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Menschen im Museum: „Mårbacka“

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Menschen im Museum. Kolumne von Susanne Falk

Kolumne von Susanne Falk.

Ich war vier, als ich beschloss Schriftstellerin zu werden. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich weder lesen noch schreiben und die Anzahl der Bücher, die ich kannte, bewegte sich in sehr überschaubarem Rahmen. Doch ein Museumsbesuch änderte alles.

Wir fuhren immer nach Dänemark. Und mit immer meine ich immer. Das Auto platzte vor Kindern (vier Geschwister) und Gepäck (mindestens ebenso viele Reisetaschen) fast aus allen Nähten, der Kofferraum des alten, ockerfarbenen Mercedes’ wurde bis zum Rand voll mit Lebensmitteln von Aldi gefüllt und ab ging die Fahrt. Wir Schleswig-Holsteiner haben es ja nicht weit bis zur Grenze und meine Eltern mieteten jedes Jahr im schönen Blokhus ein Holzhäuschen und quartierten uns alle dort für zwei bis drei Wochen im Sommer ein. Das waren jahrelang unsere Ferien und abgesehen von dem einen Mal, bei dem ich meinen Bruder, auf dessen Schoß ich mangels Platz auf der Kinderrückbank zu sitzen kam, während der Autofahrt vollgepinkelt habe, hab ich diese Urlaube als unheimlich schön und weitgehend harmonisch in Erinnerung. (Sorry, Achim!)

In diesem einen Jahr aber muss meine Eltern etwas geritten haben, dass sie uns alle auf ein Schiff in Richtung Schweden verfrachtet haben. Statt Blockhütte und Meer gab es diesmal also Blockhütte und See. Dasselbe in blau-gelb? Aber nein, weit gefehlt! Nie werde ich vergessen, wie ich zum ersten Mal, vierjährig und Nichtschwimmerin, im See unterging, Wasser schluckte und dann, kaum dass ich wieder atmen konnte, die bahnbrechende Erkenntnis herausschrie: „Mama, Mama, das Wasser ist süß!“ Dass man in Süßwasser baden konnte, hätte ich nie für möglich gehalten. So etwas kannte ich nur von der heimischen Badewanne. Aber als Kind der Ostsee wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass es auch außerhalb unseres Badezimmers Süßwasser gab.

Eine weitere und entscheidende Erkenntnis hat mit dem Bedürfnis meiner Mutter zu tun, uns Kindern die Kultur Schwedens näher zu bringen. So hatte uns unser Vater bereits die „Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“ vorgelesen. Es war eines der ersten Bücher, die ich kannte und nun sollten wir Mårbacka besichtigen, den Gutshof der Autorin Selma Lagerlöf, den sie vom Gewinn ihres Nobelpreises nicht nur zurückgekauft sondern auch von Grund auf renoviert und erweitert hatte.

Stellen Sie sich einen wunderschönen Sommertag in Schweden vor, voller Sonne, Licht, umhertollender Kinder und, im Hintergrund, ein wunderschönes Herrenhaus, vor dem ein fantastischer Baum stand, in dem eine Schaukel hing. Mehr Kitsch geht nicht, dagegen kann Inga Lindström einpacken. Und so stehe ich dort als Vierjährige und betrachte andächtig diese Idylle, als meine Mutter sich zu mir herabbeugt und mir zuraunt: „Das, Susanne, war das Haus von Selma Lagerlöf, der Schriftstellerin die Nils Holgersson geschrieben hat.“

Und da war alles klar. In meinem Kopf wurde, ganz ohne mein Zutun, ein Schalter umgelegt und mein vierjähriges Ich fasste den sehr klaren Gedanken: Ich will auch so ein Haus, ich werde Schriftstellerin!

Kaum dreißig Jahre später erschien mein erstes Buch. Der Rest ist eine schöne Geschichte. Nur spielt die Geschichte nicht in einem schwedischen Herrenhaus sondern in einer Wiener Zwei-Zimmer-Wohnung, vollgestopft mit Büchern und Spielzeug, dafür ohne eigenes Zimmer und einem Schreibtisch, auf dem sich vornehmlich Berge von Kinderwäsche türmen statt stapelweiser Manuskripte. Hat manchmal auch etwas Idyllisches, nur ist es mit der Idylle dann ganz schnell vorbei, wenn als einziger Platz zum Schreiben (welch ein Klischee!!!) der Küchentisch bleibt. Und da sitzt sie dann, die Frau Autorin, schiebt schnell ein paar Packungen Müsli beiseite und tippt an ihrer Kolumne herum, während sich die Kinder im Nebenzimmer lautstark mit allerlei Spielzeug bewerfen.

Da kann man mal sehen, was man mit einem Museumsbesuch bei der Nachkommenschaft so anrichten kann.

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