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St. Petersburg und seine weißen Nächte sind mörderisch

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LiteraturRezension von Barbara Hoppe.

Sankt Petersburg ist in Partystimmung. Es sind die weißen Nächte, die Zeit zwischen Ende Mai und Mitte Juli, in der es in der Millionenstadt nie richtig dunkel wird. Ausgelassen feiern die Menschen auf den Straßen und den Clubs der Stadt. Auch Zena, schwedische Studentin in Piter, wie Einheimische Sankt Petersburg nennen, ist unter ihnen. Mit ihrer Freundin Julija zieht sie durch die Diskotheken, tanzt und trinkt zu viel Wodka. Mitten in der Nacht ist sie plötzlich verschwunden. Ihre Handtasche findet man einige Tage später neben einer vollständig verkohlten Leiche im weitläufigen Primorski-Siegespark zwischen seinen vielen Wegen, Lichtungen und exotischen Bäumen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die ermittelnde Polizistin, Hauptmann Natalja Iwanowa, noch von einer Entführung ausgegangen. Denn Zenas Vater ist ein schwedischer Geschäftsmann, der in Russland viel Geld verdient. Doch mit der Toten sind auch zwei Tatverdächtige schnell gefunden. Der Fall gilt als geklärt. Natalja hingegen ist überzeugt, dass hinter dem Mord an Zena mehr als zwei drogensüchtige Kleinkriminelle stecken. Entgegen der Anweisungen ihrer Vorgesetzten verfolgt sie den Fall weiter.

Cover: rowohlt Verlag

Polizisten, die auf eigene Faust ermitteln, sind in Krimis keine Seltenheit. Was „Tod in weißen Nächten“ seine Besonderheit gibt, ist der tiefe Einblick in die korrupte Welt der Polizeiarbeit. Natalja, integer und scharfzüngig, stößt auf eine Armee von Vorgesetzten, die ihr eindringlich zu verstehen geben, die Finger von dem Fall zu lassen. Die Karriere ihre Mannes Michail, Nataljas Vorgesetzter, wäre ebenso vorbei wie die Aussicht ihres Stiefsohns, sich vor dem Militär ins rettende Studium zu flüchten – trotz Schmiergeldzahlungen. Als sich schließlich der Inlandsgeheimdienst FSB einschaltet, wird es für Natalja höchst gefährlich. Denn dessen Agenten schrecken auch vor Morden an den eigenen Leuten nicht zurück.

Der britische Autor G.D. Abson wuchs auf Militärbasen auf, studierte Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Russland und darf einen anonym bleiben wollenden, ehemaligen russischen Polizisten seinen Berater für Polizeiinterna nennen. Diese profunde Kenntnis macht aus dem Krimi ein authentisches Porträt der russischen Gesellschaft und ihrer vermeintlichen Gesetzeshüter. Militärjargon, Korruption, Erpressung, Homophobie, Machismo, Wodkaseligkeit und undurchsichtiges Geschäftsgebaren sind die dominierenden Themen dieses spannenden, knallharten Krimidebüts. Auch Nataljas heile Familienwelt mit großzügiger Fünf-Zimmerwohnung und Blick auf die schöne Löwenbrücke im Herzen der Stadt gerät gehörig ins Wanken. Retten kann sich auch der integerste Polizist nur, wenn er ein Leben ohne Fehl und Tadel aufgibt.

G.D. Abson
Tod in weißen Nächten
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
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Der Artikel erschien ebenfalls am 29. Mai 2021 in „Das Wochenende“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Neuen Presse und der Frankfurter Rundschau.

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