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Meine Bücher! „Purer Neid“

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frau mit büchern

Kolumne von Susanne Falk.

Ich blättere Seite für Seite um, lese all die großen Namen und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie gerne wäre auch ich dabei gewesen, damals in Jena, Ende der 1790er Jahre! Schiller, Schelling, Schlegel, Goethe, Novalis, Humboldt… The list goes on and on! Mich frisst der Neid.

Unglaublich: Die waren alle dort! Auf diesem winzigen Flecken Erde fanden sich die Geistesgrößen der Romantik alle auf einem Haufen zusammen und lebten für und von dem Austausch miteinander. Das entnehme ich jedenfalls dem wunderbaren Buch von Andrea Wulf „Fabelhafte Rebellen. Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich“. Alle zusammen in dem kleinen Kaff Jena haben mal eben im Handumdrehen die ganze Weltsicht auf den Kopf gestellt und waren sich dabei auch noch von Herzen uneins, während sie zudem andauernd alle querbeet ineinander verliebt waren. Einfach großartig!

Sollte man das in die Jetztzeit überführen, dann wäre das eventuell so, als ob man aus dem Messegelände der Frankfurter Buchmesse eine Dauersiedlung machen würde und alle zu Messezeiten dort vorhandenen Geistesgrößen die nächsten drei Jahre miteinander leben und arbeiten müssten. Können Sie sich das vorstellen? Nein? Ich auch nicht. Das mit dem Durcheinandervögeln möglicherweise schon, da hat sich in den letzten 220 Jahren nicht so wahnsinnig viel verändert, aber friedlich miteinander arbeiten? Da ergibt sich doch die Frage: Wieso hat das damals eigentlich funktioniert? Und was machen wir heute falsch?

Lese ich z.B., dass sich Goethe andauernd Hilfe für das korrekte Versmaß hinzugeholt hat, werde ich ganz mieselsüchtig. Bei mir tritt in meinem aktuellen Text, an dem ich derzeit arbeite, der Geist eines Komikers auf und soll seinem Totengräber Witze erzählen. Im Ernst, originale Witze aus dem Ersten Weltkrieg sind sowas von gar nicht lustig nach heutigen Maßstäben, dass ich mir also wohl oder übel welche ausdenken muss. Schreiben Sie mal eine Art Kabarettprogramm, das man einerseits heute lustig findet, das aber andererseits historisch akkurat ist. Dio mio! Da könnte ich durchaus fachlich versierte Hilfe gebrauchen, jemand mit viel Witz und großem Bildungshintergrund zum Ersten Weltkrieg. Doch erstmal können vor Lachen…

Auch wenn sich der Jenaer Kreis recht bald wieder entzweite – es müssen ein paar sehr spannende, kurze Jahre gewesen sein. Ein Haufen Wahnsinniger mit großen Egos und großem Bildungshintergrund verfasst und publiziert einen Geistesblitz nach dem nächsten. Ich finde, jeder Autorin, jedem Autor gebührt ein produktiver Nachmittag mit Goethe/ Schiller/ den Schlegels/ den Schellings/ Novalis/ Hegel/ Tieck oder Familie Humboldt… Doch da die alle nicht mehr sind, bleibt nur der Griff ins Bücherregal. Da kann man sich dann mit ihnen unterhalten, weil sie auch heute noch etwas zu sagen haben. Etwas einseitig, die Unterhaltung, aber immerhin…

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