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„It’s a girl!“ Raritäten von Komponistinnen

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikDiese wunderbare CD hat nichts von einer Wiedergutmachung. Sie bietet eindrucksvolle und in ihrem Erfindungsreichtum schillernde, romantisch grundierte Kammermusik von komponierenden Frauen des 19. und 20. Jahrhunderts. Thomas Albertus Irnberger (Violine), David Gerings (Cello) und Barbara Moser (Klavier) haben sich zusammengetan, um diese Raritäten in all ihrer Originalität, ihrer rhythmischen Finesse, dem unglaublichen Spielwitz und der überbordenden Energie lebendig werden zu lassen. Von Ingobert Waltenberger.

„It‘s a girl!“

Nicht nur die Musik der CD stammt von Frauen. Das bunt impressionistische Cover wurde von der Malerin Ernestine Tahedi zur Musik von Amy Beach entworfen. Das sehr informative Booklet über Schaffen und Leben der fünf zu Ton kommenden Frauen wurde von Dr. Barbara Moser, der temperamentvollen Pianistin unsere Aufnahme, wissend und detailreich verfasst.

Komponistinnen aus Europa…

Über das von mir überaus geschätzte symphonische Schaffen (Symphonie Nr. 1 etc.) der französischen Komponistin, Pianistin und Professorin für Klavier am Pariser Conservatoire Louise Farrenc – eigentlich Jeanne-Louise Dumont – habe ich bereits am 20.7.2020 im Feuilletonscout berichtet . Auf dem neuen Album ist sie mit ihrem großen Klaviertrio in e-Moll, Op. 45 aus dem Jahr 1857 vertreten. Es sollte ihre letzte Partitur für Kammermusik bleiben. Ihre musikalische Ausbildung, unter anderem bei Anton Reicha, Ignaz Moscheles und Johann Nepomuk Hummel war profund. Es ist nicht übertrieben, ihr Klaviertrio als Meisterwerk zu betrachten, weil es in der melodischen Invention und von den experimentellen kompositorischen Durchführungen her durchaus mit anderen kammermusikalischen Spitzen-Schöpfungen der Frühromantik aufnehmen kann. Besonders gefällt das nervös irrlichternde Scherzo. Im koboldhaft dahinhuschenden Presto des Finales prunkt das Trio Irnberger, Gerings und Moser mit märchenhaftem Erzählfeuer, virtuoser Pranke und einem atemberaubenden musikantischen Miteinander. 

Harmonisch wesentlich kühner sind die beiden kurzen Kompositionen “Soir” und “Matin“ von Mélanie Hélène Bonis. Bonis, am Pariser Conservatoire ausgebildet, schrieb die beiden, die Stimmungen der jeweiligen Tageszeit subtil einfangenden Trios 1907. Vor allem “Matin” sprüht “nur so vor Chromatik und brodelnder Beweglichkeit gepaart mit ungewöhnlichen Modulationen, die sich beinahe an der Grenze zur Tonalität bewegen” , während „Soir“ mit pastell-impressionistischen Klangfarben punktet.

… und den USA

Mit Amy Mercer Cheney, verheiratete Beach, verlassen wir Frankreich. Die Farmerstochter aus dem US Bundesstaat New Hampshire hatte einen schwierigen, von den Eltern blockierten Start als Musikerin, genoss aber schließlich eine exzellente pianistische Ausbildung beim Liszt-Schüler Karl Baermann in Boston. Als Komponistin war sie Autodidaktin. Amy Beach wusste um den Wert von Bildung für die Gleichstellung von Frauen und war Mitbegründerin der “Association of American Women Composers.” Das Klaviertrio in a-Moll, Op. 150, schrieb die bereits 70-Jährige 1938. Sie notierte in ihr Tagebuch: “Trying a Trio from old material. Great fun.” Das Geheimnis des atmosphärisch dichten, träumerisch-luftigen, im Allegro con brio Reminiszenzen in Zeitfalten schichtenden Stücks lautet französische Moderne mal Spätromantik mal amerikanische Folklore. Was für eine Entdeckung!

Sonia Eckhardt-Gramatté hat ihr kurzes Moderato “Ein wenig Musik” als Elfjährige 1901 verfasst. Es ist dem französischen Geiger Ferdinand Halphen gewidmet. Ihre Biographie ist hochspannend. Als Tochter der Catharina de Kotchevskaja (Schülerin von Anton Rubinstein) und des Nicolas Karlovich de Fridman (oder war sie doch ein Sprössling von Leo Tolstoi?) kam sie mit ihrer Familie zuerst von London nach Paris. Kurz vor dem ersten Weltkrieg zogen Mutter und Tochter nach Berlin, wo sich die kleine Sonia als Geigerin in diversen Lokalen durchschlug. Ihr erster Mann war der expressionistische Maler Walter Gramatté, der zweite der Wiener Kunsthistoriker Ferdinand Eckhardt. Den Zweiten Weltkrieg überstanden sie mit Ach und Krach in Wien, 1953 wanderte die Familie nach Winnipeg in Westkanada aus. Dort führten sie als Exoten ein erfolgreiches Leben. Sie organisierte Hauskonzerte, er kredenzte selbstgemachte Wiener Schmankerl. Sie starb nach einem Unfall 1974 in Stuttgart und ist gemeinsam mit Ferdinand Eckhardt und Walter Gramatté auf dem Friedhof Rahnsdorf-Wilhelmshagen in einem Berliner Ehrengrab bestattet.

Das letzte Klaviertrio des Albums stammt von der texanischen Pianistin, Dirigentin, Komponistin und Musikwissenschaftlerin Julia Frances Smith. Ihr „Trio Cornwall“ aus dem Jahr 1966 ist nicht nach der britischen Grafschaft benannt, sondern nach einer Stadt am Hudson River im US-Bundesstaat New York, wo sie “jene Vogelstimmen hörte, die sie als thematisches Material besonders im ersten Satz des Trios verwendete.” Sie komponierte Opern (u.a. “Cynthia Parker”, “Daisy”), Instrumentalmusik für Orchester, Kammermusik, Chorwerke und Lieder. Barbara Moser über Smiths musikalische Eigenart: “Ihre Musik enthält Elemente des Jazz, der Volksmusik und der französischen Harmonik des 20. Jahrhunderts. Ihr kompositorischer Stil ist von auffälliger Direktheit und größtenteils tonal. Die Komponistin nutzt Dissonanzen zur Farbgebung auf höchst originelle Weise, angelehnt an die New England School einer Beach, eines Foot und eines Chadwick.”

Fazit

“It’s a girl!” ist ein großartiges Album abseits ausgetretener Pfade und macht wieder einmal deutlich, welche musikalische Schätze wir Frauen zu verdanken haben. Die lustvoll und passioniert gestalteten Interpretationen bewegen sich auf höchstem Niveau.

Thomas Albertus Irnberger, David Gerings und Barbara Moser
spielen Klaviertrios von
Louise Farrenc, Mélanie Hélène Bonis, Amy Marcy Beach, Sonia Eckhardt-Gramatté und
Julis Frances Smith
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