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Bayreuther Festspiele 2023, „Der Ring des Nibelungen“, Teil 4

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richard wagner porträt

„Götterdämmerung“-
Unentrinnbare Schicksalsschläge

Von Barbara Röder.

Brünnhilde (Catherine Foster) ist angefressen, mächtig angefressen! Ein jeder kennt den schönen, verheißungsvollen Satz am Ende eines jeden Märchens:  “… und wenn sie nicht gestorben sind, dann …“. Richtig. „Träum weiter!“, sagen Richard Wagner und Regisseur Valentin Schwarz zu ihrem Bühnencharakter Brünnhilde. Denn in der exklusiv für die Bayreuther Festspiele abgedrehten „Wotan-Familiensaga“ geht‘s im letzten Teil der „Götterdämmerung“, anders als wir es erwarten und doch irgendwie bekannt, ans Eingemachte. Schwarz hat marginal an seinem Regiekonzept nachgebessert. Manche Begrifflichkeiten oder Handlungsstränge, die im Programmbuch von Valentin Schwarz als „Eine Ring-Erzählung“ durch sein Regiekonzept führen sollen, irritieren.

Waltraute, Christa Mayer singt sie warm, mit aufgerauter Diktion, ist besorgt um den gemeinsamen Vater und Patriarchen Wotan. Waltraute handelt keineswegs im Wahn. Wenn sie bei Brünnhilde im heimeligen Ambiente auftaucht, spricht aus ihr die nackte Angst und Fürsorge für den Vater. Warum Brünnhilde und Siegfried eine Tochter anstatt eines Sohnes haben, dieser wäre der Ring, den Siegfried als Pfand bei Brünnhilde gelassen hat, gibt ebenfalls Rätsel auf. Denn die, auf den Nutzwert des Menschen, der Kinder und Nachkommen fokussierte Regie tritt im Text als Formulierung „teure Erinnerung an Siegfried“ zutage. Besonders dann, wenn Schwarz vom „gemeinsamen Kind“ schreibt. Ist Brünnhilde wirklich der Verrat an ihr bewusst? Alle Emotionen brechen mit gebündelter Energie aus ihr heraus. So ist sie eben. Sie durchlebte ja alle Stadien der Nichtbeachtung des auf Abenteuer erpichten Siegfrieds. Das kennen wir, spiegelt viel Ehe-Wirklichkeiten. Dass in der Interpretation des Regisseurs Siegfried im Angesicht des Todes, Hagen hat ihn gerade niedergestreckt, in seinem Kind die Liebe zu Brünnhilde entdeckt, klingt glaubwürdig. Nimmt aber den Wagnerischen Zauber, dass Siegfrieds Imago im Todeskampf auf Brünnhilde fixiert ist. Sie war ja sein einstiges wundervolles Begehr. Diese liebevollen Gedanken an Brünnhilde sind von Wagner auskomponiert in den orchestralen Klängen spür- und erlebbar.

Götterdämmerung, 1. Aufzug / Fotonachweis: Enrico Nawrath

Schon die großartige Nornen-Szene taucht Dirigent Pietrari Inkinen zu Beginn der „Götterdämmerung“ musikalisch in gespenstisch tönende, fulminant dunkle Farbgesänge. Die Nornen (Okka von der Damerau, Claire Barnett-Jones und Kelly God) sind gruselige, silbrige weibliche Nachtmahre, welche aus den Wänden kriechen, zu den Fenstern hereinschleichen und die Träume der Tochter von Siegfried und Brünnhilde jagen. Erdige, wohltönende Zukunftsrätsel, wie alles werden wird, träufeln sie dem schlafenden Kind ins Ohr. Daraufhin folgt ein Eheszenario vom Feinsten, in welchem Brünnhilde mit ihrer brutalen Realität konfrontiert wird. Catherine Foster ist diese reife Brünnhilde-Heroin, die mit liebreizendem Verve leidet. Sie besitzt eine starke, strahlende Bühnenpräsenz. In der Eröffnungsszene finden wir, wie oben angedeutet, eine zum einen tieftraurige, zum anderen empört aggressive Brünnhilde vor. Ausgehungert nach Zuneigung entdeckt sie, dass Siegfried sie kaum noch begehrt. Siegfried ist die zunächst euphorische, vom Liebestaumel durchflutete Ehe fad geworden. Ihn gelüstet es nach exzessiven Abenteuern. Sein Adrenalin braucht Futter. Andreas Schager verkörpert glaubhaft diesen furchtlosen Helden, der sich nach seiner wilden, ungestümen Jugendzeit zurücksehnt. Schagers Gesang ist lyrisch, mit den herrlichsten Tenorschöngesang-Eskapaden durchzogen. Textverständlichkeit und ein farbiges „Kraftwerk der Gefühle“ zeichnen den Ausnahmetenor aus.

Dann begegnen wir Siegfried im neu gestalteten Walhall. Hier thronen sie nun, die neuen Besitzer von Walhall: Hagen ist mit Gunter, einem protzigen Zauderer und der aufreizend in Lack und Netzstrumpf gekleideten Gutrune in der ehemaligen Wotan-Protz-Burg eingezogen. Eine Komplettrenovierung war von Nöten. Alles ist stylisch neu. Erlesener Schick mit weißer Couch macht halt was her! Ein überlebensgroßes Safari-Jagd-Selfie mit einem erlegten Wildtier glotzt von der Wand in den Zuschauerraum. In diesem illustren Ambiente schwören sich Siegfried und Gunter, Markus Eiche agiert distinguiert und singt kernig, prägnant, Blutsbrüderschaft. Hagen, böse gestaltet und fulminant gesungen von Mika Kares, ist eine stimmliche Sensation. Der nach Neid und Rache gelüstende und immer wohlüberlegt handelnde, mit böser Energie aufgeladene Kraftprotz Hagen täuscht alle. Aber dieser Hagen schleppt ebenso wie alle Figuren des Schwarz-Rings Traumata aus seiner Kindheit mit sich herum. Die blutroten Masken, die seine Mannen tragen, sind Traumata-Relikte, welche Hagen an seinen Vater Alberich erinnern. Olafur Sigurdarson singt ihn brillant! Alberich taucht natürlich wie ein böser Gefährte Hagens auf und ermahnt ihn bedrohlich zur Treue. Er beherrscht Hagens Handeln und Seele. Wagner ist hier ein hochgradiger Tiefenpsychologe par Exzellenz. Chapeau!

Götterdämmerung, 3. Aufzug / Fotonachweis: Enrico Nawrath

Zu den musikalischen Klangkrafträumen, zu denen Inkinen mit seinen Mannen aus dem wundersamen Graben vordringt, gesellen sich die exzellent biegsamen Chorgesänge des Bayreuther Festspielchores unter der Leitung von Eberhard Friedrich. Hagens Mannen sind mit den roten Masken bestückt, die schon die Kinder im „Rheingold“ in ihrer Gefangenschaft bei Alberich gezeichnet haben. Wenn Brünnhilde mit Hagen und Gunter den fatalen Schwur begeht, ist alles verloren. Brünnhilde wurde von Gunter gedemütigt und in Siegfrieds Namen gewaltvoll überwältigt, geraubt. Sie musste miterleben, wie Siegfried in heftigem Begehr Gutrune Avancen macht, diese sogar heiratet. Wenn Brünnhilde von Hagens Missetat wissen würde, dieser ließ Grane (Igor Schwab), ihren Lebensmenschen und Wegbegleiter, morden, dann wäre der Eid, Siegfried niederzustrecken, nie zustande gekommen! Siegfried hat indessen Brünnhilde komplett aus seinem Bewusstsein getilgt: Durch einen Vergessenheitstrank. Wir wissen es, Brünnhilde aber nicht. Dies ist wiederum ein Schachzug des Musikdramatikers Richard Wagner! Gutrune, Aile Asszonyi, agiert knallhart lasziv, singt leuchtsopranig wunderschön, ist geschockt vom Tod Siegfrieds durch die Hand Hagens. In der finalen Poolszene blickt sie verstört durch die oberhalb des Pools befindlichen, begrenzenden Maschendrahtgitter. Hier lauern auch die Mannen Hagens. In diesem alten, abgewrackten leeren Pool oder einem großen, ovalen Container, der auf ein verseuchtes Sperrgebiet hindeutet, lenkt Valentin Schwab unseren Blick. Siegfried angelt mit seinem Kind (der Ring!) an einem Brackwasser-Tümpel. Dorthin hinein fällt unser Augen- und Ohrenmerk.

Götterdämmerung, 2. Aufzug / Fotonachweis: Enrico Nawrath

 Wie geht es nur weiter? In dieser verrotteten Natur, dem ehemaligen Wotan-Wunderland trifft Siegfried auf die Rhein-Maiden. Sie krabbeln aus der linken übergroßen Wasserzugangsöffnung. Aus den ehemals hübsch anzusehenden Kindermädchen der Wotaneleven sind abgehalfterte, überschminkte Botox-Weiber geworden. Sie haben sich mit roten Chanel-Kostümen und einer Prada-Brille ausstaffiert. Prada steht eben nicht jeder! Evelyn Novak (Woglinde), Stephanie Houtzeel (Wellgunde), Simone Schröder (Flosshilde) erstrahlen stimmlich zuckersüß in aller Herrlichkeit.

Götterdämmerung, 3. Aufzug / Fotonachweis: Enrico Nawrath

Wenn Hagen den Mord an Siegfried vollzogen hat, übergießt sich Brünnhilde mit Benzin aus einem maroden Kanister. Sie kauert sich, zuvor hat sie „Starke Scheite…“ gefordert, neben den Leichnam Siegfrieds. Das lodern findet wieder nur im Orchestergraben statt.

Mit schwelender, hochsinnlicher Trauermotivik überzieht das hochmotiviert spielende Bayreuther Festspielorchester unter dem Dirigat von Pietrari Inkinen diese triste Landschaft. Inkinen zaubert und moduliert meisterlich die klagenden Zukunftsvisionen der Partitur, die zum Weltenende und deren Anfang, zurück zu den Gesängen der Rheintöchtern weisen. Wir bleiben fragend, illusionslos zurück. Sind aber vom klanglichen Daseinsschauer des Familienepos’ überwältigt. Und vollends erfüllt von der Magie, der vom Ohr entstandenen, fühlbaren Aura, die aus dem unsichtbaren Zauberkasten „Orchestergraben“ entwich. Fünfzehn aufregende, streitbare Stunden des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ sind vorüber. Dem Geist des innovativen, experimentellen Werkstattcharakters der Bayreuther Festspiele, dem sich die kreativen Kräfte seit ihrem Anbeginn von 1876 verpflichtet fühlen, war dieser Ring auf der Spur, sprühte aus der Bühnenkastenwunderkammer und aus dem mystischen Bayreuther Klanggraben.

Bemerkung zum allerletzten Bild

Ausbeutung, Raub, Verrat und verlorenes Vertrauen, verlorene Liebe, verschmelzen als Blitzlichter des Lebens in Wotans herannahenden Tod ineinander. Der ehemalig machthungrige und übergriffig handelnde Wotan hat in seiner Selbstreflexion allen Lebensmut, den Sinn zu existieren, verloren. Hilflos verharrt er im Zustand der Selbstbespiegelung. Wotan ist ein Individuum der Jetztzeit. Er ist einer, der zum reinen Zuschauer geworden ist und fühlt sich komplett fremdbestimmt. Wotan setzt seinem hoffnungslos gewordenen Willen zur Macht, die längst verspielt ist, ein Ende. Sein, seit der „Walküre“ zur Obsession gewordenen, sehnlichster Wunsch: „Auf geb‘ ich mein Werk; nur Eines will ich noch: das Ende, das Ende!“ setzt er, wir mögen es feige nennen oder auch mutig, in die Tat um. Regisseur Valentin Schwarz lässt Wotan Selbstmord durch Erhängen begehen. Bleich und schlaff baumelt er im letzten Bild, ein schales, grelles Neonlicht-Endzeit-Szenario, vom Götterhimmel herab. Das ist stark. Es ist ein durchaus plausibler Abgang eines Patriarchen ohne jegliche Zukunftsvision.

Fazit

Die Realität ist nicht zu toppen, durch den künstlerischen Filter der Regie, der sie abbilden soll, vielleicht ertragbar. In Valentin Schwarzes Ausdeutungen der Ring-Trilogie und des Vorabends dem „Rheingold“ ist das Ende definitiv. Das Prinzip Hoffnung, das Träumen, rückt in weite Ferne. Ist es in der von uns gelebten Wirklichkeit erlebbar? Richard Wagners Werk stellt viele existenzielle Fragen. Es gehört Mut und Liebe dazu, ihnen aufrichtig zu begegnen. Richard Wagners ewig zitierter Ausruf von 1852, „Kinder, schafft Neues!“, könnte unserem Zeitgeist entsprechend ein Mahnruf sein. Gedeutet hieße er vielleicht: „Kinder, versucht es besser, anders, fried-, freud- und respektvoll.“ Die Wiederaufnahme der „Ring-Saga“ folgt definitiv 2024 bei den Bayreuther Festspielen. Eine DVD-Produktion wäre begrüßens- und ja wünschenswert.

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

Ein Gedanke zu „Bayreuther Festspiele 2023, „Der Ring des Nibelungen“, Teil 4“

  1. Zurück zum Ring!
    Entgegnung zu Barbara Röders Rezension zum „RING DES NIBELUNGEN“ bei den Bayreuther Festspielen 2023

    Hochgeschätzte Frau Röder,

    zuerst einmal möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie sich in Ihren Rezensionen zum aktuellen Bayreuther RING die Zeit für genaue Beobachtungen nehmen und dabei auch versuchen, aus dem Erkannten sensible Zusammenhänge abzuleiten. Nicht jede(r) Rezensent(in) begibt sich heutzutage noch auf eine echte und fundierte Spurensuche, wo doch das „Aus-der-Hüfte-Schießen“ so viel schneller und vor allem spektakulärer daherkommt. Chapeau!

    Ihre einerseits im Ton zu jedem Zeitpunkt sehr wertschätzende und andererseits im Urteil aber leider in mancher Hinsicht etwas (bühnen-)realitätsfremde Exegese der Inszenierung von Valentin Schwarz ist ein ganz und gar eigenes Meisterwerk der Fabulierkunst, für das ich Ihnen aufrichtig höchsten Respekt zollen möchte!

    Manche Ihrer Schlussfolgerungen wirken spontan so einsichtig, folgerichtig und klug ins Bild gesetzt, dass man sich als Besucher der vier RING-Abende am Ende Ihrer ausführlichen Analyse etwas ungläubig die Augen reibt und beschämt mutmaßt, man hätte während der Aufführungen wohl in einem baugleichen Festspielhaus aus einem Paralleluniversum Platz genommen.

    Denn wenn es Ihnen zur Herzensangelegenheit gereichte, die vielen Einfälle und Behauptungen, mit denen uns der Regisseur auf der Bühne 15 Stunden lang konfrontiert, als ein sinnstiftendes Konzept zu deklarieren, während zeitgleich im Graben das Werk Richard Wagners erklingt, dann möchte ich Ihnen ganz mit Hans Sachs entgegnen: „[Frau] Beckmesser irrt, wie dort, so hier!“

    Manchmal hat es den Anschein, als wollten Sie en passant die Schwarzsche Deutung der Figuren samt jeglicher Bühnenaktion schlichtweg dadurch legitimieren, dass diese (vorgeblich!) schlüssig in ein konstruiert-heutiges Weltbild zu passen scheinen. Ein Weltbild, aus dessen vielfältigem Bazar an Versatzstücken man sich nur lang und erfinderisch genug bedienen muss, um eine Pseudo-Haltung zum Stück vorzugaukeln, respektive um die teilweise bis zur Unkenntlichkeit verdrehte Geschichte nur annähernd zeitverständlich erzählen zu können. Da nützt es nebenbei auch wenig, wenn einem in jeder Szene oder bei jedem Kostümdetail sofort eine passende Referenz aus der Rezeptionsgeschichte oder ein mentaler Link zur Filmhistorie ins Auge springt. Dies mag sicherlich von brillantem Einfallsreichtum zeugen, jedoch hilft es leider nur bedingt dabei, Bilder, Text und Musik als sinnvolles Ganzes zu betrachten.

    Wagners Dramaturgie hält im Notfall eben mehr Belastungen und Verfremdungen stand, als die in Stein gemeißelten Takte seiner Tonkunst, denen man eine derartige Interpretations-Tortur bislang jedenfalls noch nicht angetan hat. Schließlich wird das bisweilen rauschhafte Erleben seines Werks weniger den Text-Affinen unterstellt, denn der Sogwirkung der alle Sinne berührenden Musik, die man daher besser nicht nach Gutdünken verhackstückt und zum Ausdrucksträger eigener Ideen umfunktioniert.

    Um es unmissverständlich klarzustellen: Wer Wagners Musik nur als tönenden Hintergrund für eine beliebig austauschbare Story versteht, der hat offensichtlich vom Gedanken des Gesamtkunstwerks genauso wenig verstanden, wie diejenigen, die glauben, Wagners Werk und Wille wäre nur mit Helm, Horn und Fellbehang beizukommen. Nur wer es vermag, aus dem glänzenden Gold der unterschiedlichen Künste und Gewerke einen Reif der szenischen Einheit zu „schmieden“, darf sich der magischen Wirkung sicher sein.

    Text und Handlung lassen sich dabei – wie bei allen guten Stoffen – aus vielen unterschiedlichen Perspektiven heraus befragen, verstehen und auch deuten, keine Frage – das ist das Prinzip von Theater! Jedoch wäre mir nicht bekannt, dass sich der von Ihnen des öfteren als Beispiel angeführte Patrice Chéreau in seiner Inszenierung von 1978 gerade deshalb den Unmut des Publikums zuzog, weil er Wagners Figurenkonstellation ignoriert, ergänzt oder gar gänzlich neu erfunden hätte. Ganz im Gegenteil: Gerade die schonungslose Ernsthaftigkeit, mit der er die Geschichte erzählte, war ungewohnt, verstörend und musste so lange vom Publikum verarbeitet werden, bis der Mehrwert einer derartigen Sichtweise auch den letzten Skeptikern einleuchtete. Ich möchte bezweifeln, dass sich die in weiten Teilen fahrlässige und bisweilen ignorante Art und Weise, mit der sich Valentin Schwarz Wagners „Rohmaterial“ genähert hat, wirklich damit vergleichen lässt.
    Aber als Analogie, um wie so oft die scheinbar fortschrittsblinden und stets im Gewohnten verhafteten Nicht-Verstehen-Wollenden zu desavouieren, taugt der Hinweis allemal ausgezeichnet.

    Bitte erinnern Sie sich, liebe Frau Röder, dass es neben den von Ihnen aufgezählten Bayreuther Meilensteinen, denen nach anfänglicher Abneigung am Ende die hehrsten Weihen zuteil wurden (wobei mindestens Harry Kupfer und Heiner Müller unbedingt noch zu ergänzen wären, analog der Warn-Flugblätter der Deutschen Richard-Wagner-Gesellschaft vor Vorstellungsbeginn!), auch nicht wenige Flops und Luftnummern in der langen Festspielgeschichte zu konstatieren gäbe. Sir Peter Hall, Alfred Kirchner und Tankred Dorst, um beim RING zu bleiben, haben die Deutungshoheit ihrer Interpretationen einfach auf ihre jeweiligen Ausstatter*innen übertragen und sich mangels einer szenischen Vision auf das mehr oder weniger versierte Arrangieren der Bühnenabläufe konzentriert, um die Bilder ungestört wirken zu lassen.

    Gleiches geschieht übrigens nun im aktuellen RING von Valentin Schwarz – nur mit umgekehrten Vorzeichen: Die visuelle Komponente erscheint trotz ihrer technisch aufwändigen und im Detail sicherlich komplexen Struktur merkwürdig gesichtslos. Die inhaltliche Aussage tendiert zudem gegen Null und erscheint bis auf wenige Key-Visuals beliebig und nahezu vollständig konvertibel. Das liegt ja nicht zufällig gerade im Trend, denn blickt man auf die Produktionen anderer Opernhäuser ringsum, könnten in der Bayreuther RING-Dekoration gut und gerne ein Dutzend anderer Stücke spielen, deren scheinbar ähnlicher, inszenatorischer Offenbarungseid ebenfalls im Hauptanliegen gipfelt, durch einen gleichsam modernen wie sinnfreien Schöner-Wohnen-Eklektizismus eine möglichst zeitgemäße Deutung zu heucheln.

    Dass man knapp 150 Jahre nach der Uraufführung keinen Statisten im Bärenfell als „zotteligen Gesellen“ mehr erwartet, oder sich daran gewöhnt hat, dass Hieb- und Stichwaffen, Riesen, Zwerge, Naturgewalten und die Vertreter aus dem Tierreich (wie Wurm, Kröte, Ross und Vöglein) durch andere Symbole, Metaphern oder gar Figuren ersetzt werden, ist nicht zwangsläufig gleich ein Verrat an der Werktreue, solange jedenfalls ihre von Wagner erdachte dramaturgische Funktion erhalten bleibt. Aber auch darum scheint sich die Regie – trotz einzelner, in der Tat gelungener Spitzfindigkeiten – nicht wirklich zu scheren und so wird dem Zuschauer (oder in diesem Fall: der aufgeschlossenen Rezensentin) eben notgedrungen zugemutet, „mit Zwang zu halten, was [dem eitlen Regisseur] nicht haftet.“

    Und auch wenn beispielsweise der fluchbeladene Ring, den Alberich sich im Übrigen ja erst aus dem geraubten Gold unter Zwang anfertigen lassen muss, die Idee einer unbändigen Machtfülle verkörpert, bleibt er – in welcher bildlichen Form auch immer – das entscheidende Bühnenrequisit, hinter dem vier Abende lang alle her sind. Herr Schwarz formuliert dazu eine auf den ersten Blick absolut interessante Vorstellung, nämlich dass sich diese besondere Macht durch Kinder, durch die nächste(n) Generation(en) manifestiert und dass alles Streben darauf ausgerichtet ist, eben diese Macht sowie ihren Fortbestand dauerhaft zu kontrollieren. Schön und spannend. Aber in der handwerklichen Umsetzung auf der Bühne ist die Hilflosigkeit der Regie, diese Idee auch sinnvoll in den Kosmos einer bereits vorhandenen Geschichte zu implementieren, mit Händen zu greifen.

    Vom Text aus Wagners Musikdrama bleibt nur noch ein sperriges Vehikel, um die Töne zu transportieren. Die sprachliche/gesungene und ursprünglich ja plausible Interaktion der Figuren auf der Bühne ist auf ein Minimum geschrumpft. Agiert wird im common sense einer Inszenierung, die Worte und Phrasen wie Hülsen behandelt, die aus dem Patronenschacht eines ideengeladenen Schnellfeuergewehrs ausgeworfen werden.

    Wenn es für eine weltweit beachtete Neuproduktion auf dem Grünen Hügel wirklich schon ausreicht, ein skurriles Drehbuch nach dem Motto „based upon Wagner‘s Ring“ zu verfassen, in dem sich Handlung und Personnage an der originalen Vorlage bestenfalls noch orientieren und zu welchem dann live die unkaputtbare Musik wie ein veritabler Soundtrack aus dem Orchestergraben ertönt, kann man die Vision einer festspielwürdigen, vertieften Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners am besten gleich zusammen mit dem toten Helden am Ende der GÖTTERDÄMMERUNG zu Grabe tragen.

    Ich hoffe nun schlussendlich, Sie mögen mir verzeihen, dass ich Ihren Enthusiasmus hinsichtlich der szenischen Deutung dieser RING-Inszenierung nicht zu teilen vermag, auch wenn einige Momente durchaus zu überzeugen wussten. Wie zum Beispiel die Verweigerung des Feuerzaubers, der als waberfreie, nüchterne und traurig isolierende Betonwand (nebst Candle Light) und somit als perfekte optische Relexionsfläche für den lautmalerischen Gestus der Musik umgesetzt wurde. Leider waren derlei überzeugende Bildfindungen aber ausgesprochene „Mangelware“, womit ich abschließend auch den Charakter dieser Produktion titulieren möchte.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Michael Bachmann, M.A.
    (Frankfurt am Main)

    P.S.: Ausdrücklich möchte ich noch erwähnen, dass sich meine Entgegnung nicht auf Ihre kompetente und professionelle Bewertung der musikalischen Seite der Tetralogie bezieht.

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