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Statt Kino: Hans Mayer und Theodor W. Adorno sprechen über Stefan George

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Von Stephan Reimertz.

Unter dem damals modisch klingenden Titel Die veruntreute Gegenwart – der Fall Stefan George sendete der NDR im Jahre 1967 ein Gespräch zwischen Theodor W. Adorno und Hans Mayer. (Originalquelle mit Kompositionen, Vorträgen und Gesprächen von Adorno hier) Die beiden gelehrten Schriftsteller, Jg. 1903 und 1907, waren in ihrer Jugend nicht weniger unter dem Eindruck Stefan Georges gestanden als die Jugend heute. In den letzten Jahren freilich hat ein, wie Tucholsky es ausdrückte, »fischkalter Universitätstypus« das Thema monopolisieren wollen und damit vergiftet. Vorstand, Kuratorium, wissenschaftlicher Beirat und Ehrenmitglieder der Stefan George Gesellschaft in Bingen sind derzeit vorwiegend Universitätsprofessoren; in anderen Dichtergesellschaften, man denke an Hölderlin, ist es ähnlich. Die erstickende Verakademisierung hat Adorno selbst schon vor siebzig Jahren analysiert. »Die Departementalisierung des Geistes ist ein Mittel, diesen dort abzuschaffen, wo er nicht ex officio, im Auftrag betrieben wird«, beklagt er zu Beginn seiner Minima Moralia. »Es ist, als rächte sich die Klasse, von der die unabhängigen Intellektuellen desertiert sind, indem zwanghaft ihre Forderungen dort sich durchsetzen, wo der Deserteur Zuflucht sucht.«

Es scheint, der Dichter gehöre allen – nur nicht sich selbst und seinen Lesern. Man sollte Stefan George lesen, nichts aber über Stefan George; dieses Gespräch zweier Kenner und Liebhaber des Themas kann man getrost ausnehmen. Keiner der beiden Gesprächsteilnehmen freilich ist selbst Dichter, Adorno immerhin Komponist. Dem tour d’horizont dürfen wir uns anvertrauen, um wiederum zur Lektüre Georges zurückzukehren. Es stellt auch eine schöne Vorbereitung auf den bestehenden Jahrestag des 20. Juli 1944 dar, wenn hier ein Gedicht im Mittelpunkt steht, welches für den Deutschen Widerstand eine zentrale Rolle spielte.

Der Täter

Ich lasse mich hin vorm vergessenen fenster: nun tu
Die flügel wie immer mir auf und hülle hienieden
Du stets mir ersehnte du segnende dämmrung mich zu
Heut will ich noch ganz mich ergeben dem lindernden frieden.

Denn morgen beim schrägen der strahlen ist es geschehn
Was unentrinnbar in hemmenden stunden mich peinigt
Dann werden verfolger als schatten hinter mir stehn
Und suchen wird mich die wahllose menge die steinigt.

Wer niemals am bruder den fleck für den dolchstoss bemass
Wie leicht ist sein leben und wie dünn das gedachte
Dem der von des schierlings betäubenden körnern nicht ass!
O wüsstet ihr wie ich euch alle ein wenig verachte!

Denn auch ihr freunde redet morgen: so schwand
Ein ganzes leben voll hoffnung und ehre hienieden..
Wie wiegt mich heute so mild das entschlummernde land
Wie fühl ich sanft um mich des abends frieden!

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