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Menschen im Museum: “Ein Kindheitstrauma”

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Menschen im Museum. Kolumne von Susanne Falk

Kolumne von Susanne Falk.

„Nein! Nicht schon wieder! Das können die echt nicht mit uns machen!“

Das waren ziemlich genau meine Gedanken, als ich bereits im zarten Teenageralter zum fünften Mal in meinem Leben die Moorleichen im Schleswiger Schlossmuseum Gottorf anschauen musste. Mir kam es damals so vor, als habe man uns Schüler beinahe jedes Jahr dorthin gekarrt, um uns im Moor konservierte Leichen vorzuführen. Das nannte sich dann Heimatkunde. Mir bescherte es wochenlange Albträume und ein echtes Kindheitstrauma.

Es ist ja nicht so, dass es keine anderen Museen im Norden Schleswig-Holsteins gäbe. Aber es endete immer, immer wieder bei den gut konservierten Toten aus dem Moor. Und natürlich packten die Lehrer dann alle bekannten schrecklichen Details aus, darüber wie diese armen Menschen dort im Moor zu Tode gekommen waren. Da wurde Tacitus zitiert, was das Zeug hielt und Schauerliches über Opfertheorien ausgepackt. Dass die meisten der Toten im ersten Jahrhundert nach Christus hier entweder regulär bestattet worden waren oder, wesentlich seltener, bei Unfällen umgekommen, spielte keine Rolle.

Nicht vergessen werden durfte natürlich der Hinweis auf die Bleichung der Haare durch das Moor, weshalb viele Moorleichen rote oder blonde Haare aufweisen. Nicht dass wir uns fälschlicherweise die Toten als Rothaarige vorstellten! Was wir natürlich taten. Das ist bei Moorleichen nicht viel anders als bei rosa Elefanten: Man kann gar nicht nicht daran denken.

Dummerweise hab ich zur selben Zeit, in der ich zum ersten (und nicht zum letzten!) Mal die Moorleichen anschauen musste auch den „Hund von Baskerville“ zum ersten Mal gesehen. Rückblickend muss ich sagen: Für beides war ich viel zu jung und Pädagogen und Familie sollten sich was schämen! Also, zumindest die Lehrer. (Dass ich heimlich hinter der Wohnzimmertür stand, um den verbotenen Sherlock-Holmes-Thriller zu sehen, bekamen meine Eltern ja damals gar nicht mit…) In meinem Kinderkopf hab ich dann wohl beide Schauergeschichten miteinander verwoben und so lief ich jahrelang mit dem Bild in meinem Schädel herum, bei dem in Todesangst schreiende rothaarige Menschen, verfolgt von einem riesigen Hund, im Moor versanken – und erst Jahrhunderte später wieder im Museum von Schloss Gottorf auftauchten, wo man gar gruselige Geschichten über sie erzählte.

Zum Glück gab es im Museum auch noch andere Dinge, etwa das Wikingerschiff in der Nydamhalle. Da hab ich mich dann stets aufs Neue sehr drauf gefreut, damit ich die Bilder der Leichen aus dem Kopf bekam. Dann doch lieber vermoderte Holzbalken anschauen, von denen man behauptete, sie gehörten einst zu einem großen Boot. Vom Boot konnte ich da wenig erkennen, aber immerhin hatte es keine rooten Haare und war wegen Ehebruchs ins Moor gestürzt worden, um dort elendig umzukommen. (Die Geschichte mit dem Ehebruch hat sich später dann als Märchen herausgestellt, weil man eine Männerleiche fälschlicherweise für eine junge Frau gehalten hatte.)

Was man uns nicht gezeigt hat, waren dagegen die oft rasend spannenden Sonderausstellungen moderner Kunst in der Reithalle gleich nebenan. Die wären zehnmal besser gewesen, aber nein, es mussten stets aufs Neue die Toten und ihre schreckliche Geschichte bemüht werden. Dabei bietet Schloss Gottorf so viel mehr! Abgesehen von einem fantastischen Parkgelände mit einem überaus beeindruckenden Barockschloss, verfügt es über eine große Sammlung alter Gemälde im hier beherbergten Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte. So nah kommen sie einem Lucas Cranach selten! Allein deswegen schon lohnt der Besuch.

Sollte es Sie also in naher Zukunft in die Gegend in und um Schleswig verschlagen, statten Sie doch dem Schloss Gottorf unbedingt einen Besuch ab, lassen die Moorleichen links liegen und stürzen Sie sich auf die Kunst. Denn: wenn schon Albträume, dann wenigstens von Hieronymus Bosch gemalt!

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