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Ein rasanter Roadtrip

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LiteraturJosephine Ehlerts bezaubernder Debüt-Roman „Abtauchen“ oszilliert zwischen expliziter sexueller Darstellung und hintergründiger Reflexion. Rezension von Ronald Klein.

Die glamouröse Rubina verfasst erfolgreiche Erotik-Kolumnen. „Bei Herzschmerz weitervögeln“, rät die selbstbewusste Autorin ihren Leser*innen. Jedoch handelt es sich bei Rubina um eine Selbstinszenierung, hinter der Suse steckt. Die Mittdreißigerin kann wenig außergewöhnliche Attribute aufweisen. Darüber hinaus steckt ihr Selbstbewusstsein in der Krise, denn sie wurde von ihrer Langzeitbeziehung Tom einfach sitzengelassen. Noch schlimmer: Tom hieß ihr Verlobter, mit dem sie einmal die Hochzeitsglocken läuten lassen wollte. Doch nun reist sie allein nach Bali und versucht umzusetzen, was sie sonst in den Kolumnen rät. Relativ verkrampft flirtet sie noch im Flieger mit einem Flight-Attendant. Das klappt auch nur mit ein mehreren Longdrinks intus. Der Angestellte ist schließlich froh, als sie die Maschine verlässt. Langsam erkennt Suse, dass sie viel zu lange nicht nur den Leser*innen etwas vorgemacht hat, sondern auch sich selbst. Vom weiblichen Selbstbewusstsein war sie seit entfernt, alles drehte sich darum, Toms Ansprüchen zu genügen. Das spiegelte sich im Alltag ebenso wie im Zwischenmenschlichen: Von Oralsex musste sie lange nur träumen.
Die viel zu lang praktizierte Verstellung hat Spuren hinterlassen und so hat Suse anfänglich Probleme, die Schönheit Balis genießen zu können. Die Umgebung nimmt sie hinter einem Milchglas wahr, weil sie viel zu sehr mit dem Ordnen ihrer Befindlichkeiten beschäftigt ist.

Cover: tredition

Ein neues künstlerisches Format probieren

Josephine Ehlert ist vor allem als Schauspielerin (u.a. „Servus  Baby), Regisseurin, Drehbuchautorin und Dramatikerin bekannt. Mit „Abtauchen“ wagt sie sich an ein für sie neues Format. „Mir kam das Genre des emanzipierten Groschenromans in den Kopf“, sagt die Wahl-Hamburgerin. Im Prosa-Format sah sie „eine persönliche Herausforderung, nachdem ich in den letzten Jahren vor allem Drehbücher und Theaterstücke geschrieben habe“.

„Abtauchen“ folgt durchaus einem filmischen Rhythmus, wobei Ehlert die plastischen Beschreibungen des Insellebens mit inneren Monologen montiert, die über das Einzelschicksal hinausgehen. Suse steht für die existenziellen Fragen, die zwischen Mitte 30 und 40 gestellt werden: Die Reflexion der eigenen Lebensentwürfe und die daraus folgende Sehnsucht, Tabula rasa zu machen.

Die Figur Suse wächst beim Lesen ans Herz, sie ist keine postkoloniale Eroberin der exotischen Umgebung, sondern stellt in erster Linie sich selbst in Frage. Das ist aber ein Prozess. Am Anfang glaubt sie noch, dass sich ihre Trennungsgeschichte sogar verkaufsfördernd auswirken könne. Schließlich erkennt Suse, dass es für sie keine Rückkehr in das alte Leben gibt. Sie kann endlich loslassen und neu anfangen.

Ehlert ist Mitte 30. So wie Suse. Und da hört es mit den Parallelen zwischen Autorin und Figur auch auf. Trotzdem wird die Autorin wiederholt damit konfrontiert, dass es doch autobiografische Elemente in dem Roman geben müsse: „Das Phänomen kenne ich bereits als Schauspielerin. Ich finde ich es erstaunlich, dass die Menschen – sogar die, die mir sehr nahestehen – da so wenig abstrahieren können! Meistens finde ich es witzig. Manchmal ein bisschen gruselig. Wenn ich als nächstes einen Krimi schreiben würde, über den perfekten Mord, würde meine Familie und Bekannte dann wohl auch glauben, ich hätte Leichen im Keller?“ 

Josephine Ehlert
Abtauchen
tredition 2020
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