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Menschen im Museum: „Terra incognita, Teil 2“

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Kolumne von Susanne Falk.

Wir kommen nicht daran vorbei. Nie. Da kann ich an meinem Kind herumziehen und -zerren soviel ich will, mit Engelszungen auf es einreden – keine Chance. Es muss das Wildschwein ansehen. Unbedingt. Immer.

Der Wiener Bezirk Hietzing verfügt über ein großes Naherholungsgebiet, den so genannten Lainzer Tiergarten. Der hat mit dem Tiergarten Schönbrunn nichts gemeinsam, denn hier geht es nicht um Affe, Elefant und Gnu sondern um frei lebende Tiere wie Wildschwein, Hirsch und Fuchs. Na ja, wie frei es sich halt hinter einer 22 Kilometer langen Mauer auf 2450 Hektar Grün- und Waldfläche so leben lässt. Den Tieren geht es gut dort, sie rödeln in friedlicher Koexistenz mit den Wienern herum, die hier bei Schönwetter gerne wandern gehen und die örtlichen Gasthäuser stürmen, wo sie, zugegeben, gerne die Tiere verspeisen, die sich wild und frei um sie herum bewegen. Das hat dann mitunter etwas Barbarisches, wenn man Wildschweinschnitzel mit Blick auf ein sich frei bewegendes Wildschwein verspeist. Aber sei es drum, was ich eigentlich sagen wollte: Wir lieben den Lainzer Tiergarten, denn er ist groß, voller Wald, Wiesen, Viecher, freundlicher Wandersleute (Die sich tatsächlich grüßen! Das macht in Wien sonst kein Mensch…) und wo man nach Herzenslust die Sau rauslassen kann, solange man die echten Säue dabei nicht stört.

Nun hat der Lainzer Tiergarten verschiedene Tore, durch die man in das Gebiet erst hineingelangt. Man kann ja nicht über die Mauer fliegen und schließlich soll alles Schweinische auch dort bleiben, wo es hingehört. Also Mensch rein und raus, Sau nicht. Beim so genannten Lainzer Tor, zu dem auch ein Bus fährt, gibt es dann ein Wärterhäuschen und, mit dabei, eine winzige Naturkundeausstellung. Und hier findet man sich Auge in Glasauge mit Reh, Marder, Fuchs und dem unvermeidlichen Wildschwein wieder. Es gibt auch Modelle von Käfern, wie etwa dem Alpenbockkäfer. (Für die Freaks unter uns: Rosalia alpina.) Man kann hier also einen kurzen Blick auf alles werfen, was durch den Lainzer Tiergarten kreucht und fleucht und das, weil tot, ausgestopft und aufgespießt, nicht gleich ins Unterholz davonrennen kann, wenn es dem gemeinen Wiener Wanderer begegnet.

Meine Kinder lieben diese Ausstellung! Und sie müssen immer, immer, immer dem Wildschwein Hallo sagen. Und immer, immer, immer wieder muss ich sie daran erinnern, dass sie das Vieh nicht anfassen dürfen, denn immerhin ist es ein Ausstellungsstück, geschossen wahrscheinlich in einer Wintersaison vor vielen Jahren, als der Tiergarten wieder einmal geschlossen war und die Schweine und Rehe zum Abschuss freigegeben worden sind, damit sie sich mangels natürlicher Feinde nicht allzu stark vermehren.

Es sind diese Ausstellungen am Weg, die unverhofften Schaukästen, die unvermuteten Nebenräume und zu Galerien umfunktionierten Arztpraxen, die mich jedes Mal wieder in Erstaunen versetzen. Da geht man nichts ahnend zum Orthopäden und wird plötzlich mit einer Ausstellung von Aquarellen zum Thema „Die kroatische Küste“ beglückt. Oder man schlendert fröhlich an der nordkoreanischen Botschaft vorbei und sieht eine der abstrusesten Fotoausstellungen der Welt, die in zwei großen Schaukästen den Wienern und dem Rest der Menschheit zeigen soll, was Kim Jong Un für sein Volk alles tut und welche wichtige Fabrik er jetzt schon wieder eröffnet hat. Wobei die Fotos regelmäßig gewechselt werden, was an und für sich niemandem auffallen würde, weil die Fabriken und Kim Jong Un immer gleich ausschauen. (Kurz nachdem er seinen Halbbruder hat ermorden lassen, waren allerdings alle Fotos von Kim Jong Un verschwunden. Stattdessen durften wir uns Bilder des Republikgründers Kim Il-sung ansehen, wie er, Sie ahnen es, eine Fabrik eröffnete.) Und manchmal betrachten wir mit Inbrunst und großer Faszination ein totes Wildschwein, das uns aus seinen Glasaugen treudoof entgegenblickt und freuen uns über diese Terra incognita der musealen Landschaft und den Funken Kultur, der das geplante Naturerlebnis erst so richtig rund macht.

Es sei zum Schluss für alle Sissi-Fans noch kurz erwähnt: Wenn die Kaiserin sich von ihrem Göttergatten Franz Josef I. mal zurückziehen wollte (also immer), dann zog es sie in den Lainzer Tiergarten, wo sie über ein wunderschönes Anwesen, die Hermesvilla, verfügte, in der man heute Ausstellungen des Wien Museums besuchen kann. Falls einem die Wildschweine nicht genug sein sollten.

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