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Statt Kino: Wir basteln uns unsere eigene Gerhard-Richter-Ausstellung

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Immer mehr Bundesbürger möchten gern ihre eigene Gerhard-Richter-Ausstellung auf den eigenen vier Wänden haben, selbst Gerhard Richter. Stephan Reimertz, seines Zeichens promovierter Kunshistoriker, zeigt in einem bissigen Kommentar acht Maßnahmen, mit denen wir uns unseren ultimativen Kunst(t)raum verwirklichen können.

1.) Wie die meisten Bundesbürger wohnen ja auch wir in einer Bruchbude in einer gesichtslosen Neubaugegend. Wir gehen einfach her, pinseln unserer Bude schwarz an und nennen sie „Neue Nationalgalerie“.

2.) Anstatt unsere alten Fotoalben wegzuschmeißen, suchen wir ein paar Familienaufnahmen aus der guten alten Zeit heraus, projizieren sie auf eine Leinwand und malen sie aus, wie wir es im Kindergarten gelernt haben. Unsern Stolz auf den jeweils abgebildeten Anverwandten schlucken wir herunter und nennen das so entstandene Gemälde nicht etwa „Sturmbannführer Möller“, sondern schlicht „Onkel Heinz“. Understatement kommt immer gut. Die Dialektik von katastrophalem Ausnahmezustand und modellhafter Normalität der Familie in Krieg und Nationalsozialismus können wir immer wieder ins Bild bringen und endlos variieren, bis auch der letzte Betrachter verstanden hat, was gemeint ist. Wir können uns aber auch für Motive wie sympathische Prominente wie Andreas Baader und Ulrike Meinhof oder idyllische Momente unserer Geschichte wie der Bombardierung Dresdens entscheiden. All das wird seine Wirkung bei geschichtsbewussten Betrachter nicht verfehlen.

3.) Ebenso gehen wir mit Farbfotos um. Wir knipsen eine beliebige Hausecke in der Nachbarschaft, pinseln die Projektion auf der Leinwand aus und nennen das ganze „Besetztes Haus“. 

4.) Von einem Schreibwarengeschäft unseres Vertrauens lassen wir uns Tausende kleiner Quadrate aus buntem Papier zurechtschneiden. Dann kleben wir die kleinen Quadrate zu großen Quadraten zusammen. Zu banal? Es kommt auf den Titel an! Wir nennen das Ganze dann Sachsenhausen, Auschwitz, Treblinka usw.

5.) Von einem Glaser unserer Wahl lassen wir uns riesige Glasscheiben anfertigen und stellen sie hintereinander auf. Irgendein Effekt wird sich daraus schon ergeben. 

6.) Wir nehmen eine Zaunlatte, nageln einen Lappen daran und nennen das ganze Rakel. Wir tunken den Rakel in verschiedene Farbtöpfe und ziehen das ganze über eine Leinwand. Und wieder ist ein Bild fertig!

7.) Alle diese Techniken müssen wir nicht selbst anwenden und uns die Hände schmutzig machen. Das ganze lässt sich auch im Rahmen eines Kindergeburtstags verwirklichen. Die Kleinen werden ihren Spaß haben. 

8.) Anlässlich einer Tupperware-Party bieten wir die neuen Kunstwerke im Freundes- und Bekanntenkreis zum Verkauf an, um unser Taschengeld aufzubessern. Verhandlungsbasis: Ab 1 Mio. aufwärts. Nur Gerhard Richter können wir das nicht anbieten. Der hat in einem Anfall von realistischer Selbsteinschätzung die Preise für seine Werke als zu hoch bezeichnet.

Die Ausstellung „Gerhard Richter. 100 Werke für Berlin“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin ist noch bis 2026 zu sehen.

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Instead of cinema: we make our own Gerhard Richter exhibition
More and more German citizens would like to have their own Gerhard Richter exhibition on their own four walls, even Gerhard Richter himself. In a biting commentary, Stephan Reimertz, a doctoral art historian, presents eight measures with which we can realize our ultimate art space.

1.) Like most German citizens, we also live in a run-down shack in a faceless new housing development. We simply paint our place black and call it the „New National Gallery.“

2.) Instead of throwing away our old photo albums, we select a few family snapshots from the good old days, project them onto a canvas, and paint them as we learned in kindergarten. We suppress our pride in each depicted relative and name the resulting painting not „Sturmbannführer Möller“ but simply „Uncle Heinz.“ Understatement always works well. We can repeatedly depict and endlessly vary the dialectic between catastrophic exceptional circumstances and the model-like normality of the family during war and National Socialism until even the last viewer understands what is meant. Alternatively, we can choose motifs like sympathetic celebrities such as Andreas Baader and Ulrike Meinhof or idyllic moments from our history like the bombing of Dresden. All of this will not fail to have an impact on history-conscious viewers.

3.) We also handle color photos in a similar manner. We snap a random corner of a house in the neighborhood, paint over the projection on the canvas, and call the whole thing „Occupied House.“

4.) We have a stationery store we trust cut thousands of small squares out of colored paper for us. Then we glue the small squares together to form large squares. Too banal? It depends on the title! We then name the whole thing Sachsenhausen, Auschwitz, Treblinka, etc.

5.) We have a glassmaker of our choice create huge glass panes for us and arrange them one behind the other. Some effect will surely emerge from that.

6.) We take a fence slat, nail a cloth to it, and call the whole thing a squeegee. We dip the squeegee into different paint pots and pull it across a canvas. And another painting is complete!

7.) We don’t have to apply all of these techniques ourselves and get our hands dirty. It can also be realized as part of a children’s birthday party. The little ones will have fun.

8.) On the occasion of a Tupperware party, we offer the new artworks for sale among our friends and acquaintances to supplement our pocket money. Negotiation starting point: From 1 million euros upward. However, we cannot offer that to Gerhard Richter. He, in a fit of realistic self-assessment, has deemed the prices of his works to be too high.

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