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Heute Abend stirbt Butterfly

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„La BETTLEROPERa“. Moritz Eggert mit einer radikalen Neuinterpretation des klassischen Stücks an der Neuköllner OperDie Saisoneröffnung an der Wiener Staatsoper war diesmal etwas ganz Besonders. Es war die erste Premiere nach dem Lockdown. Asmik Grigorian sang die Titelrolle in Puccinis Madama Butterfly. Stephan Reimertz berichtet von einem denkwürdigen Abend.

 

»Die Musik spielt Butterfly. Ich denke an meine Frau in Graz, vielleicht stirbt sie heute. Ich musste ihr jetzt das Scheidungsurteil zusenden heute hat sie‘s bekommen…« schrieb Max Beckmann 1925 an seine junge Freundin Quappi. Er trennte sich gerade von seiner Ehefrau, der aus Altenburg stammenden Opernsängerin Minna Tube, die in Graz zum Opernensemble gehörte. Die Bemerkung des Malers zeigt, wie stark Giacomo Puccinis Oper Madama Butterfly eine Generation nach ihrer Uraufführung bereits ins Bewusstsein der Zeitgenossen eingesickert und mit Trennung, Tod und Katastrophe assoziiert war. Das in dieser Zeit aufkommende Radio sollten den Siegeszug von Puccini und Lehár, Richard Straussens beiden Hauptkonkurrenten um den Kranz des größten Opernkomponisten der Zeit, zu ihren Gunsten beschleunigen. Heute freilich stehen alle drei Komponisten in nie gekannter Frische und ewiger Neuheit vor uns, wobei Strauss langfristig davon profitiert, nach literarisch und philosophisch durchdachten Textbüchern komponiert zu haben, wohingegen seine beiden Gegenspieler nicht selten auf zusammengestückelte Machwerke von Libretti zurückgriffen. Das wurde am Montag, an diesem besonderen Abend der Wiedereröffnungspremiere der Wiener Staatsoper, wieder deutlich, als sich der Vorhang zu einer Oper hob, deren Musik genial, deren Libretto eine Katastrophe ist.

Oper im amerikanisierten Österreich

Das unglückliche Österreich gibt sich seit Jahren stark amerikanisiert. Amerikaner staunen. Was „political correctness“ und Englisch in öffentlichem Raum angeht, versucht der Kleinstaat die USA zu überbieten. Seit dieser Saison ist ein dynamischer junger Manager, der in der Musikindustrie in London und New York gearbeitet hat, Operndirektor. Als Kunstwerk auf dem Eisernen Vorhang der Staatsoper kann man bis Anfang Juni 2021 das Werk »Queen B (Mary J. Blige)« der US-amerikanischen Künstlerin Carrie Mae Weems bewundern, ein recht epigonales Stück, wenn man bedenkt, was hier schon alles zu sehen war. Die Wiedereröffnungspremiere bringt eine Altinszenierung der Madama Butterfly von Regisseur Anthony Minghella, die 2005 in London Premiere hatte und dann nach New York ging. In seiner Großmannssucht schüttet der österreichischen Kleinstaat nicht nur das Kind mit dem Bade aus, sondern auch seine besten eigenen Traditionen. Minghella, der mit dem Englischen Patienten den längsten Trailer der Filmgeschichte gedreht hat, schmeichelt mit der japanoiden Farborgie seiner Butterfly dem Auge auf eine sehr vordergründige Weise. Auch die gefällige Bühnenchoreographie von Carolyn Choa erregen im Zuschauer den Verdacht, die neue Wiener Operndramaturgie könnte in Richtung Konsumismus gehen. Der Kleinsaat Österreich inklusive seiner Staatsoper möchte offenbar am liebsten ein US-Bundesstaat, besser noch ein amerikanisches Kaufhaus sein. Wenn es in Wien noch Menschen von Kultur und Bildung geben sollte, dürfen sie das nicht zulassen.

Ein neuer Weltstar

Asmik Grigorian hat vor zwei Jahren als Salomé bei den Salzburger Festspielen den Durchbruch zum internationalen Ruhm gefeiert und durfte heuer dort die Chrysothemis und in Wien die Butterfly geben. Erliegt man allzu sehr der Suggestion ihrer Auftritte in Salzburg, wenn man ihre starke und reine Stimme als Butterfly jetzt als zu hart, zu wenig rund, zu sehr als eine Richard-Strauss-Stimme empfindet? Freilich wäre dies eine Einschränkung auf sehr hohen Niveau, zumal Besucher der Premiere, welche schon in der Generalprobe waren, bezeugen, ihre Stimme sei dort „runder“ gewesen. Ob man sich im gegenwärtigen Starsystem künstlerisch ideal zu entwickeln vermag sei dahingestellt. Von Grigorian bleibt der Eindruck einer konzentrierten auch szenisch sehr starken Darstellerin, die in der einfachen Dramaturgie von Minghella schwerlich all das zeigen konnte, was in ihr steckt.

Asmik Grigorian (Cio-Cio-San in „Madama Butterfly“) / © Algirdas Bakas

Corona und Puritanismus

Wie sehr die Staatsoper bereits in der Logik des Internetkapitalismus versackt ist, zeigte sich schon daran, wie sie bei Vergabe der Pressekarten nach Reichweite von Google Analytics geht. Ihr Berichterstatter vom Feuilletonscout, lieber Leser, begab sich – denn Kaufkarten waren natürlich auch schon weg – wie in alten Zeiten in die Stehplatzschlange, und zwar von zwölf Uhr mittags an. Dennoch war keine Minute dort vergeudet, weil er wiederum vom Wissen seiner wohlinformierten Mitwartenden profitieren konnte. Wir erinnern uns: An manchen Tagen ist die Wartezeremonie in Wien interessanter als die Inszenierung. Allerdings gab es nicht wie sonst fünfhundert, sondern nur etwa hundertachtzig Stehplätze, diese allerdings waren in Wirklichkeit Sitzplätze, denn man hatte, gesundheitsamtlich verfügt, Sessel mit Abstand aufgestellt, damit sich die Leute nicht zu nahe kommen, was ja auch im Sinne des in Österreich noch stärker als in seinem Ursprungsland USA angebeteten Neo-Puritanismus ist.

Reaktionäre Konsumästhetik?

Kapellmeister Philippe Jordan lieferte mit dem Orchester der Wiener Staatsoper eine akzentuierte, farbige, bisweilen gar schillernde Interpretation von Puccinis interessanter und vielseitiger Partitur ab – in welcher freilich auch einiges stört, so zum Beispiel die affirmative Verwendung der US-Hymne. Die Mezzosopranistin Virginie Verrez beeindruckte an der Seite von Grigorian als Suzuki ebenso wie Freddie de Tommaso als Pinkerton, den er auch darstellerisch stark überwältigend und dadurch erfreulich kritisch anlegte. Die Tanz- und Choreographieeinlagen waren dagegen allzu schlicht, da wäre jeder Wiener Ballettschule sicher mehr eingefallen. Glanzstück der Produktion allerdings waren Puppendesign und -regie von Blind Summit Theatre Mark Down & Nick Barnes; das amerikanisch-japanische Kleinkind, eine stumme Rolle, wurde nämlich als Puppe von drei Puppenspielern geführt, Idee und Umsetzung waren schon sehr gelungen. Der Applaus klingt bei einem nur zur Hälfte besetzten Haus allzu mickrig gegenüber dem, was die Mitwirkenden sonst gewohnt sind. Dennoch kann man sagen, der Abend wurde gut aufgenommen, wobei sicher auch die Erleichterung eine Rolle spielte, endlich wieder in die Oper gehen zu dürfen. Künstlerisch-intellektuell, auch geschichtsphilosophisch gesehen, war das Ganze freilich ein Durchfall. Eine ernstzunehmende Inszenierung dieser Oper kann das Unmögliche der Geschichte nur dialektisch zu vermitteln versuchen. Was in Wien geboten wurde, vermittelt dem Opernbesucher das Gefühl, wieder in der Epoche vor Wieland Wagner und Patrice Chéreau gelandet zu sein und ein Jahrhundert Musik- und Kunstphilosophie noch einmal von vorn beginnen müssen. Nun wurde der neue Operndirektor ja mit einer Arbeit über Theodor W.-Adorno promoviert. Wir alle hoffen, man bemerkt davon bald etwas.

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