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„Orpheus“ – Hommage an Camille Saint-Saëns zum 100. Todestag des Komponisten

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikAm 16. Dezember jährt sich der Todestag von Camille Saint-Saëns zum 100. Mal. Das Trio Zadig spielt sein zweites Klaviertrio in e-Moll, Op. 92 sowie Arrangements des Komponisten für Klaviertrio von Kammermusik mit Cembalo des Jean-Philippe Rameau und der sinfonischen Dichtung „Orpheus“ von Franz Liszt.
Von Ingobert Waltenberger.

Ein Klaviertrio-Album für musikalische Feinspitze

Die Opernstiftung Bru Zane steht schon längst in den Startlöchern für alle Arten von Jubiläen französischer Komponisten des 19.Jahrhunderts. So hat sie auch gediegene Aufnahmen von weniger bekannten Bühnenwerken des Camille Saint-Saëns wie „La princesse jaune“, „Le Timbre d’argent“, „Prosérpine“ und „Les Barbares“ in ihrem stets wachsenden Raritäten-Katalog.

Der virtuose Pianist, Musikwissenschaftler, Tonsetzer und Lehrer Camille Saint-Saëns hat sich nebstbei auch einen Namen als Musikkritiker gemacht und sich für die Rehabilitierung verschiedener Komponisten stark eingesetzt. Das frühreife Wunderkind, Schüler von Halévy, entwickelte sich zu einem musikalisch-enzyklopädischen Tausendsassa, der 1871 die Société nationale de Musique mitbegründete. Seine bekanntesten Werke sind wohl die Oper „Samson und Dalila“, der „Karneval der Tiere“ sowie die „Orgelsymphonie“.

Saint-Saëns war aber überdies ein hochbegabter, emsiger Bearbeiter und Arrangeur von Musik anderer Komponisten. Und genau da hat das Klaviertrio Zadig bei seiner exquisiten Hommage für den einer typisch französischen Romantik angehörenden Vielschreiber und Polystilisten eingehakt.

Im Zentrum des neuen Albums steht das aus der Reifezeit stammende fünfsätzige Klaviertrio in e-Moll. 1892 uraufgeführt, waren seit dem Klaviertrio-Erstling schon ungefähr 30 Jahre vergangen. In diesem Werk sind die kompositorischen Fertigkeiten und insbesondere die Beherrschung des Kontrapunkts des Saint-Saëns zu bestaunen. Der anspruchsvolle und verspielt-verschnörkelte Klavierpart tritt mit den beiden Streichern rhythmisch kontrastreich und in seiner leidenschaftlichen bis typisch charmanten Tonsprache in ein aufgeregtes konzertierendes Gespräch. Folkloristische Elemente wechseln ab mit Pizzicati, Anklänge an Schumann im Andante con moto werden im Grazioso von festlichen Walzerklängen hinweggespült. Im letzten Satz verquirlt Saint-Saëns chromatische Spielereien mit barock fugierter Strenge.

Als Wiederentdecker und Bearbeiter setzte sich Saint-Saëns für Werke von Bach, Rameau, Charpentier, Gluck ein, zudem bearbeitete er Stücke von Liszt, Berlioz, Schumann und Wagner. 1741 schrieb Jean-Philippe Rameau Stücke für Cembalo, begleitet von Violine oder Flöte, dazu kamen die Bratsche oder eine zweite Geige. Sechs solcher Stücke mit klingenden Namen wie La Coulicam, La Livri: Rondeau gracieux, Le Vézinet, La Forqueray, La Cupis oder La Marais hat sich das Trio Zadig für eine spannende Erkundung der „verborgenen“ Talente des Herrn Saint-Saëns gewählt. Zwei der Namen beziehen sich auf Meister auf der Viola da Gamba, wie es Rameau selbst war: Marin Marais und Antoine Forqueray. In den plastisch deskriptiven Miniaturen finden wir die kühnen kontrapunktischen Experimente des Rameau verbunden mit einer im Kern romantischen Klangsprache, ohne dass der barocke Stempel preisgegeben wird.

Von Franz Liszts vierter sinfonischer Dichtung „Orpheus“ gibt es bereits vom Komponisten selbst drei Fassungen: Die ursprüngliche sieht drei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, Tuba, zwei Harfen und Streicher vor, später hat Liszt noch Versionen für Klavier vierhändig und eine andere für zwei Klaviere erstellt. Saint-Saëns tritt hier weniger als Nachschöpfer wie bei Rameau auf, sondern als Meister der Reduktion. Dennoch gelang es Saint-Saëns, den symphonische Duktus zu erhalten und gleichzeitig das dichte Geflecht des chromatisch mäandernden Themenwuchses klarer und durchhörbarer zu formulieren, als es dem ungarischen Meister selbst gelang.

Das Trio Zadig als ein freundschaftlicher Zusammenschluss von zwei seit der Kindheit an verbundenen Franzosen Boris Borgolotti und Marc Girard Garcia sowie dem amerikanischen Pianisten Ian Barber führt vor, wie die seltene Kombination aus technischer Perfektion, begnadetem Musikantentum, harmonischem Miteinander und stilistischem Geschick zu den tollsten Ergebnissen führen kann. Besonders faszinierend ist, wie Geige und Klavier ihre Spiel-Modi in Bogenführung, Vibrato bzw. Anschlag ganz an das jeweilige Stück anpassen. Erklingen das Trio in e-Moll und „Orpheus“ ganz in romantischer Tradition, so wird bei der Rameau- Bearbeitung auf Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis zurückgegriffen. Die Geige spielt vibratoärmer und schärfer konturiert, das Klavier kommt fast ohne Pedal aus.

Das Trio bezieht seinen Namen von der Romanfigur Zadig, einem jungen feschen Philosophen aus Babylon, aus dem Voltaire Roman „Zadig ou la destinée – Histoire orientale“, der – auf höchst amüsante Art beschrieben – viele, viele Abenteuer besteht und am Schluss der Erzählung Herr über ein wohlhabendes Königreich wird.

Das neue Album des Trio Zadig, es ist das zweite nach dem 2019 erschienenen sensationellen Debütalbum „Something in Between“, bietet wohl das erbaulichste und gleichzeitig unterhaltsamste Jubiläumsgedenken für Herrn Saint-Saëns, das sich ein Musikfreund vorstellen kann. Es stellt ohne Übertreibung einen der außergewöhnlichsten Höhepunkte in der gesamten Klaviertrio-Diskographie dar. Für Freunde anspruchsvoller, aber genussreicher Kammermusik eine unverzichtbare CD, sie sich wohl auch würdig unter jedem Weihnachtsbaum sehen lassen kann.

Trio Zadig
„Orpheus“ – Hommage à Saint-Saëns
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