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Menschen im Museum: „Ungebetene Gäste“

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Kolumne von Susanne Falk.

Ich war nicht eingeladen, ein ungebetener Gast. Und, ich gebe es zu, darüber hinaus noch ein überaus unhöflicher. Ich stöberte in den privaten Erinnerungsschätzen, besah mir das Hab und Gut meines Gastgebers und hatte keine Scheu, selbst intime Aufzeichnungen des Mannes zu studieren, dessen Wohnung ich betreten hatte. Zu meiner Ehrenrettung kann ich anführen, dass mein Gastgeber schon ziemlich lange tot war. Also dürfte es ihn nicht sonderlich gestört haben, was ich da so in seiner Wohnung trieb. Aber ja, es grenzte ein wenig an Leichenfledderei. Und bevor Sie jetzt Böses denken: Nein, ich war’s nicht! (Soll heißen: Ich hab ihn nicht auf dem Gewissen.) Tatsächlich liegt der Tote schon lang begraben auf dem Zentralfriedhof herum. Ganz genau sind es jetzt schon 131 Jahre. Die ersten 61 Jahre verbrachte er nämlich tot auf dem Währinger Friedhof, bevor die Wiener beschlossen, ihn umzubetten. Und obwohl der Gute schon so lange nicht mehr unter uns weilt, hat er immer noch eine Adresse in der Mölker Bastei 8. Und eine in der Probusgasse 6. Und dann noch eine in der Schwarzspanierstraße 15. Also, wenn ich so darüber nachdenke, sind das reichlich viele Adressen für nur einen Toten – und das, wo gute Wohnungen selbst in Wien gar nicht so einfach zu bekommen sind. Aber der Mann ist damit ja nicht alleine.

Da gibt es noch einen Herren, der unglaublich viele Wohnungen und Häuser zu besitzen scheint und das, obwohl er sage und schreibe schon 228 Jahre tot ist. Ich meine, wo gibt es denn so etwas? Darunter ist eine Adresse in der Salzburger Innenstadt. Piekfein. Wissen Sie, was ein Haus in der Getreidegasse kostet??? Und der Mann wohnt da ja nicht einmal mehr, weil er, wie schon erwähnt, seit 228 Jahren tot ist! Und unsereiner sucht und sucht und findet keinen günstigen Wohnraum für sich und Kind und Kegel, weil die besten Adressen natürlich längst weg sind. Logisch. Da wohnen ja überall die Toten drin.

Nun ist Wien zweifelsohne eine Stadt, die für Morbides viel übrig hat und man könnte meinen, das ganze sei primär eine Wiener Eigenart, den Toten den besten Wohnraum zu überlassen, aber: weit gefehlt! Es ist ein Phänomen, das man weltweit beobachten kann. Es gibt Beispiele aus Deutschland (Ich sage nur: Weimar, Frauenplan 1. Da wohnt auch so einer.), Rom (Piazza di Spagna 26), London (48 Doughty Street in Holborn) und sogar auf der Insel St. Helena (Jamestown STHL, 1ZZ). Alles leerstehender Wohnraum, reserviert für die Toten. Da ist es ja das Mindeste, dass man wenigstens mal einen Blick hineinwerfen darf, in die heiligen Hallen. Und ein bisschen in den alten Briefen, Tagebüchern oder Instrumentensammlungen der Verstorbenen herumstöbert. Stört ja keinen. Und in einem Anfall von Größenwahn darf man sich dann natürlich überlegen, ob man selbst seinen Wohnraum so großzügig ans Fremdenverkehrsamt abtreten würde, sollte man je in die Verlegenheit geraten, zu Ruhm und Ehren zu gelangen (eher nicht) und dann den Löffel abzugeben (garantiert). Ich für meinen Teil fände es schöner, wenn in den Wohnungen noch meine Enkelkinder herumflitzen würden. Aber das haben sich diese Toten womöglich auch gedacht. Und dann: Nachkommen alle verstorben und flugs wird das Häuschen in ein Museum umgewidmet. Man kann also nie wissen. Die einzige Möglichkeit, hier auf der sicheren Seite zu bleiben, ist die, gar nicht erst berühmt zu werden. Ein Lebensziel, das sich problemlos verwirklichen lässt.

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