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Im Gespräch mit… Alexander Weise, „Rights for Children“

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Am 20. November 1989 unterzeichnete die UN-Generalversammlung die UN-Kinderrechtskonventionen. Wenn diese über 30 Jahre später mit Kindern und Jugendlichen als Chorprojekt auf die Bühne kommt, glaubt man kaum, wie lebendig ein solcher Grundlagentext sein kann. Barbara Hoppe sprach mit dem Initiator und Regisseur von „Rights for Children“.

Feuilletonscout: Wie kamen es zu der Idee, den Gesetzestext der UN-Kinderrechtskonvention in einem Chorprojekt zu inszenieren?
Alexander Weise: Nach meinem letzten Projekt „Das Ende von Eddy oder Wer hat meinen Vater umgebracht“ von Édouard Louis hab ich wieder nach einem Stoff gesucht, den Kinder, Jugendliche und eben auch erwachsene, professionelle Schauspieler:innen gemeinsam auf die Bühne bringen können. Ein Stoff, der aktuell ist und was mit der Lebenswirklichkeit unserer auseinanderdriftenden Welt zu tun hat. Irgendwie hab´ ich nicht das richtige gefunden. Über den Gedanken, was Werte, Versprechen oder Grundsätze überhaupt noch für eine Gültigkeit haben, tauchte bei meiner Suche die UN-Kinderrechtskonvention auf, die ja etwas ist, auf das sich alle einigen können. Nach dem Motto: Hauptsache den Kindern geht es gut. Aber als ich mir vorgestellte, wie diese Worte aus den Mündern von Heranwachsenden live auf einer Bühne klingen würden, gemeinsam, alleine, dann wieder im Chor mit Musik und Tanz, da wusste ich: das muss auf die Bühne! Allerdings mit einem Gegenüber, einem Schauspieler, der aus der erwachsenen Perspektive heraus das Thema befragt. Ich war froh darüber, dass der Autor Marcel Luxinger uns einen Text extra hierfür geschrieben hat. Und das Projekt war geboren.

Feuilletonscout: Sie stellen in Ihrem Pressetext die zentrale Frage: „Was sind die Errungenschaften unserer Zivilisation noch wert?“. Was sind sie Ihrer Meinung nach wert bzw. noch wert?
Alexander Weise: Für mich persönlich sind sie sehr viel wert und sollten unbedingt verteidigt, aber auch immer wieder befragt, hinterfragt und weiterentwickelt werden. Ich bin aufgewachsen, in dem Glauben, dass die Menschheit sich weiterentwickelt. Nach vorne. Heute wird schon das oft als naiv abgetan. Meine Beobachtung ist allerdings, dass sich das Erreichte zu häufig selbst seziert, weil es missbraucht, vernachlässigt oder gar nicht mehr als eine Errungenschaft angesehen wird. Ständig wird das Trennende in den Vordergrund gestellt. So dass ständig auch Krieg herrscht. Im Netz, auf der Straße, im Beruf, in der Schule, im Fernsehen und schließlich nun auch real für uns in Europa. Ein Krieg, der diese Werte gerade sehr existentiell in Frage stellt. Es herrscht auch ein Krieg der Generationen. Wir, die ältere Generation, verteidigen unsere Pfründe gegenüber einer in der Minderheit befindlichen, jüngeren, deren Zukunft in vielerlei Hinsicht in Gefahr scheint. Im Gegensatz zu mir wachsen die Kinder und Jugendlichen heute nicht mehr in diesem positiven Glauben auf, den ich gerade beschrieben habe, sondern in einer Welt voller Risiken und katastrophalen Zukunftsaussichten mit Umweltzerstörung, Pandemien und Kriegsangst. Das zeigt mir: Hier geht eindeutig etwas verloren. Und da möchte ich mich mit „Rights for Children“ auf die Suche danach machen, was.

Feuilletonscout: Sie haben sich mit dem Text der UN-Kinderrechtskonvention ein komplexes Thema gesucht. Erfahrungsgemäß sind Gesetzestexte auch nicht einfach formuliert. Wie sind Sie vorgegangen, um das Verstehen zu erleichtern?
Alexander Weise: Ehrlich gesagt, haben die Kinder und Jugendlichen ganz schnell kapiert, was da steht und konnten es auch sehr schnell mit ihrer Lebenswirklichkeit in Verbindung setzen. Ich habe mit jedem Wort versucht ihnen deutlich zu machen, dass diese Konvention ein Versprechen an sie ist. Wenn also ein Kind „Die Vertragsstaaten“ oder „Die Rechte“ sagt oder „Ich habe ein Recht auf Bildung“ dann wird es direkt persönlich, wenn sie es als ein Geschenk von uns an sie ansehen, verinnerlichen und veröffentlichen. Plötzlich sehe ich diese Menschen mit all ihren Wünschen und Hoffnungen vor mir und die Texte werden lebendig, gerade auch in der Gemeinschaft des Chores oder wenn sie dazu tanzen. Im Laufe des Abends untersuchen die Kids einzelne Konventionen auch kritisch, indem sie die Sprache mit ihrer sehr eigenen Energie in den Raum stellen. Die Zuschauenden können es direkt abgleichen mit der Wirklichkeit. Und genau diese Rezeption macht es so spannend und berührend.

Feuilletonscout: Wo haben Sie die Chormitglieder und die anderen Mitwirkenden gefunden?
Alexander Weise: Einige haben bereits beim Eddy-Projekt mitgemacht, andere habe ich mit der Hilfe der Theaterpädagogin Gabriele Zorn gefunden. Wieder andere einfach über einen Post in den sozialen Medien.  

Feuilletonscout: Wie haben die Kinder, die bei dem Projekt mitmachen, reagiert? Gab es Fragen, Anregung, Kritik, Verwunderung, Möglichkeiten der Mitgestaltung….
Alexander Weise: Interessant war, dass wirklich niemand verwundert war. Allen war sofort klar, worum es hier geht und hatten Bock. Gerade auch aus der Erfahrung des Lockdowns heraus. Eine Konvention lautet „Ich habe ein Recht auf Leben“. Da zieht es mir immer die Schuhe aus, wenn die Kids es herausbrüllen. In einem Teil, in dem die Kinder und Jugendlichen eher monologisch auftreten, habe ich darauf geachtet, dass ihre Texte mit ihnen jeweils etwas zu tun haben. So haben sie sich auch mit eigenen Ideen und selbst geschriebenen Texten eingebracht. Ihre individuelle Geschichte soll dadurch sichtbarer werden. Ansonsten denken, fühlen, reden immer alle gemeinsam mit! Mit Unicef Berlin haben wir kleine Filme gedreht, in denen die Kids zu den Konventionen befragt werden. Da sind sehr persönliche Beiträge entstanden. Danke nochmal an Unicef.

Feuilletonscout: Welche Herausforderungen galt es in der Umsetzung zu meistern?
Alexander Weise: Die große Herausforderung ist, dass der Gesetzestext ein persönlicher, gelebter wird. Die Kids sprechen nicht nur, sondern tanzen auch, bewegen sich, sie agieren im Chor oder haben auch ganz alleine Monologe. Das alles passiert in einem recht großen Raum, dem  Theater im Delphi. Dafür müssen wir proben, und immer wieder Dranbleiben, damit die Energie sich aufbaut – den Raum ausfüllt und bleibt. Es braucht Geduld und Neugier. Und die Kids machen das großartig. Und das ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Sie sind (das ist ganz bewusst so gesetzt) ja keine Schauspieler:innen oder angehende Darsteller:innen, die ihre Karriere starten. Sie sind einfach Kids mit Persönlichkeit. Und das ist mir auch wichtig. Ich will ja keine neuen Stars heranzüchten, die dann Krasses leisten. Das passiert sowieso viel zu oft und ist nicht gerade förderlich.

Feuilletonscout: Wie darf man sich das Zusammenspiel des Chores, des Schauspielers Andrei Tacu und der 360°-Projektion konkret vorstellen?
Alexander Weise: Der Schauspieler Andrei Tacu wird tatsächlich hauptsächlich getrennt zu den Kindern und Jugendlichen auftreten, im Wechsel. Diese Trennung und unterschiedliche Herangehensweise ist wichtig, da sie die Wirklichkeit der Interessen der Generationen wiederspiegelt. Wie die beiden Welten zusammenkommen werden, möchte ich noch nicht verraten. Es soll ja spannend bleiben.
Die Spielfläche befindet sich im eigentlichen Zuschauerraum des Theaters im Delphi unter der gewölbten, hohen Decke, einer Kuppel. Hierauf werden die Bilder von Stefano di Buduo projiziert, wie ein Himmelszelt, unter dem wir uns als Menschen alle befinden.

Rights for Children / Foto (c) Thorsten Fleischhauer

Feuilletonscout: Gibt es etwas, das an dieser Aufführung anders ist als das, was Sie bisher gemacht haben (z.B. Ort, Teilnehmende, Zusammenarbeit usw.)
Alexander Weise: Bei jedem Projekt, das ich mache, ist immer einiges anders. Das ist ja das Tolle an künstlerischer Arbeit. Hier ist vor allem besonders, dass die Gruppe der Teilnehmenden sehr heterogen und divers ist. Das fängt schon mit dem Alter an. Wir haben Kinder dabei die sind 7/8, ein Teilnehmer ist 24. Auch habe ich noch nie einen Text inszeniert oder gespielt, der extra für den Abend geschrieben wurde. Das ist sehr spannend, weil man ja nicht weiß, wie der Text dann tatsächlich aussieht und klingt. Und meine Arbeit wurde bisher noch nicht von Schirmherrschaften begleitet. Es ist schön, diese Unterstützung durch Lisa Paus (Bundesministerin für Frauen, Familie und Senioren) und Unicef Unterstützung von Beginn an zu erfahren. Auch die Podiumsdiskussion, die den Theaterabend am 11.11.22 nach der Vorstellung flankiert ist etwas, was ich noch nie gemacht habe. Hier sprechen Politiker:innen und Menschen aus der Praxis, die unter dem Eindruck der Vorstellung sind von ihren Erfahrungen und tauschen sich öffentlich aus und diskutieren.

Feuilletonscout: Ab welchem Alter empfehlen Sie den Besuch der Veranstaltung?
Alexander Weise: Ich denke ab 12 Jahren ist es gut. Aber er richtet sich unbedingt oder sogar gerade an Erwachsene.

Feuilletonscout: Sie arbeiten schon seit einigen Jahren mit Sprechchören für Theaterinszenierungen. Auch mit „Das Eddy-Projekt“ hatten Sie sich schon früher ein nicht gerade einfaches Thema gesucht. Was fasziniert Sie an dieser Art der kreativen, interdisziplinären (Zusammen-)-Arbeit mit diesen Themen?
Alexander Weise: Ich möchte mich sehr direkt mit Kunst und dem Leben auseinandersetzen. Oft habe ich den Eindruck, wir bewegen uns zu viel in unseren Blasen und Elfenbeintürmen. Schützen uns, weil wir bestimmte Themen einfach ausklammern. Aber die Themen bestimmen uns alle. Wie gesagt: Mich interessiert bei allem Trennenden das Verbindende, auch in der Wahl der Mittel von Musik, Sprache und Körper. Aber auch in der Begegnung von professionellen Künstler:innen mit jungen Menschen. Ich erlebe immer wieder wie bereichernd das für alle ist.

Feuilletonscout: Füllen Sie mit diesen aktuellen Themen eine Lücke, indem Sie -ich nenne es mal Bildung –künstlerisch umsetzen und damit bewusst von einer Oberflächlichkeit wie wir sie in vielen sozialen Medien finden, abrücken?
Alexander Weise: Klar, diese Art der Begegnung ist Bildung. Nicht nur für die Kids, sondern für alle, die sich an dem Prozess beteiligen. Eben auf einer direkten und sinnlichen Art. Viele Kinder und Jugendliche schaffen es nicht mehr 10 Minuten nicht zu zappeln, nicht ungeduldig zu werden, sich zu fokussieren. Natürlich liegt das auch an dem zu starken Gebrauch der sozialen Medien. Aber nicht nur. Sie werden oft zu sehr unter Druck gesetzt, alles Mögliche zu leisten neben der Schule. Bei anderen Dingen werden sie dagegen gar nicht gefordert. Hier andere Schwerpunkte zu setzen erweitert absolut den Horizont und fast immer gehen die Kids anders aus so einem Projekt heraus, als sie hereingekommen sind. Es passiert nicht selten, dass sie neue Freunde finden. Oder eben Menschen kennenlernen, mit denen sie bisher überhaupt keinen Kontakt hatten. Das gilt auch für die Schauspieler:innen und Musiker:innen.

Feuilletonscout: Was ist das schönste Feedback für Sie?
Alexander Weise: Wenn ich höre: Wow, waren die toll. Oder: Ich war die ganze Zeit dran. Oder: Der Abend hat mich noch einige Zeit begleitet.

Feuilletonscout: Gibt es schon Pläne für ein neues Projekt?
Alexander Weise: Ja, auf jeden Fall möchte ich die Arbeit mit den Kids im Zusammenspiel mit professionellen Künstler:innen weiterführen. Da schlummert schon eine Idee, aber das ist noch nicht spruchreif. Wir planen auch eine Wiederaufnahme 2023 bzw. Gastspiele in der einen oder anderen Stadt. Das wäre natürlich toll. Und ich werde 2023 am Stadttheater Fürth ein Jugendstück mit Schauspieler:innen und Laien inszenieren. Da freu ich mich schon sehr drauf.

Vielen Dank für das Gespräch, Alexander Weise!

Premiere/Uraufführung: 9. November 22
Weitere Aufführungen: 11., 12., 19., 20. November 22

Ort: Theater im Delphi, Gustav-Adolf-Str. 2, 13086 Berlin

Tickets: https://theater-im-delphi.reservix.de
Preis: 19 Euro, ermäßigt 12 Euro 

Weitere Informationen www.theater-im-delphi.de | https://www.alexanderweise.eu/aktuell

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