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Gefeiert, geschätzt, verfemt: Bernhard Sekles

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker Musik

Der jüdische Frankfurter Komponist, Visionär und pädagogische Reformer Bernhard Sekles (1872-1934) im Kurzporträt anhand einer CD-Ersteinspielung von dem Tenor Malte Müller und dem Pianisten Werner Heinrich Schmitt. Von Barbara Röder.

Dem jüdischen Frankfurter Komponisten Bernhard Sekles und dessen Liebeslieder nach slawischen und romanischen Dichtungen für Tenor und Klavier opus 13 aus dem Jahr 1905 sowie der Liedzyklus „Schi-King“, 18 Lieder für Tenor und Klavier opus 15 (1907) haben die Liedinterpreten Malte Müller (Tenor) und Werner Heinrich Schmitt (Klavier) eine Sekles-Hommage gewidmet. Ihre hörenswerte CD ist bei Toccata Classics TOCC 0651 erschienen. Das Liedschaffen von Bernhard Sekles kann bei dieser schönen Erstaufnahme als beachtenswert neu entdeckt werden.

Zudem taucht der Hörer bei dieser interessanten Ersteinspielung tief hinein in eine Epoche, die sich damals kulturell neu erfand. Um- und Aufbruchstimmung herrschte, das Fin de Siècle verabschiedete sich gerade, als Bernhard Sekles als Direktor des Dr. Hoch’s Konservatoriums in Frankfurt am Main, eine der angesehensten Bildungsstätten Deutschlands, diese aus deren im 19. Jahrhundert verhafteten Konservatismus herausführte. In Wien experimentierten seit Beginn des 20. Jahrhunderts Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern mit neuen Klängen, Kompositionsstrukturen und Rhythmen. Sie waren die musikalischen Begründer der Wiener Schule der Moderne. Werke von Richard Strauss und Hans Pfitzner standen auf den Programmen von Oper und Konzertsaal. Einer, der ebenso erfolgreich mit seinen Kompositionen aufwartete, viel und oft gespielt wurde, ein hohes Ansehen genoss, war der jüdische Tonsetzer Bernhard Sekles.

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Bernhard Sekles.
Mit freundlicher Genehmigung vom
Dr. Hoch’s Konservatorium Frankfurt am Main

Im Mittelpunkt des Albums „Bernhard Sekles, Lieder“ steht der Zyklus „Aus dem Schi-King“ nach Texten des Weltpoeten Friedrich Rückert sowie eine Auswahl von weiteren Liedern. Die beiden Künstler Malte Müller und Werner Heinrich Schmitt haben sich liebevoll dem musikalischen Erbe von Bernhard Sekles angenommen. Der Vokalzyklus der Rückert-Lieder bieten eine kongeniale Vertonung der poetisch hochsinnlichen Verse und bezaubern durch ihr fernöstliches Kolorit. Diese klingen sehr originell, geistreich und herzensfrisch. Mit aufgerauten, tenoral dunklen Tonfall verführt der Tenor Malte Müller dazu, den Spätromantik atmenden Vokalzyklus wiederholt zu hören, um auch die nuancenreiche Partie des Klaviers zu erkunden. Sekles hat dem überschwänglich und dennoch oft luftig zarten Part des Klaviers mit reichlich Klangfarbe und rhythmischen Extravaganzen bedacht. Dem Pianisten Werner Heinrich Schmitt gelingt es vorzüglich den aus dem Klaviertext hervorlugenden Tonfall Sekles einzufangen.

Das außerordentlich gut recherchierte Booklet, geschrieben vom Musikwissenschaftler und Komponisten Timo Jouko Herrmann, bietet umfassendes Begleitmaterial, um die Welt der komponierenden Frankfurter Lichtgestalt Sekles näher kennenzulernen. Herrmann war bereits beim Rahmenprogramm zur Aufführung „Schahrazade“ in Halle 2013 mit einem kenntnisreichen Vortrag vertreten. Das damalige Motto lautete „Zwischen Orient und Deutscher Romantik“. Dieses profunde Wissen über das Werk von Bernhard Sekles, seine Zeit und Mitstreiter in Kultur und Pädagogik spürt der lesende Entdeckerfreund.

Dem Tenor Malte Müller und dem Pianisten Werner Heinrich Schmitt ist ein rundherum interessantes Album gelungen, das in der hoffentlich aufkeimenden Sekles-Rezeption einen besonderen Platz einnehmen wird. Man wünscht dem fantasievollen und geistreichen Komponisten und pädagogischen Visionär Bernhard Sekles mehr solcher mit Bedacht gespielter  Aufnahmen wie die von Malte Müller und Werner Heinrich Schmitt. Ein lohnenswertes Hörerlebnis.

Auf dieser Zeitreise in das kompositorische Wirken von Bernhard Sekles, dessen Verdienste um die musikalisch pädagogische Tradition Frankfurts außer Frage steht, begleiteten uns auch einige eindringlich anschauliche Veranstaltungen. Denn der Geburtstag von Bernhard Sekles jährte sich am 20.März 2022 zum 150. Mal. Zur Ehrung und Wiederentdeckung des ehemaligen Leiters des Dr. Hoch’s Konservatoriums (1923-1933), der 1933 als die Machtergreifung der Nazis gelungen war, gezwungen wurde, sein Amt niederzulegen inklusive eines Hausverbots, luden einige bedeutsame Veranstaltungen in Frankfurt am Main ein. Diese zeichneten den beschwerlichen, kreativen und für die Frankfurter Kultur und Pädagogik passionierten Lebensweg des Kompositionslehrers nach.

In den Augen seiner Schüler Paul Hindemith oder Theodor W. Adorno war Sekles ein kompositorischer Ideengeber wegweisender Reformer und innovativer Visionär, der den Zeitgeist und dessen neue Strömungen einfing. Seine Gründung der ersten Jazzklasse 1928 am Dr. Hoch’s Konservatorium zeugt davon. Als Opernkomponist war Sekles zudem erfolgreich und gefragt. Die gefeierte Mannheimer Uraufführung seines orientalische Luft atmende Dreiakters „Schahrazade“, der auf einer Geschichte aus „Tausendundeiner Nacht“ beruht, dirigierte Wilhelm Furtwängler 1917. Diese war, wie oben erwähnt, als Musiktheater-Entdeckung des Jahres 2013 in Halle zu erleben.

Bernhard Sekles
Malte Müller |Tenor
Werner Heinrich Schmitt | Piano
Toccata 2022
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Weiterführende Bernhard Sekles-Hinweise

Tipp 1

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Im Januar 2023 erfuhren die Zuhörer von Frau Prof. Dr. Daniela Philippi vieles über Bernhard Sekles (1872–1934). Ihr Vortrag mit dem Titel: „Bernhard Sekles – Netzwerke eines Frankfurter Komponisten“ widmete sich den Netzwerken des Musikers, denn trotz des weitgehenden Verlustes persönlicher Dokumente und Briefe lassen sich viele seiner Kontakte erschließen, so Frau Prof. Dr. Philippi. Aus Teilen des Vortrags wird im Mai 2023 ein kleiner Band mit dem Titel: Jüdische Miniaturen Bd. 310. Bernhard Sekles, Musikpädagoge und Komponist erscheinen.

Tipp 2

In der beliebten Reihe „Musikstadt Frankfurt“ widmet sich die Musikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Kienzle, Leiterin des Projekts „Musikstadt Frankfurt“, an vielen Abenden den subtilen Beziehungen zwischen den Komponisten und ihren Werken. Das Frankfurter Musikleben zwischen 1880 und 1926 beleuchtete die Zeit von Joachim Raff bis Bernhard Sekles. Nachzuhören hier:

Musikstadt Frankfurt: Von Joachim Raff bis Bernhard Sekles
2026 wird eine zweibändige Ausgabe der Vorträge „ Musikstadt“ von Frau Dr. Ulrike Kienzle erscheinen.

Tipp 3

Eine überaus hörenswerte Sendung des Deutschlandfunks ist dem Jazzfreund Bernhard Sekles gewidmet: Musikpädagoge Bernhard Sekles  – Jüdisch, jazzverliebt und seit 1933 vergessen.
Zu Unrecht vergessen: Bernhard Sekles hatte am Frankfurter Hoch’schen Konservatorium berühmte Schüler wie Theodor W. Adorno oder Paul Hindemith. 1928 gründete er die erste Jazzklasse Europas.

Nachzuhören: hier

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