala, welche die Partie der leidenschaftlichen Aristea singt. Benedetta Mazzucato flötete mit honigsüßer Biegsamkeit und bitteren Schluchzern die vermeintliche Hirtin Argene. Mit bassoraler Würde und königlicher Eleganz agiert Christian Senn als Clistene, König von Sikyon. Luigi Di Donato bildet zusammen als Berater Alcandro  mit dem der superben Coro Maghini die klanglich auftrumpfende Olympische Goldpokal-Mannhaft. 

Die herrlich geglückte von venezianischer Anmut beseelte Premiere der L’Olympiade wurde im Tiroler Landestheater mit lang anhaltendem stürmischem Jubel bedacht und in der Innsbrucker Hofburg gebührend mit vielen heimatlichen und internationalen Olympia-Gästen gefeiert. Gold für Innsbrucks Tage der Alten Musik!

Kleiner Nachtrag:

Wer weiter in den lodernden Flammen der schönen Klängen baden möchte, die der rasant auftrumpfende Schlingel „Aminta“ Bruno De Sá voller Feuer servierte, muss zu seinem Soloabend am Donnerstag, 14. September 2023 bei „Bayreuth-Barock“ in die Wagner Stadt Bayreuth reisen.

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