Zum Inhalt springen

!Tipp: Ulrich L. Lehner „Mönche und Nonnen im Klosterkerker. Ein verdrängtes Kapitel Kirchengeschichte“

Rating: 5.00/5. From 3 votes.
Please wait...

Feuilletonscout – Rezension

Literatur: Ulrich L. Lehner „Mönche und Nonnen im Klosterkerker. Ein verdrängtes Kapitel Kirchengeschichte
Coverabbildung © Verlagsgemeinschaft topos

Wer bei diesem Titel ein reißerisches Skandalbuch erwartet, der wird enttäuscht. Aber ein solcher Stil würde zum Autor des schmalen Büchleins auch schwerlich passen: Seit 2006 Professor für Kirchen- und Theologiegeschichte an der Marquette University in Milwaukee, gehört zu den Forschungsgebieten von Ulrich L. Lehner die frühneuzeitliche Geschichte Mitteleuropas und die europäische Religionsgeschichte. Und dies auf akademische, nicht marktschreierische Art. (Was durchaus mit einschließen darf, dass 2011 sein Buch „Enlightened Monks“ mit dem Shea Preis der amerikanischen Historiker als „bestes und originellstes Buch zur Geschichte des Katholizismus“ ausgezeichnet wurde.)

Ein Buch, das es eigentlich nicht hätte geben sollen

Geplant, so heißt es bei Lehner im Vorwort, sei das Buch nicht gewesen. Erst als er bei Recherchen zu einem Band über die Geschichte des Benediktinerordens während der Aufklärungszeit über zahlreiche Anzeichen, Bemerkungen und Fälle gestoßen sei, die darauf hinwiesen, dass auch in Klöstern Missbrauch, Ausschweifungen und sogar Kapitalverbrechen vorkamen, habe er tiefer gegraben, bis schließlich aus einem geplanten Essay ein kleines Buch entstanden sei.

Feuilletonscout: Wie konnte es passieren, dass sich parallel zur weltlichen Gerichtsbarkeit ein klösterliches Strafverfolgungssystem entwickeln konnte?
Ulrich L. Lehner: Die Kirche wurde als Staat im Staate verstanden. Ein weltlicher Richter konnte über einen Kleriker nicht zu Gericht sitzen, es sei denn die Kirche gab ihre Einwilligung. Die Strafverfolgung im Kloster entwickelte sich aus den regulären Disziplinarregeln: Was muss man tun und welche Regeln beachten, um ein gedeihliches Miteinander zu verwirklichen, aber auch die Stiftungsintention, nämlich eine neue Lebensweise nach den evangelischen Räten von Armut, Keuschheit und Gehorsam an den Tag zu legen, zu realisieren. Regelbrüche mussten also bestraft werden, auch um Exempel zu setzen. Es entwickelte sich ein Strafrecht für besonders schwere Vergehen wie etwa Mord, Abtreibung und versuchte Eheschließung. Man versuchte durch interne Regelungen v.a. zu verhindern, dass brisante Neuigkeiten über Probleme innerhalb der Orden nach außen dringen.

Lehner arbeitet detailliert und verschont uns Leser glücklicherweise mit allzu grausamen Einzelheiten, die er zweifellos in den Unterlagen fand. Eine belastende Arbeit, die ihn manchmal fast dazu brachte, das gesamte Projekt aufzugeben. Zu abschreckend war das, was er lesen musste.

Feuilletonscout: Warum haben Sie dennoch weitergemacht?
Ulrich L. Lehner: Ich bin Theologe und Historiker. “Die Wahrheit macht frei” ist ein Spruch aus dem Johannes-Evangelium, der mich immer inspiriert hat genau, möglichst objektiv und ohne Polemik zu arbeiten. Ich versuche, das Urteil dem Leser zu überlassen. Papst Leo XIII hat bei der Öffnung der vatikanischen Geheimarchive im 19. Jahrhundert einmal gesagt: “Die Kirche muss keine Angst vor der geschichtlichen Wahrheit haben.” Das ist sicher wahr — denn auch die übelsten Details sind ein Stachel im Fleisch, der dazu anregt, Christentum ernster zu nehmen und die Kirche weiter zu reformieren. Letzteres war mir eine große Hilfe beim Schreiben: Ich sehe das Buch als Dienst an der Wahrheit, die für viele unangenehm ist.

Feuilletonscout: Gab es Kritik aus den Reihen der Kirche?
Ulrich L. Lehner
: Die Wahrheit ist meistens nicht angenehm. Einige Priester nahmen es mir übel, dass ich die Details so ausbreitete. “War das wirklich nötig?” wurde ich gefragt. Ich werde immer wieder sagen “Ja.” Man kann historische Fakten nicht unter den Teppich kehren, denn ansonsten sammeln sie sich zu großen Massen und man stolpert schließlich über einen solchen Vorleger.

Anhand zahlreicher Beispiele führt uns Lehner sachkundig durch ein dunkles Kapitel Kirchengeschichte. Eine beachtliche Leistung, bedenkt man, dass die meisten Akten hierzu von den Verantwortlichen regelmäßig vernichtet wurden und Spuren meist nur noch in vereinzelten Randbemerkungen und Halbsätzen zu finden sind. Was das Büchlein eindrucksvoll zeigt, ist eine heute unvorstellbare Strenge, Sorge vor Rufschädigung des Ordens und Intransparenz, was hinter Klostermauern wirklich geschah

Ulrich L. Lehner_Mönche und Nonnen im Klosterkerker_Portrait
Prof. Ulrich L. Lehner, Marquette University/Milwaukee

Feuilletonscout: In den letzten Jahren erregten bei uns vor allem Fälle von Kindesmissbrauch durch Geistliche Aufsehen. Was haben Sie dazu während Ihrer Arbeit gefunden?
Ulrich L. Lehner: Es gab kaum Fälle von Kindesmissbrauch – und wenn ja, wurden diese meistens strengstens bestraft, allerdings auch nur wenn der Bischof eingeschaltet wurde. Man kann aber mein Buch kaum lesen ohne die Missbrauchsvorwürfe des 20. und 21. Jahrhunderts im Hinterkopf zu haben – und man ertappt sich bei der Feststellung: Warum nur hat man so lange vertuscht? War der gute Ruf wirklich so wichtig? In früheren Jahrhunderten hatte man wenigstens Korrektionsanstalten für straffällige Priester – alles das ist Ende des 19. Jahrhunderts zugunsten einer wie mir es scheint romantischen Klerusvorstellung untergegangen zu sein. Es gibt bis heute kaum historische Aufarbeitung dieser Klerikergefängnisse (Georg May’s Buch über das Priesterhaus Marienborn ist eine rühmliche Ausnahme.).

Feuilletonscout: Neben schweren Verbrechen wie Diebstahl, Raub, Mord und Totschlag, die wie in der weltlichen Gerichtsbarkeit geahndet wurden, gehörten auch das Brechen des Keuschheitsgelübdes in jedweder Form von Sexualität und das Gesuch, aus dem Kloster austreten zu dürfen, zu schweren Verfehlungen, die bestraft wurden. Gerade letzteres scheint aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar. „Reisende soll man ziehen lassen“, heißt es. Warum war es schwerwiegend, wenn ein Mönche oder eine Nonne den Orden verlassen wollte?
Ulrich L. Lehner: Man konnte durchaus um Entlassung bitten – und Tausende taten dies auch, und es wurde ihnen gestattet sofern sie nachweisen konnten, dass sie zu den Gelübden (etwa von den Eltern) gezwungen wurden. Prof. Anne Jacobsen Schutte hat darüber ein fantastisches Buch geschrieben (By Force and Fear: Taking and Breaking Monastic Vows in Early Modern Europe) Wurde aber ein Ansuchen abgewiesen, weil man Zwang nicht beweisen konnte, dann konnte es in der Tat unangenehm werden, wenn man dennoch ziehen wollte.

Feuilletonscout: Warum konnte man unwillige Ordensangehörige, die es sich anders überlegt haben, nicht einfach ziehen lassen?
Ulrich L. Lehner: Man muss wohl eine Analogie bemühen, die aber ziemlich anachronistisch ist: Verpflichtet man sich zum Dienst in der Armee kann man ebenso nicht von einem Tag auf den anderen weggehen – v.a. nicht im Krieg – das wäre Desertieren. So verstanden es auch die Orden – in einer Zeit, in der es ja auch noch keine Ehescheidung gab: Das Ordensgelübde war wie ein Ehegelübde bindend bis Lebensende – man hatte sich bis zum Tod dem Orden verpflichtet. Männer und Frauen, die es nicht mehr im Orden aushielten und zu fliehen versuchten, wurden dann wie Deserteure eingesperrt – man fürchtete um ihr Seelenheil: Da sie ja zeitlebens an die Gelübde gebunden waren, war es ja fast unmöglich in der Welt -ohne Aufsicht und Gemeinschaft – diese zu leben – und die meisten hatten auch gar nicht die Absicht dazu. Um sie also vor größeren Sünden zu bewahren (aber auch um den Ruf des Ordens zu schützen), inkarzerierte man sie lieber. Die Behandlung von geflohenen Mönchen oder Nonnen war weitaus besser als die von Deserteuren, die man ja durchwegs grausamst hinrichtete (man braucht nur die Geschichte der Schlesischen Kriege zu beachten).

Feuilletonscout: Was hat Sie bei Ihren Recherchen besonders berührt?
Ulrich L. Lehner: Es gehört zu den schlimmsten Erfahrungen als Historiker, die Berichte von Mönchen und Nonnen zu lesen, die in tiefster Depression ihre Bittbriefe um Entlassung schrieben, die aber (wenn kein Zwang bewiesen werden konnte) immer wieder abgelehnt wurden. Manche dachten über Selbstmord nach – und einige begingen ihn auch aus Verzweiflung. Wir müssen diese Behandlung aber unbedingt im Kontext der Zeit sehen: Man glaubte zwar an die freie Entscheidung beim Gelübde, aber auch an eine lebenslange Verpflichtung.

Feuilletonscout: Haben Sie bei Ihren Recherchen auch Überraschungen erlebt?
Ulrich L. Lehner: Mich hat die oft recht liberale Handhabung von Selbstmorden in Kloestern überrascht: Man anerkannte psychische Probleme als ausschlaggebend und bestatte die Opfer im kirchlichen Friedhof (was bis ins 20. Jh. in Pfarreien oft nicht möglich war). Entgegen der Erwartung waren es übrigens meistens Männer, die aus dem Kloster gehen wollten – etwa zwei Drittel der Fälle.

Es ist ein großer Verdienst Ulrich L. Lehners, an keiner Stelle antiklerikal zu sein und aufzuklären, ohne zu verurteilen. Klosterkerker gehörten zur monastischen Realität, vor der wir heute die Augen nicht verschließen dürften, so Lehner, auch wenn „weniger als 2% der Brüder wegen schwerer Vergehen eingekerkert wurden“.

Ulrich L. Lehner: Als Historiker leiht man den Toten eine Stimme – und da sich diese nicht mehr verteidigen können – muss man so wertfrei wie möglich urteilen. Das sollte auch jeder Leser in Erinnerung behalten. Ich sage meinen Studenten immer: Wir sind moralisch nicht besser als frühere Generationen – wir machen nur andere Fehler und begehen andere Grausamkeiten.

Ulrich L. Lehner
Mönche und Nonnen im Klosterkerker
Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer 2015
Ulrich L. Lehner: Mönche und Nonnen im Klosterkerker: Ein verdrängtes Kapitel Kirchengeschichte

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert