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Menschen mit Musik: „Gondola, gondola!“

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Kolumne von Susanne Falk.

Sie singen nicht mehr! Venedig war in diesem Sommer nicht nur etwas weniger überfüllt als früher, es war auch deutlich stiller. Die Gondolieri fahren natürlich immer noch Touristen über den Canal Grande und durch die Kanäle drumherum, aber sie tun dies jetzt, ohne dabei italienische Opern zu schmettern, so dass es einem die bootstauglichen Schuhe auszieht.

Wir waren zu beneiden. Das meine ich ohne jede Bescheidenheit. Wer bekommt schon einen Stipendienaufenthalt für zwei Wochen in einer netten venezianischen Wohnung zugesprochen, wo er die Familie mitnehmen kann und schafft es auch noch entgegen aller äußeren Umstände diesen wahrzunehmen? Antwort: Wir. Diesen Sommer, während um uns herum die Welt im Chaos lag, machten wir zum ersten Mal seit zwei Jahren wirklich Urlaub. Das war bitternötig, höchst erfreulich und gleichzeitig seltsam, angesichts der Tatsache, dass Venedig nach wie vor stand und dafür halb Deutschland untergegangen war.

Die Stadt, die sich eigentlich nie verändert, schon rein aus bautechnischen Auflagen, bot sich in diesem Jahr völlig anders dar als sonst. Am auffälligsten waren die Touristen. Es waren immer noch viele, aber es platzte nicht überall aus allen Nähten und sie kamen in diesem Jahr nahezu ausschließlich aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Russland und den Niederlanden. Und natürlich waren jede Menge inneritalienische Besucher dort. Wer nicht dort war: US-Amerikaner und Japaner. Dank der Niederländer war es also eine entspannte innereuropäische Mischung (ich kenne keine Nation, die so relaxt durch Venedigs Straßen schuckelt wie die Niederländer, wohingegen sich deutsche Eltern mit großer Hingabe in engen Gassen mit ihren Kindern zoffen), mit gelegentlichen I-Tüpfeln von anderen Kontinenten. Das war merkwürdig aber auch schön, fast familiär. Es fehlten nur hin und wieder enthusiasmierte Ausrufe a la: „Oh, darling, take a look! Soooo awwwsome!“

Und dann waren da noch die Tiere. Obwohl der Bootsverkehr längst zurückgekehrt ist, sind die kleinen Kanäle immer noch voller Fische, und zwar solchen von der Länge eines Kinderarms. Nix mit Minifischchen, nein, richtig große Dinger! Das hatte ich noch nie zuvor in Venedig gesehen. Die Wasserqualität dürfte sich während der Coronazeit also wirklich gebessert haben, was uns auch die Venezianer bestätigten. Das hätten sie selbst seit 40  Jahren nicht mehr erlebt.

Den Kindern hatten wir versprochen, dass wir bei diesem Besuch zum ersten Mal wirklich Gondel fahren würden und das taten wir dann auch. Es war unerwartet schön. Venedig langsam rudernd zu durchfahren hatte etwas von der Entschleunigung, die wir brauchten. Erst hinterher fiel uns auf, dass der Gondoliere keine einzige Arie geschmettert hatte. Ruhig und sachlich erklärte er uns die Geschichte der einzelnen Palazzi, erzählte uns von den drei Delphinen, die während des Lockdowns in den Kanälen aufgetaucht waren und ließ sich in einigen Anekdoten über die bekloppte Oberschicht aus, die gerne in den überteuerten Hotels am Canal Grande residiert. Und erst da überkam es mich: Venedig war ungewöhnlich still. Es wurde nirgendwo gesungen, es waren kaum Straßenmusiker unterwegs und der einzige Lärm, der unsere Nachtruhe störte, kam von den reichlich blutdürstigen Mücken (den Rekord hält unser jüngste Kind mit 21 Stichen in einer Nacht) und unserem Nachbarn, der um sechs Uhr früh sturzbetrunken das Radio aufdrehte. Ein merkwürdig perfekter Sommer voller Eis, Lidostrand und Bootstouren. Und dennoch mit Wehmut angereichert, weil nun niemand mehr amerikanische Touristen mit einem markerschütternden „O sole mio“ durch die Stadt schipperte. Venedig ist noch lange nicht back to normal. Wir dagegen schon. Ankommen war allerdings noch nie so schwer. Doch zum Glück bleibt Wien so laut (Baustelle um die Ecke, Müllbändiger in Action, Besoffene auf der Straße) wie eh und je. Und die Theater und Opern öffnen (hoffentlich) auch bald wieder.

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