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Menschen im Museum: „Werk ohne Künstler“

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Menschen im Museum. Kolumne von Susanne Falk

Kolumne von Susanne Falk.

Wir bewundern sie, wir lieben sie und wir heben sie auf ein Podest, von dem wir sie seit neuestem auch wieder herunterholen, sollten wir ihnen massives Fehlverhalten nachweisen. Doch in einigen Fällen tun wir uns mehr als nur schwer mit dem Sturz vom Künstlersockel.

Künstler, und das sage ich mit allem Nachdruck, sind nur äußerst selten auch Genies. Es sind Menschen wie du und ich, die eine Sache besonders gut können, im besten Fall sehr viel besser als alle anderen, aber zum Genie braucht es da doch etwas mehr. Meine Großmutter machte eine absolut hinreißende Stachelbeertorte, das macht sie aber noch nicht zum Genie unter allen Konditorinnen dieser Welt. Sie konnte eben eine Sache ganz besonders gut, so wie ja im Grunde jeder etwas ganz besonders gut kann. Das sind manchmal auffällige Dinge wie expressionistische Gemälde und manchmal einfach nur die Fähigkeit, sehr gut Seilspringen zu können. Der Unterschied liegt in der Generierung von Aufmerksamkeit, denn: Manche Dinge erregen mehr Aufmerksamkeit als andere. Manche Künstler erregen mehr Aufmerksamkeit als andere. Und manchmal beginnt mit dieser Generierung von Aufmerksamkeit ein teuflischer Kreislauf, der in einem „too-big-to-fail“ endet.

Große Namen erregen großes Interesse und es tat und tut weh, große Namen fallen zu sehen, wenn wir ihnen Verfehlungen nachweisen, die ein Fallen unabdingbar machen. Dann fragen wir uns, ob wir noch ungestraft Michael-Jackson-Songs hören dürfen oder Filme sehen, die von Harvey Weinstein produziert oder von Woody Allen gemacht wurden. Wir überfrachten große Namen gerne mit Ruhm und Ehre und heben, ganz im Sinne des Geniekults, diese Personen dann auf das besagte Podest, auf das wir sie, hätten wir das alles nur vorher gewusst, besser nicht gehoben hätten. Und nun stehen wir da und schämen uns für unsere Verehrung eines Menschen, der dieser Verehrung nicht würdig war und spüren Wut in uns, weil man uns so getäuscht hat. Also machen wir Tabula rasa und glauben, danach ist alles wieder gut. Das ist es aber nicht.

Stellen Sie sich vor, eine große Tageszeitung, nehmen wir einmal die New York Times, verkündet den Sensationsfund des Jahrhunderts: Ein privater Briefwechsel Leonardo da Vincis ist aufgetaucht und gibt ungeahnte Einblicke in das Leben eines Ausnahmekünstlers. Und nun erfahren wir aus dem Briefwechsel, dass Leonardo da Vinci als über Fünfzigjähriger eine sexuelle Beziehung zu einem dreizehnjährigen Knaben hatte. Was jetzt? Alle Kunstwerke des Meisters weltweit abhängen? Es mit dem lapidaren Satz „Andere Zeiten, andere Sitten“ von uns schieben oder mal wieder einen Diskurs zur Trennung von Werk und Künstler entfachen? Was auch immer wir tun, glücklich kommen wir aus dieser Sache nicht mehr heraus. Leonardo da Vinci ist definitiv „too big to fail“. Dasselbe gilt für Goethe oder Shakespeare.

Wir sind möglicherweise einzig und allein aufgrund der schlechten Datenlage über manche dieser „Genies“ soweit, dass wir sie nicht auf ewig verdammen müssen, eben weil wir zu wenig über sie wissen. Das gilt aber nicht für die Künstler und Künstlerinnen der Gegenwart. Über die wissen wir eine ganze Menge und reden auch vermehrt darüber. Das ist gut und richtig und führt doch oft in eine völlig falsche Richtung. Kriminelles Fehlverhalten von Künstlern nicht zu ahnden ist falsch. Das Werk unabhängig von seinem Künstler zu betrachten ist es auch. Alles einfach zu ignorieren ist so falsch wie es überhaupt nur sein kann, vor allem den Opfern gegenüber. Und genauso falsch ist und war es, Künstlern einen Status zuzuerkennen, den sie nicht verdienen. Soll heißen: Wenn wir Personen des öffentlichen Lebens nicht auf einen so hohen Sockel heben würden, dann täte es auch nicht so weh, sie von dort wieder herunterzuholen, wenn sich herausstellt, dass diese Person ein guter Künstler (wahlweise Politiker oder Sportler) aber ein sehr schlechter Mensch ist. Genies sind ohnehin fast keine darunter. Menschen sind sie jedoch alle. Und dass der Mensch ein äußerst fehlbares Wesen ist, dass vergessen wir leider allzu oft.

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