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„La Bohème“ in Covent Garden – Oper von universeller Gültigkeit

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„La BETTLEROPERa“. Moritz Eggert mit einer radikalen Neuinterpretation des klassischen Stücks an der Neuköllner OperEgotrips von durchgeknallten Regiefuzzis sind nur in Deutschland an den Mann zu bringen. Am Royal Opera House in London etwa kann man noch erleben, wie eine dramaturgisch sinnvolle und visuell überzeugende Inszenierung aussieht. Die Bohème-Produktion von Richard Jones ist längst ein Klassiker und darum auch immer wieder neu. Besonders, wenn Kapellmeisterin Ariane Matakh am Pult steht.
Von Stephan Reimertz.

Chi son?
Sono un poeta.
Che cosa faccio?
Scrivo.
E come vivo?
Vivo.

– La Bohème, atto primo
libretto di Guiseppe Giacosa e Luigi Illica,
musica di maestro Puccini

Man könnte Simon Iorio als Wiederbelebungsregisseur bezeichnen. Er holte Richard Jones’ klassische Bohème-Inszenierung aus der Versenkung und machte sie wieder fit für den Covent Garden. Ihm stand Danielle Urbas zur Seite, welche die ausgeklügelte Choreographie von Sarah Fahie neu einstudierte. Das Ergebnis ist ein haargenau ablaufendes Uhrwerk von Opernritual, in welchem von den Sängern ebensoviel Bewegungsdisziplin verlangt wird wie musikalische Genauigkeit. Mit Hilfe von Bühnenbildner Stewart Laing und Beleuchterin Mimi Jordan Sherin gelang ein Gesamtkunstwerk, welches die Werktreue in den Mittelpunkt stellt. Wie sehr ersehnen wir dergleichen in Deutschland und Österreich!

Der korrekte Traum

In unseren Breiten steht ein bestimmtes, sich immer wieder selbst reproduzierendes Ego-Milieu im Zentrum des Theaterbetriebes, indes in England Professionalität, Werktreue und Respekt vor dem Autor um einiges mehr zählen. Das Londoner Bohème-Team stellt uns eine Pariser Dachkammer der Julimonarchie vor Augen. Im Text wird auf den französischen König Louis-Philippe angespielt, und der Stil der Kostüme hält sich daran; die Oper spielt also zwischen 1830 und 1848. Die abstrahierte, aus Holzstreben bestehende Dachkammer lässt sich im Laufe des Abends mehrfach verschieben und variieren. Glanzstück in Bühnenbild und Kostümen jedoch ist der zweite Akt. Hier spielt Stewart Laing mit Hilfe von Verkürzungen à la Borromini auf die Pariser Passagen an, und die adretten Kostüme lassen den Zuschauer in einem kostümgeschichtlich korrekten Traum in vielen Farben und Formen der bourgeoisen Epoche schwelgen.

Gibt es ein weibliches Dirigieren?

Bei einem Sänger unterscheidet man zwischen der durch Lebensalter und Tagesform gegebenen Disposition und seiner grundsätzlichen Musikalität und geistigen Durchdringung von Rolle und Musik. Jonathan Tetelman in der Schlüsselfigur des Dichters Rodolfo war an dem Abend, da wir ihn hörten, dafür zu bewundern, wie er trotz angeschlagener Disposition den musikalischen Bogen seiner Rolle hochzuhalten vermochte. Eleonora Buratto in der tragischen Partie der Mimì vereinigte ebenso viel Begeisterung des Publikums auf sich wie ihre Gegenspielerin Musetta (Vlada Borovko). Am Ende halten die vermeintliche Reine und die femme fatale gegen Armut und Krankheit zusammen. Kapellmeisterin Ariane Matiakh und das Orchester des Royal Opera House musizierten das populäre Werk mit dem gehörigen Schmiss, ohne die geringste Detailarbeit zu vernachlässigen. Die mustergültige Produktion überzeugte den Zuhörer wiederum davon, dass es weibliches Dirigieren ebenso wenig gibt wie weibliches Schreiben.

Weitere Vorstellungen: 12. – 27. Mai 2020
Bitte informieren Sie sich auf der Website des Royal Opera House, wann der Spielbetrieb wieder aufgenommen wird.

Bei Verwendung des Textes bitte Quelle angeben bzw. verlinken.

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