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„Señor Herreras blühende Intuition“ unter der Sonne von Andalusien

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Rezension von Barbara Hoppe.

Die heiße Sonne Andalusiens, ein Schweigekloster, Yoga am Morgen und vor allem: Ruhe! Seit geraumer Zeit ist der Puls von Leo Renz, Schriftsteller mit chilenischer Mutter und deutschem Vater, zu hoch. So freut er sich auf eine kreative Auszeit in Santa María de Bonval, dessen „mächtige Klostermauern unter ihrem eigenen Gewicht in den Boden gesunken und dabei bauchig geworden war“. Nicht nur soll sich hier sein Puls beruhigen, sondern auch der neue Roman soll voranschreiten. Ein Kreativitätsschub ist dringend nötig. Und da Leo Renz seine Protagonistin vor der Mafia in ein Kloster fliehen lässt, kommt die Vor-Ort-Recherche zur richtigen Zeit.

Linus Reichlin Senor Herreras
Cover: Galiani Verlag

Doch die hehren Pläne von gepflegter Langeweile und Schreibrausch werden schon am ersten Abend durchkreuzt. Kaum sitzt er im Zitronengarten, wo sich Eidechsen und Käfer in der Abenddämmerung ein letztes Stelldichein geben, die Zikaden endlich schweigen und die Düfte von Rosmarin, Pinienharz und Thymian die Luft schwängern, schon tritt Señor Herrera auf. Der Koch und einzige Angestellte des Klosters ist nicht nur ein begnadetes Talent, aus vielen Aromen und Fisch etwas völlig Geschmacksneutrales zu zaubern, sondern auch aufmerksamer Beobachter. Und so überrascht er den Schriftsteller mit dem Verdacht, dass mit der jungen Nonne Ana Maria etwas nicht stimme. Die Spekulation schlägt Purzelbäume und von einer Sekunde auf die nächste sieht sich Leo Renz mit seinem eigenen Romankonzept konfrontiert – eben mit einer Nonne, die sich in einem Kloster versteckt.

Bestseller-Autor Linus Reichlin, mit zahlreichen Krimipreisen ausgezeichnet, legt mit „Señor Herreras blühende Intuition“ nur scheinbar einen neuen Krimi vor. Natürlich ist die blonde Nonne, die so gar nicht spanisch aussieht, ebenso mysteriös wie die vielen anderen Zufälle: der Taxifahrer, der auch mit Pistolen umgehen kann, der zweite Klostergast, eine Frau aus Deutschland mit demselben Namen wie Renz‘ Ehefrau und nicht zuletzt Señor Herrera, ehemaliger Matador, dessen Phantasie die beiden Männer bald in wildeste Gedankenspiele und haarsträubende Situationen stürzt.

Der Reiz dieses aberwitzigen, vor kuriosen Einfällen und philosophischen Anwandlungen strotzenden Romans liegt bei aller fast kammerspielartigen Dichte in seiner Ambivalenz zwischen Wahrheit und Fiktion. Was stimmt? Was nicht? Was entspringt der Fantasie eines Erzählers, des Protagonisten Leo Renz oder der Einbildungskraft eines Señor Herrera? Oder sind die Leser schon längst in dem eigentlichen Roman des Romans verstrickt? Wer sich auf dieses grandiose und intelligente Vexierspiel einlässt, läuft nicht nur Gefahr, mehr als einmal laut aufzulachen, sondern auch sofort seine Koffer zu packen und nach Andalusien abzureisen.

Linus Reichlin
Señor Herreras blühende Intuition
Galiani Verlag, Berlin 2021
bei amazon
bei Thalia

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Der Artikel erschien ebenfalls als Literarisches Reiserätsel in Das WOCHENENDE! (Frankfurter Neue Presse, Frankfurter Runschau und FAZ Rhein Main Zeitung) am 10. Juli 2021.

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