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Statt Kino: Work-Survive-Balance

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Der Arbeitsforscher Hans Rusinek befasst sich in seinem Buch „Work–Survive–Balance“ mit der Zukunft unserer Arbeitswelt und zeigt darüber hinaus die Zusammenhänge von Arbeit und global-wirtschaftlicher sowie klimatischer Lage auf. Susanne Falk sprach mit dem 1989 geborenen, engagierten Nachwuchsforscher, der u.a. einen Lehrauftrag zu „Future of Work“ an der Fresenius Universität in Hamburg innehat und Fellow im ThinkTank30 des Club of Rome Deutschland ist. 2020 bekam er den Förderpreis für Wirtschaftspublizistik der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Feuilletonscout: Lieber Hans, wir sind offenbar aus der Balance geraten, wenn viele Menschen heute Arbeit und Lebensglück in getrennten Bereichen suchen. Wie schaffen wir es, Arbeit wieder als sinnerfüllt und bereichernd zu erleben?
Hans Rusinek: Sinnvoll ist eine Tätigkeit, wenn mein Arbeitgeber objektiv wertvolle Ziele verfolgt (Menschen heilen, Brötchen backen, die Menschen ernähren, die Energiewende voranbringen etc.) und wenn ich gleichzeitig als arbeitende Person auch subjektiv wertschätzen kann, was mir persönlich und direkt auf der Arbeit widerfährt (meine Vorgesetzten sind respektvoll, meine Bezahlung ist angemessen, mein Team engagiert, meine Rolle gut definiert etc.). Beide Seiten, gewissermaßen der große Sinn und das Sinnliche im Alltag, müssen erfüllt sein. Beides scheint momentan Mangelware: Es gibt Konzerne, die uns heute eher als Teil des Problems, denn als Teil irgendeiner Lösung erscheinen (bspw. in der Klimakrise), denen also der große Sinn fehlt. Und es gibt Jobs, deren großer Sinn unbestritten ist (wie im Gesundheitssektor), wo aber die Arbeitsbedingungen hochproblematisch sind.

Feuilletonscout: Wie wir arbeiten, hat Einfluss auf unsere Umwelt. Mit genügend Abstand nehmen wir sie anders wahr, gestalten wir sie anders und ändern auch den Blick auf die globalen Ressourcen. Wie bringen wir die notwendige Distanz zwischen uns und unsere Arbeit, um die Perspektive zu wechseln und „das ganze Bild“ zu sehen, ohne uns zu weit von der Arbeit als solcher zu entfernen?
Hans Rusinek: Ich weiß nicht, ob Distanz notwendig ist, in vielerlei Hinsicht sollten wir sogar auf der Arbeit mehr „da“ sein. Also voll „da“ sein aber nicht in dem gehetzten Sinne, in dem wir es heute sind, wo es normaler ist am Wochenende eine Arbeits-E-Mail zu beantworten, als in der Woche ins Kino zu gehen. Sondern „da“ als ausgeglichene, reflektierte Wesen, die obendrein auch Zugang zu ihren Gefühlen haben. In meinem Buch geht es mir in zwei Kapiteln beispielsweise um den Umgang mit Zeit und den Umgang mit Körpern.
Heute verbarrikadieren wir uns in Stress oder Koffeinrausch auf der Arbeit, die gelegen kommen, weil sie vom Körper ablenken und wir uns so nicht spüren müssen. Davon betäubt, sind wir auch unserer Mitwelt gegenüber taub. Der Blick verengt sich: Was bleibt, ist ein rasender Stillstand. Nichts wird hinterfragt. Business as usual.
Wenn wir hingegen noch andere Formen als die Gehetztheit auf der Arbeit zulassen, dann verändert sich auch unser Blick auf das, was wir dort tun. Und zwar in Richtung Verantwortung. Verantwortung ist zum einen nämlich eine zeitintensive Praktik und zum anderen können wir sie nur übernehmen, wenn wir sie spüren können – sie geht über den Körper.

Cover: Herde Verlag

Feuilletonscout: Haben junge, mittelalte und ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eigentlich unterschiedliche Ziele, wenn es um Arbeit geht? Sind die Bedürfnisse nicht so unterschiedlich, dass man da kaum auf einen Nenner kommt?
Hans Rusinek: Die Frage ist genau richtig formuliert: Ja, es gibt große Unterschiede, was sich Menschen in Abhängigkeit ihres Alters von der Arbeit erwarten, oder genauer in ihren Lebensphasen, denn manch einer hat auch mit Ende 40 noch pubertäre Züge. Es gibt aber auf der Arbeit keine festen Generationenunterschiede, wie uns oft weisgemacht werden will. Letzteres hieße ja, dass eine Generation Z und eine Boomer Generation niemals auf einen Nenner kommen. Und dass alle Menschen, die zu einer Generation gehören, gleich ticken würden, was schon arges Schubladendenken ist. Zu solch stabilen Unterschieden gibt es aber keine wissenschaftliche Evidenz. Schauen wir auf Lebensphasen, ist die Sache viel versöhnlicher: Wir werden alle wie unsere Alten und deshalb sollten unterschiedliche Altersgruppen gelassen durch die verschiedenen Lebensphasen gemeinsam wandeln.

Feuilletonscout: Im Hinblick auf kommende Generationen (die ja eigentlich schon längst da sind): Was verstehst du unter „enkeltauglicher Arbeit“?
Hans Rusinek: Enkeltauglich ist die Arbeit, wenn Sie dazu beiträgt, nicht weiter die planetaren (und mittlerweile auch psychischen und gesellschaftlichen) Ressourcen abzuarbeiten, sondern deren Grenzen kennt und schützt.

Feuilletonscout: „Es ist die nächste Handlung, die eine mögliche Zukunft realisiert und andere Zukünfte verhindert.“ An anderer Stelle heißt es: „Die Krisen unserer Welt sind die Krisen unserer Haltungen.“ Wie stehen Haltung und Handlung zueinander, wenn es um die Zukunft unserer Arbeit geht?
Hans Rusinek: Ich bin Praxistheoretiker, was heißt, dass ich die soziale Welt als einen Ort begreife, wo wir eingeübte Gewohnheiten (oft ganz unbewusst) abspielen: Es gibt Praktiken des Händeschüttelns, Praktiken des Küssens, Praktiken des Managements etc. All diese sind hochkomplexe Gebilde. Praktiken bauen auf erlernten Fähigkeiten (Skillset), Infrastrukturen, wie Raum und Dingen (Toolset) und sozialen Einstellungen (Mindset) auf. Die Intersektion dieser Sets lässt uns wie auf Autopilot durch unsere (Arbeits-)Welt wandeln. Das ist praktisch, weil wir schnell ins Arbeiten kommen und nicht alles von Neuem ausdiskutieren müssen wie in einer Politikwissenschaftler-WG – wir spielen diese Praktiken quasi automatisch ab und setzen damit diese Muster in die Zukunft fort – das ist das Verhalten, mit dem wir die Welt eher so halb-bewusst gestalten. Das ist aber auch verdammt unpraktisch, wenn diese Programme uns zombiehaft in den Abgrund ziehen. So drohen wir uns selbst und den Planeten komplett abzuarbeiten, ohne es überhaupt zu merken.
Praktiken sind nämlich keine reine Kopfsache. Mit meinem Buch versuche ich, uns viele der problematischen Praktiken ins Bewusstsein zu rufen, sie erst einmal zur Sprache zu bringen, aus einer Praxis einen Diskurs zu machen, um es etwas „nerdy“ zu sagen, und dann lässt sich anstelle eines unbewussten Verhaltens über bewussten Haltungswandel nachdenken.

Feuilletonscout: Den sprichwörtlich gehobenen Zeigefinger sucht man in deinem Buch vergebens, stattdessen stößt man immer wieder auf sehr humorvolle Analogien und Wortwitze, mit denen du deine Anliegen rüberbringst. Ein solches Beispiel wäre das „Knoppers Problem“. Was hat es damit auf sich?
Hans Rusinek: Etwas extrem Tragisches hat es damit auf sich. Ich bin süchtig nach diesen Schokoriegeln und muss meine Praktiken dahingehend ändern. Im Buch erwähne ich das so oft, weil es ein spielerischer Zugang zu der Frage ist, wie oft wir Verhalten verändern können. Denn in der Tat finde ich Sachbücher viel zu humorlos, viel zu sehr von oben herab und deshalb leider auch nicht besonders wirkungsvoll, weil sie ja dann oft eher Bücherregale dekorieren. Ich wollte ein Buch über Klima (Oh Gott!) und Arbeit (Uff!) schreiben, das Menschen aber gerne in ihrer Freizeit lesen. Sonst bringt das ja keinem etwas.

Feuilletonscout: Unsere Arbeitswelt scheint oft entkörpert. Wir schätzen Arbeit mit dem Kopf als höherwertig ein denn Handwerk. Wie können wir das wieder ändern?
Hans Rusinek: Ein wichtiger Schritt ist es zu begreifen, dass jede Arbeit auch Arbeit mit dem Körper ist, wir also gut beraten wären, diesen mehr wahrzunehmen. Die Forschung zu Embodied Cognition zeigt, wie wenig Denken und Fühlen voneinander zu trennen sind. Die Begründungen, die wir uns bei Entscheidungen zurechtlegen, sind oft Post-Rationalisierungen für etwas, was wir vorher fühlten. Nicht allein das Abwägen von Argumenten, sondern das Verarbeiten und Vermitteln von Gefühlen macht uns zu Entscheidern. Es ließe sich auch zeigen, dass die Herzrate, die Temperatur oder auch die Sauberkeit eines Raumes unsere ach so rationalen Entscheidungen beeinflussen. Selbst unsere Körperhaltung funkt uns dazwischen: Ein Experiment zeigte, dass uns der Eiffelturm kleiner vorkommt, wenn wir uns nach links lehnen, und größer, wenn wir uns nach rechts lehnen (weil wir eine Art Zahlenskala im Kopf haben). Leider konnte mir keine Studie zeigen, wie ich meine Chefin dazu bringe, sich in der Gehaltsverhandlung ganz stark nach rechts zu lehnen…

Feuilletonscout: Was verstehst Du unter dem Begriff „Postnaives Zeitalter“, wenn es um die Wahrnehmung unserer Unternehmenswelt geht?
Hans Rusinek: Ich treffe in meiner beraterischen Tätigkeit oft auf Manager, die ganz geschockt davon sind, wie plötzlich alles aus den Fugen gerät: Lieferketten, Ressourcenmangel, gesellschaftlicher Zusammenhalt. Das Überraschende ist für mich nicht so sehr, wie es jetzt ist, sondern wie lange man sich vor den Folgen des Wirtschaftens verschließen konnte, wie lange man bspw. glauben konnte, dass es eine sinnvolle Praktik ist, Krabben aus Husum in Marokko pulen zu lassen, um sie dann wieder in Norddeutschland im Supermarkt anzubieten. Wir haben es hier also mit einer Ent-Täuschung zu tun: Unternehmen haben sich darin getäuscht, jenseits von sozialen und ökologischen Kontexten handeln zu können und von dieser Täuschung werden sie jetzt, im post-naiven Zeitalter also, ziemlich abrupt befreit. Für mich liegt darin die Chance, in Zukunft kontextintelligenter zu wirtschaften.

Feuilletonscout: Warum ist es so gefährlich, sich als Gesellschaft auf vermeintlich geniale Einzelpersonen zu verlassen? Was macht den Genieglauben bzw. Geniekult eigentlich so riskant? Hans Rusinek: Weil wir dabei vergessen, dass gute Arbeit immer gute Zusammenarbeit ist, dass Arbeit ein sozialer Raum ist. Wir sind überzeugt davon, dass bestimmte Business-Gurus ein besonderes Geheimwissen haben, und dass es diese Genies allein sind, die unsere Welt nach vorne bringen. (Komischerweise können sie das Wissen nie so richtig an andere vermitteln.) Diese Genies dürfen dabei mit allen Normen und Regeln brechen, nein, sie müssen es sogar: Kein visionärer Guru, der einfach ein angenehmer Zeitgenosse ist. In einer Art sadomasochistischer Selbstverachtung brauchen wir vom Genie gerade ein gewisses Maß an abstoßendem Verhalten. Das zeigt ja erst, wie sehr er über uns schwebt und kompromisslos authentisch ist. Ende des letzten Jahrhunderts erreichte der Geniekult die Arbeitswelt. Übersetzt man den allzeit bemühten Begriff „Leader“ ins Deutsche, erkennt man, wo der Geniekult in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ausgelebt wurde, nämlich in der Politik.
Hinter diesen Genies muss immer jemand aufräumen, und das ist noch das Mindeste. Uns wäre gut gedient, in der Arbeit mehr Wert auf Teams und auf Settings zu setzen, in denen wir gemeinsam Geniales Hervorbringen. Szenie statt Genie sozusagen.

Feuilletonscout: 2023 neigt sich dem Ende zu. Ist „Weniger machen, heißt mehr richtig machen“ ein super Motto fürs kommende Jahr?
Hans Rusinek: Total, oder auch: Manche Ziele erreicht man am schnellsten, indem man langsam geht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hans Rusinek
Work-Survive-Balance. Warum die Zukunft der Arbeit die Zukunft unserer Erde ist
Herder Verlag, Freiburg 2023
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