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Das vielseitige kompositorische Werk der Louise Farrenc

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Feuilletonscout Das Kulturmagazin für Entdecker MusikRezension von Ingobert Waltenberger.

Das musikgeschichtliche Schicksal der französischen Komponistin, Pianistin und Musiklehrenden Louise Farrenc – eigentlich Jeanne-Louise Dumont – ist in Kenntnis der verdienstvollen Editionen des Hauses cpo und den hervorragenden auf dieser CD vorgestellten Instrumentalwerken Anlass genug, sich wieder einmal bewusst gegen das idiotische Vorurteil zu stemmen, dass Frauen per se die weniger begabten Tonsetzerinnen seien. Das große Genie im 19. Jahrhundert hatte nämlich apodiktisch männlich zu sein.

1804 in Paris geboren, entstammte Louise einer Künstlerfamilie. Ihr Vater Jacques-Edmé und der Bruder Auguste waren begabte Bildhauer. Sie selbst studierte Klavier bei Cécile Soria (Schülerin von Clementi), Ignaz Moscheles und Johann Nepomuk Hummel. Der Kompositionsunterricht bei Anton Reicha währte nur kurz, zog sie es doch vor, mit dem ihr frisch angetrauten Kommilitonen Aristide Farrenc, seines Zeichens Flötist, nach der Hochzeit in Frankreich auf ausgedehnte Konzerttournéen zu gehen. Da solches Umherreisen anstrengend ist, zogen es beide vor, das erfolgreiche Musik-Verlagshaus Farrenc zu gründen. Später wurde Louise Farrenc Professorin für Klavier am Conservatoire de Paris. Der Riesenerfolg ihres Nonetts Op. 38 für Bläser und Streicher dürfte mit dazu beigetragen haben, dass ihr das Konservatorium denselben Lohn zahlte wie ihren männlichen Kollegen, damals (und selbst heute noch in vielen Sparten) alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Freilich dauerte es trotz eines anders als bei Clara Schumann wohlwollenden Gatten und ihres bei Lebzeiten großen Erfolges weit über 100 Jahre lang – Farrenc starb 1875 – um ihr fantastisches und hoch qualitätsvolles, vielseitiges kompositorisches Werk nicht nur dem Vergessen zu entreißen, sondern in ihrer ganzen originären Pracht und Schönheit entsprechend zu würdigen. Dazu gehören neben Aufführungen die Veröffentlichung hochwertiger Aufnahmen dieser kostbaren Raritäten, wie sie die mutigen Labels cpo und Naxos auf so großartige Art und Weise pflegen.

Die erste Symphonie in c-Moll, Op. 32, von Form und lyrischer Emphase zwar den Vorbildern Beethoven und Mendelssohn verpflichtet, aber dennoch kraftvoll eigenständig, entstand 1841, zwei weitere Symphonien sollten 1845 und 1847 folgen. Sieben Jahre vor der ersten Symphonie schrieb Louise Farrenc die beiden auf dem Album zu hörenden dramatischen Ouvertüren in e-Moll und Es-Dur. Was wäre Farrenc doch für eine Opernkomponistin geworden, muss anhand der Kontraste der wie Gegner miteinander fechtenden Instrumentengruppen, der komplexen Rhythmik und wirkungsvollen romantisch-tragödischen Anlage (Weber nicht unähnlich) heute gemutmaßt werden. Selbst Berlioz bewunderte die Instrumentierungskunst dieser Stücke. Übrigens hat auch Robert Schumann das Klavierschaffen der französischen Kollegin durchaus geschätzt.

Ein besonders Zuckerl erwartet den Hörer bei den „Grandes Variations sur un thème du comte Gallenberg“ in der Version für Klavier und Orchester aus dem Jahr 1838. Der Themenlieferant Wenzel Robert von Gallenberg war ein österreichischer Komponist, auf Ballettmusiken spezialisiert, und mit der Beethoven-Schülerin und Widmungsträgerin der Mondschein-Sonate Gräfin Giulietta Giucciardi verheiratet. Auf der CD-Weltpremiere begeistern vor allem die virtuose Pranke und interpretatorische Eleganz des Pianisten Jean Muller, der Louise Farrencs Bezeichnung der Variationen als „Groß“ in jeder Hinsicht gerecht wird. Farrenc liebte dieses Genre der Variation, das dem kompositorischen Einfallsreichtum und Werkzeugkasten keine Grenzen setzt. Sie verfasste neben den von Gallenberg inspirierten auch Variationen über Themen von Rossini, Bellini, Weber, Donizetti und Onslow.

Einen Riesenanteil an der außergewöhnlichen Qualität des Albums tragen die Solistes Européeen Luxembourg, ein Orchester, das unter der musikalischen Leitung von Christoph König seinen Spitzenplatz unter vergleichbaren europäischen Klangkörpern erobert hat. Mit welchem Feuer und Schwung sie an das dem Meister aus Bonn würdige Allegro assai in der ersten Symphonie herangehen, mit welcher Spannungsbreite, geschickt gesetzten Rubati und liebevollen Phrasierungen sie die lyrischen Bögen spannen und dramatischen Binnenakzente setzen, ist eine helle Freude. Besonders dem heroischen Blech (Hörner) und den edel aufspielenden Holzsolisten (Flöten), aber auch dem balsamisch satten Klang der tiefen Streicher gebührt ein Extralob.

Die Aufnahmen entstanden 2017 und 2018 im Grand Auditorium der Philharmonie Luxembourg. Warum es dann oft so lange dauert, bis Naxos seine Alben publiziert, dürfte nicht nur mir ein Rätsel sein.

Louise Farrenc
Symphonie Nr. 1, Ouvertüren, Grandes Variations sur un thème du comte Gallenberg
Jean Muller / Solistes Européens
Naxos 2020
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