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Mozartfest Salzburg 2022: Feldherr Alexander als Friedensfürst und Ehestifter

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker Musik

In Salzburg gibt es ja bekanntlich zu wenig Festspiele, daher findet von nun an jedes Jahr im Oktober ein viertägiges Mozartfest statt. Zum Auftakt brachte der Musikantentrupp L’Arpeggiata unter Leitung der Therobistin Christina Pluhar Mozarts zauberhaftes Frühwerk Il re pastore zu Gehör – glücklicherweise konzertant. Wie kann man die Oper des Neunzehnjährigen musikalisch einordnen? Von Stephan Reimertz.

Eine Biennale der zeitgenössischen Musik versuchte man in Salzburg zu etablieren, diese hielt bemerkenswerterweise trotz regen Zuschauerinteresses nur ein paar Jahre durch. Nachdem der beliebte Märztermin weggefallen ist, bleiben die Mozartwoche Ende Jänner, Oster-, Pfingst- und Sommerfestspiele und ab diesem Jahr nun auch das Mozartfest Ende Oktober: Vier Tage, vier Veranstaltungen. Das Mozarteum richtet das Fest ebenso aus wie im Jänner die Mozartwoche, und auch der Intendant ist derselbe: Rolando Villazón. So gibt’s praktischerweise einen Sänger als Intendanten, nicht anders als bei den Pfingstfestspielen, wo Primadonna Cecilia Bartoli zwischen Bühne und Intendantenbüro hin und her eilt. Nun ist Villazón gerade leider wegen Corona unpässlich. Er sollte in Mozarts Il re pastore (Der König als Hirte) zum Auftakt des ersten Mozartfestes die Hauptrolle singen. Mit Mark Milhofer in der Rolle Alexanders des Großen sprang allerdings ein signoriler Brite ein, der sich nicht nur in seiner Gestalt, sondern auch stimmlich als Idealbesetzung erwies. Milhofer hätte genau diese Rolle bei der Mozartwoche 2021 mit der Camerata Salzburg unter Ivor Bolton singen sollen. Das Festival war damals ja coronabedingt abgesagt worden. So ergab sich nun eine perfekte Gelegenheit, dies nachzuholen. Des Sängers interessante, matt silbrige Intonation kam am besten mit der vertrackten Akustik des Großen Saals vom Mozarteum zurecht. In einer ciceronialischen, appellativen, aber nicht-triumphalen, hier eher gedeckten Klangrede fand er den vollkommenen Ton in einem Saal, dem man’s schwer rechtmachen kann. Sándor Végh nannte den Ort unvorsichtigerweise die »Stradivari unter den Konzertsälen«, Mitsuki Ushida sekundierte und hieß den »besonderen Klang« ihres Lieblingssaales »inspirierend«, Barenboim sprach von einem »der wichtigen Säle des internationalen Musiklebens«, Fazıl Say von einem »der schönsten historischen Säle der Welt«, usw. usw. Kein Wunder, wenn dem Mahner wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Hirtenspiel für den künftigen Fürsterzbischof von Köln

Aber wie kam der neunzehnjährige Mozart auf die Idee, Alexander den Großen zum Helden einer charmanten und eindringlichen Kurzoper zu machen? Am Sonntag, dem 23. April 1775 stieg Erzherzog Maximilian, jüngster Sohn Maria Theresias und künftiger Fürsterzbischof von Köln, auf seiner Reise von Wien an den Rhein in Salzburg ab. Ihm und seinem neuen Amt zu Ehren wollte der Fürsterzbischof von Salzburg ein stimmungsvolles und angemessenes Öperchen geben, welches der Sohn seines Hofmusikus Leopold Mozart beisteuerte, seines Zeichens Konzertmeister der Hofkapelle. Eine solche »Serenata« war zumeist nur für die einmalige Aufführung bestimmt. Einmalig war die Aufführung heuer auch im Mozarteum, und das in zweifacher Hinsicht. Zum ersten wurde sie leider nicht wiederholt, zum zweiten war der Abend ein Glücksmoment für Salzburg. Eine dritte Gemeinsamkeit bestand darin, wie das Schäferspiel aufgeführt wurde; spielerisch nur angedeutet, halbszenisch, jetzt in Salzburg wie ein Konzert, was uns allen die Möglichkeit zur Erholung von diversen Inszenierungsorgien des Sommers gab. Ein wenig szenische Andeutung, mehr braucht es bei dem dramaturgisch einfach gestrickten Schäferspiel auch gar nicht. Alles geschieht in der Musik, und die ist vielseitig, originell und von einzigartiger dolcezza. Dieses Stück ist der Inbegriff des vorwienerischen Mozarts. Für denjenigen, der genau hinhört freilich, hält die Partitur einen verblüffenden Vorschein späterer Werke des Meisters bereit.

Das Süße Mädel, deutsche Fassung

Die berühmteste Arie der Oper ist für einen Kastraten geschrieben.. Man behilft sich beim Gesang mit Countertenören oder, wie heuer in Salzburg, mit einer Sopranistin. Emőke Baráth liefert das Juwel von Arie nachgerade irritierend stimmgewaltig ab.

AMINTA

L’amerò, sarò costante:
Fido sposo, e fido amante
Sol per lei sospirerò.
In sì caro e dolce oggetto
La mia gioia, il mio diletto,
La mia pace io troverò.

Ich werde sie lieben, ich werde beständig sein:
Treuer Ehemann und treuer Liebhaber;
Nur um sie werde ich seufzen.
In einer so Lieben und Süßen
Meine Freude, mein Vergnügen
Meinen Frieden werde ich finden.

Der Flirt zwischen Singstimme und Solovioline, in dieser Arie herausstechend, wird in mancher Aufführung stärker ausgesponnen als heuer in Salzburg. Dennoch blieb auch bei dieser Stelle wenig zu wünschen übrig. Wie alle Sänger erhält Baráth ihren wohlverdienten Szenenapplaus. Gleich darauf folgt Tamara Ivaniš mit No. 11, der Aria der Tamiri Se tu di me fai dono… Hier begreift jeder im Saal, wie man diese Mädchenarie auch der Zerlina im Figaro hätte unterschieben können. Ivaniš hat von allen Darstellern das Mozartische am stärksten in sich aufmagnetisiert und wirkt im roten Kleid wie das Zentrum eines Strudels, der die Schwingungen um sich herum ansaugt. Wegen solcher Mädeln hat man unser Land im 18. Jahrhundert gern gehabt. Goethe begegnete einem solchen noch auf der Wanderung nach Italien zwischen Kochelsee und Walchensee, zusammen mit seinem alten Vater, einem Harfner. In Salzburg fiel nun einer Kroatin die Aufgabe zu, uns daran zu erinnern, was wir einmal hatten!

Ein Rennpferd fürs Dressurreiten

Die vielseitige Musikantin Christina Pluhar und das Ensemble L’Arpegiata, das sie im Jahre 2000 gegründet hat und auch jetzt wieder leitete, hat den Geist Mozarts und seines Frühwerks sympathetisch verkörpert. Perfektionisten beim Mozartfest merkten an, die eine oder andere Stelle hätte noch stärker durchgearbeitet sein können. Allerdings war der ésprit der Musik zweifellos getroffen. Jeder der zwei Dutzend Musikanten versteht sich als Solist. Besonders trugen zum Gelingen auch die sehr edlen Holzblasinstrumente (Oboe, Englischhorn, 2 Clarini) bei sowie das ungemein starke und vierfach besetzte Horn. Das jagdliche Quartett freilich führte links zu eine leichten Halleffekt, wie denn die gesamte Aufführung der gefährlichsten Tendenz dieses Saales, als sein eigener Verstärker zu wirken, nicht ganz entriet. Eine Halbierung der Hörner wie der 1. und 2. Violine hätte dem möglicherweise vorbeugen können. Besucher in der Pause äußerten, wie oft in diesem Saal, den Wunsch nach einem »Lautstärkeregler«, die Lautstärke war indes nicht dermaßen überzogen wie etwa bei der Mozartmatinée im Sommer, die wir an dieser Stelle ja als Konzert für Schwerhörige bezeichnet haben. Der Große Saal des Mozarteums ist wie ein Rennpferd, mit dem ein Dirigent Dressur reiten soll.

Salzburg zerstört sich selbst

Es war ein gelungener Auftakt dieses ersten Salzburger Mozartfestes neuer Zeitrechnung. (Die Vorgängerveranstaltung der Salzburger Festspiele, in den 1870er Jahren ins Leben gerufen, nannte sich auch schon so.) Die Off-Season-Atmosphäre trug zu einer entspannten und familiären Atmosphäre bei. Es zeigten sich beim Mozartfest, vergleichbar der Mozartwoche im Jänner, vor allem bekannte Gesichter aus lokalen Kulturinstitutionen. Und alle waren begeistert von Il re pastore, abgesehen von den Klagen über die Lautstärke. Schlimm jedoch, ein neuerlicher Schock, ist das neue Foyer des Mozarteums, das baugeschichtlich dem Brutalismus der frühen achtziger Jahre angehört, und das die Verantwortlichen hier wohl als den letzten Schrei der Architektur empfinden. Einen Schrei möchte man eher ausstoßen, wenn man das seelenlose, nicht einmal als Schwimmbad taugende bauliche Ödfeld betritt. Zugleich, und das ist kein Zufall, verschwand die kleine Musikalienhandlung am Makartplatz. Jedesmal, wenn man nach Salzburg kommt, ist etwas Schönes, Altes, Originales verschwunden, und im Gegenzug werden wir mit neuen architektonischen Gräueln erschlagen. Wenn das so weitergeht, wird Salzburg in absehbarer Zeit verschwunden sein.

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