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Das schelmische Lachen des Monsieur Jacques

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„Zum Mond und zurück“. Eine Science-Fiction-Oper für Menschen jeden Alters von Andrew Norman.

Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ an der Opéra Royal de Walllonie, Liége, Belgien. Von Barbara Röder.

„Hier sind Ort und Stunde selber Geister und Gespenster. In ihnen verschlossen leben die Menschen, bis sie ersticken.“ (Theodor W. Adorno)


Ein diabolisches, lüsterneres Lachen durchzuckt die Stille. Der süffisant laut intensive Kommentar zu dem, was da auf uns in Jacques Offenbachs Fantasie sprühenden Opernklassiker „Hoffmanns Erzählungen“ zukommt, gehört Stadtrat Lindorf. In Ledermontur, offenem Hemd samt Tattoo und mit roten Handschuhen ausstaffiert, schreitet er aus dem irisierenden Off. Der düstere Gesell, der in Jacques Offenbachs „Fantastischen Oper“, „Hoffmanns Erzählungen“ sein funkelndes Aktionspotential aus seiner Seele kramt und in den verführerischen Figuren – Lindorf, Coppélius, Doktor Miracle und Dapertutto- das Kuriosenkabinett mit lasziver Präsenz zu verführen vermag, ist der grandiose Bariton Erwin Schrott. Auf diesen stimmgewaltigen Verwandlungsmeister scheint die Inszenierung von Stefano Poda fokussiert zu sein.

Antonias Welt: Erwin Schrott und Jessica Pratt (c) J-Berger/ORW-Liège

In einer Koproduktion mit den Opernhäusern in Lausanne (2019) zu Offenbachs 200. Geburtstag, Tel Aviv 2023 und nicht zu vergessen in einer deutschen Eigenproduktion am Gärtnerplatztheater München machten Podas „Hoffmanns Erzählungen“ an der Königliche Wallonische Oper ihre finale Station. Dass Liège, eines der besten Opernhäuser im französischsprachigen Raum ist und wieder ein fulminantes Sängerdarsteller-Staraufgebot vom Feinsten bot, überrascht nicht. „What Else“ würde dies der smarte George Clooney nonchalant kommentieren. Musikalisch führte der klug, subtil und beherzt dirigierende Giampaolo Bisanti das Orchestre Royale de Wallonie durch die, das Schwere und zugleich Leichte atmende Offenbach’sche Partitur.

Anschmiegsame Cellosoli, die durch die gesamte Oper beim Liebessehnen Hoffmanns erklingen, lässt Bisanti frei musizieren. Es sind die von Bisanti exquisit herausgearbeiteten Erinnerungsmotive, welche das von Offenbach dramaturgisch brillant komponierte Werk in Lüttich zum Highlight werden lässt.

Erwin Schrott, der exzellente Verwandlungsmagier
Erwin Schrott – E. SCHROTT – Luca Dall’Amico – Jessica Pratt (c) J-Berger/ORW-Liège

Podas weiß-schwarz-rote Show ist wie bei all seinen Produktionen Kreator von Bühnenbild, Kostüme und Licht inklusive Inszenierung. Er modifiziert, den Aufführungsorten angepasst, jeweils sein Grundkonzept. Diese als „Gesamtkunstwerk“ bezeichneten Inszenierungen, sind immer schicke, ausladende, Effekt gespickte Spektakel in welchen aber kaum Personenführungen oder wahrhafte Charakterstudien stattfinden. Im weiträumigen, ästhetisch kühlen Ambiente seiner Bühnenräume sind meist der Kälteschock der Gefühle und das Frösteln der Stimmung angesagt. Starke, ausdrucksintensive, spielvergnügte Sängerdarsteller, machen aber schnell Podas sehr statische und eindimensionale Regie vergessen.

Interessant scheint, was Poda zu seiner Inszenierung der „Hoffmanns Erzählung“ im Programmheft schreibt: „Das Kuriositätenkabinett meiner Inszenierung stellt Hoffmanns Bemühen dar, alle Teile seines Lebens zusammenzufügen, um durch die Kunst den Sinn, das Geheimnis und das Mysterium zu verstehen. Der Prolog stellt das Alptraumzimmer eines verlorenen Mannes dar; der erste Akt ist das Kabinett eines wissenschaftlichen Genies wie der Erfinder der Puppe in Fellinis berühmtem Casanova, das mit all seinem Experimenten gefüllt ist; der zweite Akt ist das Haus eines Musikliebhabers, der sich für Operndiven begeistert, die wie in einem Wachsmuseum um ihn herum versammelt sind; der dritte Akt (in Venedig) zeigt dagegen eine Sammlung weiblicher Schönheit, oberflächlicher Freude am Spiel und an Festen. Dieses Kabinett ist also das Reich eines raffinierten, surrealistischen, teuflischen Sammlertums, in dem jede Szene einen anderen Teil von einem selbst zeigt.“

In der Höhle des Löwen
Jessica Pratt und Erwin Schrott (c) J-Berger/ORW-Liège

Mit seiner letzten und einzigen nicht vollendeten „Fantastischen Oper in fünf Akten“ von Jules Barbier nach dem Drame fantastique von Jules Barbier und Michel Carré „Hofmanns Erzählungen“ – Jacques Offenbach starb wenige Monate vor der fulminant gefeierten Premiere 1881 an der Pariser Opéra-Comique – , setzt der Pariser Weltbürger Offenbach dem romantischen Universalgenie E.T.A. Hoffmann ein tönendes Denkmal. Der Dichter, Komponist und bildender Künstler Hoffmann schwelgt in rauschhafter Verliebtheit. Die drei Herz-Damen seines Verlangens beflügeln die Rückblicke in sein bisheriges Leben. Offenbach ließ seine Fabulierungskunst natürlich durch die von dem deutschen Schriftsteller geschaffenen Figuren beflügeln: Die Geschichte von Olympia ist aus „Der Sandmann“, die von Antonia aus „Rat Krespel“ und die Geschichte von Giulietta aus „Die Abenteuer der Sylvester-Nacht“. Der singende Automat Olympia, die junge Antonia, deren Leben ausgehaucht wird, wenn sie singt, oder die venezianische Mätresse Giulietta, die mit den dunklen Mächten verhandelt, tauchen in Hoffmanns Fieberträumen wiederholt auf. Offenbach widmet den Liebestollheiten seines Antihelden jeweils einen Akt. Im Prolog erwartet er sehnsüchtig auf einen Brief von Stella, einer Sängerin, die im „Don Giovanni“ Mozarts im Opernhaus nebenan gastiert. Hoffmanns ärgster Konkurrent ist Stadtrat Lindorf, der in seiner Fantasie in den Gestalten Coppélius, Doktor Miracle und Dapertutto erscheint.

In Podas gigantischen weißen Sammel- und Kuriosenkabinett sind die Wände mit allerlei Setzkästen bestückt, in welchen sich Figuren, Torsten, Antikes tummeln. In einem Hamsterrad gleichen Viereck, das in das Kabinett eingeladen ist, befindet sich die Studierstube Hoffmanns. Dieser rennt unentwegt an den Wänden empor über Bett und Tisch. Die vier Namen seiner Traum-Geliebten: Olympia, Antonia, Giulietta und Stella umranden das sich drehende Ungetüm. Hoffmann scheint auch ein Kunstgegenstand, ein Hirngespinst oder eine Fantasiegestalt zu sein. Wagen wir doch einmal den Gedanken, dass in Podas Introspektion Lindorf, wie am Anfang erwähnt, der eigentliche Akteur ist. Folgen wir etwa seinen dunklen, magischen Träumen? Agiert Lindorf vielleicht wie in Robert Louis Stevensons Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ mit seinen (ab)-gespaltenen Persönlichkeiten? Hoffmann ist demnach Lindorfs guter, kreativer Charakter. Denn im finalen Bild glänzt und flimmert es weiß. Die Asservatenkammer des Dichtermuseums, des mirakulösen schwarzen Gesellen Lindorf – wir verfolgen diesen kühnen, ja toll dreisten Gedanken – wandelt sich: Hoffmanns Muse erinnert den Dichter an dessen Talent, seine Pflicht, die Kunst, das Schreiben, das Komponieren als Beglückung, als Reich der Erfüllung zu empfinden. Lindorf bleibt triumphierend zurück. Alle Kunstfigur-Frauen (Stella, Olympia, Antonia und Giulietta) verharren weiterhin als Figuren in Schneewittchen-Sarg gleichen Schaukästen. Menschen aus Fleisch und Blut, deren Gefühle und Leidenschaften leben nur in und durch die Musik. Um die Sammelleidenschaft Lindorfs zu demonstrieren, hat Poda ein choreografiertes Ballett mit hin und hergeschobenen Acrylglas-Särgen, Schaukästen für alle drei Damen-Akte konzipiert.

Glücklich vereint: Arturo Chacon-Cruz (Hoffmann) und Erwin Schrott (Lindorf) / Foto: Barbara Röder

Olympia, die mechanische Puppe, ist im Designer-Wunderland inklusive Karl Lagerfeld, der um die Kästen herumschleicht, zu Hause. Die ausgestellten Frauen im rot durchbrochenen Netzkleid tagen die Namen aus den Erzählungen des wahren Dichters E.T.A. Hoffmann auf dem unteren Rand. Nur dass die famose Jessica Pratt, welche gleich alle Parts der ehemals Geliebten Hoffmanns singt, in einem roten Hosenanzug erscheint, bleibt ein Rätsel. Jessica Pratt, die australische Star-Sopranistin, die eine beachtliche Karriere in den großen Belcanto-Rollen vorzuweisen hat, versuchte allen Gesangsparts, der drei ehemaligen Geliebten inklusive Stella, gerecht zu werden. Ihre sehr schwere Stimme gewann im Laufe des Abends an Kontur. Ihre Olympia schwebte eher am Boden als in luftiger Höhe, aber die vertrackten Koloraturen der Puppenarie gelangen. Der lyrischen Antonia gab sie Zerbrechlichkeit und Farbe, der Giulietta im Venedig-Akt Tiefe und Größe.

Der mexikanische Tenor Arturo Chacón-Cruz ist eine gute Wahl für einen vorzüglichen Hoffmann. Mit rauem, klassischen Timbre überzeugte er stimmlich wie szenisch. Besonders virtuos gelingt ihm das berühmte Lied des „Kleinzack“. Leidenschaftlich agierend durchstreift er das Opern-Diven-Museum im Antonia-Akt und belauscht die historischen Sängerinnen wie Maria Callas oder Mirella Freni in den Vitrinen. Beäugt wird er dabei vom brillant, gut durchtrainieren Chor, der als schwarze Höllenfiguren in Latex herumschleicht. Aus dem exquisiten Solistenensemble sticht die Mezzosopranistin Julie Boulianne als wendige Muse und Nicklausse hervor. Ebenso bemerkenswert singt und agiert der hoch konzentrierte Valentin Thill als Spallanzani. Eine Entdeckung! Vincent Ordonneau schlüpft mit vorzüglicher Präsenz in die vier halbseidenen Dienerrollen. Auf sehr hohem Niveau sind die üppigen Nebenrollen mit Samuel Namotte (Luther, Crespel), Julie Bailly (Stimme der Mutter), Roger Joakim (Schlemihl) und Jonathan Vork (Nathanael) besetzt.

Ein von Offenbachs Fabulierkunst berauschtes Publikum entschwindet nach heftigen Bravi und Applaus in den milden Herbstabend. Jacques Offenbachs Reise in die dunkle, exquisit klingende Welt der Romantik feierte an der Opéra Royal de Wallonie seinen festlichen Abschluss. 

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The mischievous laughter of Monsieur Jacques
A diabolical laughter breaks the silence, led by Councilor Lindorf in Jacques Offenbach’s „The Tales of Hoffmann.“ Erwin Schrott shines as the sinister Lindorf in Stefano Poda’s production, which reaches its final destination in Liège. The staging presents Offenbach’s work as a surreal cabinet of curiosities, with each act symbolizing Hoffmann’s life. Giampaolo Bisanti conducts the Orchestre Royale de Wallonie with subtle intelligence, while Poda’s production impresses with its visual opulence, even though it could be perceived as static and one-dimensional. The plot follows Hoffmann’s love entanglements with the characters Olympia, Antonia, and Giulietta. In Poda’s stage design, there are display cases and a revolving monstrosity with the names of the beloved ones. The production portrays Lindorf as a possible main character, representing Hoffmann’s creative character. The finale shows Hoffmann’s muse as a reminder of his artistic duty. The singers, including Jessica Pratt as a versatile beloved and Arturo Chacón-Cruz as a convincing Hoffmann, captivate the audience. The production concludes with frenetic applause, and Offenbach’s journey into the romantic world of music finds its festive conclusion at the Opéra Royal de Wallonie.

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