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Weltflucht und Moderne. Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900

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AusstellungOskar Zwintscher hinterließ ein facettenreiches Werk zwischen Jugendstil und Symbolismus. Doch wer war dieser Maler, der zu seinen Lebzeiten zwischen 1870 und 1916 große Anerkennung erfuhr, aber auch auf heftige Ablehnung stieß?

Das Albertinum in Dresden beherbergt neben der Städtischen Galerie Dresden eine der bedeutendsten Werkgruppen des Künstlers. In seiner aktuellen Ausstellung zeigt das Haus anlässlich des 150. Geburtstags des Malers den immer noch weitgehend unbekannten Oskar Zwintscher im Kontext anderer großer Künstler um 1900 wie Arnold Böcklin, Ferdinand Hodler und Gustav Klimt. Barbara Hoppe sprach mit Dr. Birgit Dalbajewa und Dr. Andreas Dehmer vom Albertinum über den ungewöhnlichen Maler und seine Wiederentdeckung.

Feuilletonscout: Wer war Oskar Zwintscher?
Andreas Dehmer: Oskar Zwintscher war ein außergewöhnlicher Maler des Jugendstils, oder besser gesagt: des Fin de Siècle, der eine eigene, unverwechselbare Bildsprache entwickelte und damit den Kunstgeschmack seiner Zeit entscheidend mitprägte. Er lebte von 1870 bis 1916, damit war er ein Zeitgenosse u.a. von Ferdinand Hodler, Gustav Klimt, Franz von Stuck und Paula Modersohn-Becker, die ihn gut kannte.
Außerdem war er ein eher stiller Mann mit feinem Farb- und Formgefühl und großer Sensibilität, aber auch offen für Eleganz von Farbe und Form und für literarische und ethische Themen seiner Zeit. In seiner Kunst verstand er es, die Zeichen der widersprüchlichen Zeit um 1900 aufzugreifen und zugleich einprägsame Menschenbilder zu schaffen, die bis heute berühren und modern zeitlos sind.

Feuilletonscout: Warum ist er in Vergessenheit geraten?
Birgit Dalbajewa: Die Mode des Jugendstils verging rasch, als nach 1905 bzw. 1910 neue Kunstströmungen aufkamen, etwa der Expressionismus oder die frühe Abstraktion. Als man sich in den 1960er Jahren wieder für die Jugendstil-Kunst begeisterte, war Zwintschers Nachlass im Ostteil Deutschlands verblieben und die meisten seiner Hauptwerke bereits in Museen in Sachsen (neben Dresden gibt es Werkgruppen u.a. in Chemnitz, Leipzig, Meißen, Freital). Einzelne Fachleute, die nach 1990 auf seine Bilder stießen, waren begeistert von der Qualität, aber eine deutschlandweite, breitere Entdeckung des Malers stand noch immer aus.

Feuilletonscout: Was machte ihn schon für seine Zeitgenossen zu einem Künstler, der viel diskutiert wurde und bisweilen als rätselhaft galt? Welche Art von Bildern malte er?
Andreas Dehmer: Zwintscher konnte zum Beispiel eine weite Landschaft mit tiefem Horizont realistisch. in allen kleinsten Details wiedergeben und dabei zugleich die Formen der am Himmel ziehenden Wolken nach seinem Formgefühl so weit stilisieren, dass ein Landschaftsbild des Jugendstils, der Stilkunst entstand. Die Lokalfarben, die Zwintscher verwendete, waren modern, damals aufregend leuchtend und symbolisch eingesetzt. Sein Ziel war es nicht, nachzugestalten, was er sah, sondern auch Sehnsüchte und Stimmungen der Zeit zu transportieren. Das gipfelte dann auch in einigen symbolistischen Kompositionen, die ja keine eineindeutige Lesbarkeit versprachen, sondern in einer extrem subjektiven „Ikonographie“ auch Rätselhaftes, Verborgenes in sich tragen. .
Als aufregend anders empfand man immer seine Porträts, seine Menschenbilder. Dabei fasziniert die Genauigkeit, mit der er seine Modelle studierte – und dennoch sehen wir eine spontane, lebendige Malweise namentlich der Gesichter und Hände. Oft bildet diese einen Gegensatz zu Ornamenten und anderen abstrahierten Hintergrundlösungen. Der direkte Blick aus dem Bild berührt ebenso, wie eine vornehm kühle Zurückhaltung, die Zwintscher in seinen Bildnissen vermitteln kann, indem er sorgfältig auch kleine Details (etwa die Handhaltung) solange änderte, bis er den richtigen Ausdruck gefunden hatte. Der ungewöhnliche direkte Blick der Modelle, – Zwintscher lässt auch Kinder und junge Frauen selbstbewusst, ruhig und frontal aus dem Bild schauen – wird bis heute zuweilen  auch als eine gewisse Konfrontation empfunden.  
Auch Nacktheit war ein Thema, mit dem Zwintscher durchaus ungezwungen und „modern“ umging – ein Gefühl für die eigene Körperlichkeit zu entwickeln und dem sprichwörtlichen Korsett zu entkommen, war ein Zeichen der Reformbewegungen um 1900. So verbrämte der Maler seine Aktmalerei nicht in antikisierender Entfremdung.
Und nicht zuletzt war Oskar Zwintscher fesselnd in der Eleganz seiner Farbwahl, namentlich wenn er Abstufungen von Schwarz, Grau oder Weiß variierte.  Das brachte ihm auch die Bewunderung seiner Studenten ein, er unterrichtete ja seit 1903 an der Dresdner Kunstakademie und hatte besonders viele Schüler. Aber keinen direkten Nachfolger – wobei wir wieder bei Frage bei der Frage wären, warum er vergessen wurde.

Feuilletonscout: Wie kam es zu der Wiederentdeckung?
Andreas Dehmer: Nach einer ersten großen Retrospektive im Albertinum vor 40 Jahren, im Jahr 1982, begann das Interesse an Zwintscher kontinuierlich zu steigen. Nun findet, ebenfalls bei uns im Albertinum, eine Neubewertung statt, die auf einem enorm angewachsenen Kenntnisstand basiert. Seit wir nach unserer Wiedereröffnung 2010 im Klingersaal Kunst der Zeit um 1900 ausstellen, als eine Art Epochenraum mit Skulptur und Malerei in einer zeitgenössischen Architektur mit farbigen Wänden, beschäftigen wir uns noch gezielter mit dem eigenen Bestand aus jenen Jahren. Das anhaltend große Publikumsinteresse gibt uns da auch enormen Rückenwind. Zu forschen gäbe es so viel, da können wir eigentlich sowieso nur die Spitze des Eisbergs bearbeiten …
Aber seit 2016 haben wir kontinuierlich an einer Strategie gearbeitet, die Malerei von Oskar Zwintscher intensiver zu erforschen, kunsttechnologisch wie auch kunsthistorisch. Allerdings dauerte es noch eine Zeit, bis wir einen Förderer für das Projekt gefunden haben. Schließlich konnten wir die Friede Springer Stiftung von der Bedeutung des Themas überzeugen. Ihr verdanken wir viel; alleine hätten es die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nicht stemmen können.

Feuilletonscout: Wie kommt es, dass das Albertinum einen so großen Bestand an seinen Werken hat?
Birgit Dalbajewa: Das Interesse an dem in Leipzig und Dresden ausgebildeten Maler war in der Dresdner Gemäldesammlung immer groß; schon 1904 kam es zu einem ersten Ankauf. Auch postum, sowohl in den 1920er Jahren als auch in den Jahren der DDR, wurden weitere Werke angekauft. Erwerbungen gelangen auch in den letzten Jahren, vor allem aus Privatbesitz zu uns, so z.B. der spektakuläre „Fruchtsegen“ aus dem Jahr 1913, den wir mit Hilfe unseres Freundeskreises und der Ernst von Siemens Kunststiftung erwerben konnten.
Zudem verlebte Zwintscher seine letzten Jahre in Dresden; seine Frau Adele lebte hier bis 1942. Aus dem Besitz, den sie gehütet hatte, kamen später noch einige Gemälde sowohl in unser Haus als auch in das Stadtmuseum Dresden (heute  Städtische Galerie Dresden), das über einen ähnlich großen Bestand an Gemälden Oskar Zwintschers verfügt . So bewahren die beiden Dresdner Museen insgesamt über 30 Gemälde des Künstlers – knapp die Hälfte aller heute noch erhaltener Bilder von ihm!

Feuilletonscout: Die Ausstellung geht einher mit einem Forschungsprojekt. Was beinhaltet dies?
Andreas Dehmer: Das Forschungsprojekt „Oskar Zwintscher (1870–1916). Das unbekannte Meisterwerk“ untersuchte eingehend alle 16 Gemälde im Bestand des Albertinum sowie vier weitere Bilder anderer Herkunft. Sie wurden mit verschiedenen Verfahren untersucht, darunter Röntgen- und Infrarotaufnahmen, woraus sich zum Teil spektakuläre Ergebnisse und Überraschungen ergaben. Wir haben diese ersten Ergebnisse 2021 in dem Buch „Oskar Zwintscher im Albertinum“ veröffentlicht, auch weil die Menge an Erkenntnissen in der Ausstellung gar nicht vollständig zu vermitteln gewesen wäre. Auch im Hinblick auf seine Biografie – und seine vielfältigen Beziehungen in die Kunstwelt, u.a. zur Münchner Secession oder zur Wiener Moderne – gab es mehrere wichtige Entdeckungen, so dass wir nun vollkommen zu Recht von einer Neubewertung des Künstlers sprechen können. Und die vollzieht sich nun im Rahmen mit internationaler Kunst um 1900 (größtenteils ebenso aus eigenem Bestand), wodurch Zwintschers eigentlicher Rang in der internationalen Kunstgeschichte für alle Besucher*innen nachvollziehbar wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Birgit Dalbajewa und Andreas Dehmer!

Weltflucht und Moderne. Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900
Ausstellung noch bis zum 15.1.2023

Albertinum Dresden
Tzschirnerpl. 2
01067 Dresden

Öffnungszeiten
täglich 10—18 Uhr
Montag geschlossen

12 € / 9 €,
unter 17 freier Eintritt

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